«Sonst wirst du dich verantworten müssen»
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Ragip Xhaka im Kosovo-TV:«Sonst wirst du dich verantworten müssen»

Wird bedroht und eingeschüchtert
Kosovo-Feministin (29) braucht Polizeischutz nach Kritik an Xhakas Griff in den Schritt

Der Griff in den Schritt von Nati-Kapitän Granit Xhaka beim WM-Spiel gegen Serbien schlug auch im Kosovo hohe Wellen. Eine kosovarische Feministin verurteilte den Akt als schlechte Visitenkarte für Xhakas Herkunftsland. Seither reissen Drohungen gegen die Frau nicht ab.
Publiziert: 11.12.2022 um 00:59 Uhr
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Aktualisiert: 11.12.2022 um 07:41 Uhr

Beim letzten WM-Gruppenspiel gegen Serbien griff sich der Schweizer Nati-Captain Granit Xhaka (30) ans Geschlecht, mit Blick auf die serbische Bank. Die Geste wurde von der kosovarischen Feministin Zana Avdiu (29) scharf verurteilt. Auf Facebook schrieb sie: «Granit Xhakas Akt ist eine Schande. Ein Akt eines Strassenjungen.» Seither wird die Kosovarin auf sozialen Medien eingeschüchtert und bedroht. Seit einer Woche benötigt sie Polizeischutz.

Am selben Abend des Facebook-Posts war Avdiu in einer Sport-Talkshow zu Gast gewesen. Als einzige Frau in der Männerrunde. Und sie hielt am Vorwurf fest. Dann schaltete sich der Vater von Granit, Ragip Xhaka, telefonisch in die Sendung ein. Er war ausser sich. Warnte Avdiu, sie solle «aufpassen», was sie über die Familie Xhaka schreibe. «Sonst passiert was?», fragte Avdiu.

«Ich erzähle dir nachher, was passiert», so Xhakas Vater. «Du wirst dich auf jeden Fall verantworten müssen. Aber wenn es so weit ist, wird es schon zu spät sein, das garantiere ich dir mit meinem Leben. Denn du kennst die Familie Xhaka nicht.» Xhaka-Spross und Granits Bruder Taulant (31), Mittelfeldspieler beim FC Basel, warf Avdiu auf Instagram dann noch vor: «Schande, du hast überhaupt kein albanisches Blut.»

Verurteilt den Griff in den Schritt von Nati-Captain Granit Xhaka gegen Serbien: die kosovarische Feministin Zana Avdiu.
Foto: Facebook
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Sexistische Geste sei nicht mit Krieg zu erklären

Seither wird Avdiu bedroht. Zana Avdiu steht mittlerweile unter Polizeischutz, wie die «SonntagsZeitung» berichtet, die mit der Feministin sprach. Sie gehe nur noch zur Arbeit und danach sofort wieder nach Hause. Mehrere Männer seien verhaftet worden. Die Anfeindungen scheinen Avdius Vorwurf an Xhaka noch zu bestätigen. Sie verurteilt die Machogeste als «sexistisch. Und ich habe auch etwas dagegen, dass ein grosser Teil der kosovarischen Gesellschaft diese Geste gutheisst, ja sogar bejubelt.» Die Geste symbolisiere «sexuelle Gewalt und den Stolz und die Macht, die Männer aufgrund ihres Penis empfinden».

Gewalt gegen Frauen sei im Kosovo «weitverbreitet und akzeptiert». Dass aber Ragip Xhaka die Reaktion seines Sohnes mit dem Krieg erkläre, sei «nicht nachvollziehbar. Er scheint auch nicht zu verstehen, worum es geht.» Auch ihre Familie habe im Krieg gelitten, sagt Avdiu. «Aber ich bin eine junge Frau und Feministin, er ist ein Mann und der Vater eines wohlhabenden Fussballspielers. Er denkt, seine Stellung gebe ihm das Recht, mir gegenüber derart aufzutreten. Herr Xhaka, der den Krieg aus der Ferne in der Schweiz erlebt hat, will mir, die ich den Krieg im Kosovo in seiner ganzen Brutalität erlebt habe, erklären, was Krieg bedeutet oder mit einem macht.»

Albanische Diaspora kein Vorbild

Nun solle sie mit Drohungen zum Schweigen gebracht werden. Seit vergangenem Sonntag sei sie nicht mehr draussen gewesen. 11'000 zumeist sexistische Nachrichten habe sie auf sozialen Medien erhalten, aus ganz Europa – auch der Schweiz. «Darunter waren viele konkrete Drohungen gegen mich und meine Familie. Es heisst, man sollte mich töten, ich solle nach Serbien auswandern, man sollte mich vergewaltigen. In 200 Fällen habe ich Anzeige erstattet, es gab bereits mehrere Verhaftungen.»

Als die grössten Probleme albanischer Frauen nennt Avdiu, dass sie «keine Arbeit haben, kaum Eigentum besitzen und fast immer von Erbschaften ausgeschlossen sind. In albanischen Familien erben nur vier Prozent der Mädchen, und nur 17 Prozent der Frauen besitzen Eigentum. Von den 600’000 Frauen im erwerbsfähigen Alter arbeiten nur etwa 14 Prozent. Das alles sind direkte Folgen der patriarchalischen Gesellschaft.»

Doch Frauen im Kosovo würden sich zunehmend gegen die patriarchale Unterdrückung wehren, sagt Avdiu. Mit der stärkeren Emanzipation von Mädchen und Frauen gebe es von Jahr zu Jahr mehr Scheidungen. Damit wachse auch der Widerstand von Männern gegen den Kontrollverlust. «Das Gefühl, Macht zu verlieren, macht viele Männer aggressiv», so die Juristin. Paradoxerweise, sagt sie, stehe es in der albanischen Diaspora mancherorts noch schlechter um die Gleichstellung der Geschlechter als in Pristina. (kes)

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