Sepp Blatters späte Reue
«Ich hätte früher aufhören sollen»

Kein Kohl! Sepp Blatter (81) referiert im Blumengeschäft. Und spricht exklusiv im SonntagsBlick über die Fifa-Skandale der letzten Wochen.
Publiziert: 02.07.2017 um 08:22 Uhr
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Aktualisiert: 01.03.2022 um 13:30 Uhr
Interview: Andreas Böni

Sein Gang ist noch etwas schleppend. «Knie-OP, ein paar Reparaturen. Solange man nur am Gestell und nichts am Kopf machen muss, ist alles gut», sagt Sepp Blatter (81). Der Ex-Fifa-Präsident hält im Blumengeschäft Verdissimo in Zollikerberg ZH einen Talk.

Danach spricht er mit SonntagsBlick exklusiv und erstmals über die Fifa-Querelen: Die Veröffentlichung des 430-seitigen Reports von Ex-Chefermittler Michael Garcia, die Absetzung der Chefethiker und Zoff mit Gianni Infantino (47).

«Mein Anstand, meine Moral und meine Erziehung verbieten es mir, schlecht über ihn zu reden», sagt Blatter. Doch in vielen Punkten kritisiert Blatter seinen Nachfolger – quasi durch die Blume.

Sepp Blatter erzählt in einem Blumenladen in Zollikerberg aus den Tagen seiner Fifa-Zeit.
Foto: Siggi Bucher

Herr Blatter, ein Informant spielte der «Bild»-Zeitung den streng geheimen Garcia-Bericht zu. Würden Sie dem Mann eine Rose oder einen Kaktus schenken?
Sepp Blatter:
Eine ganze Kaktus-Plantage würde ich ihm geben.

Warum hielten Sie 2014 den Bericht unter Verschluss?
Ich hatte ihn selbst nicht gelesen. Ethik-Richter Hans-Joachim Eckert schrieb eine Zusammenfassung von 40 Seiten und riet mir, nur diese zu veröffentlichen. Sonst hätte man erst die Rechte jedes einzelnen im Bericht erwähnten Menschen abklären müssen.

«Hätte ich kein ruhiges Gewissen, wäre ich nicht hier.»
Foto: Siggi Bucher

Die Fifa veröffentlichte den Bericht nun auch. Der grosse Knall blieb aus.
Ja, sogar die Deutschen waren erstaunt. Es stünde nichts Schlimmes über Russland und Blatter drin – berichtete das ZDF überrascht. Wissen Sie: Hätte ich kein ruhiges Gewissen, wäre ich nicht hier. Dann hätte ich zwei Ziegen genommen, wäre auf einen Berg gestiegen und hätte auf ein Gewitter gewartet.

Ihr Absturz war 2015 ohne Gewitter brutal. Heute einer der mächtigsten Menschen der Welt – am nächsten Tag weg. Wie schwer war das?
Es war eine Erlösung, ich hätte früher aufhören sollen. Nationalrat und «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel sagte mir mal: «Das Amt als Fifa-Präsident ist ein Produkt mit einem Verfallsdatum. Bei dir stand drauf: Haltbar bis 2014. Damals hättest du gehen sollen.» Ich sagte: «Ja, aber manchmal steht auch drauf: Wenn es kühl gelagert wird, dann hält es länger.»

Die Ethikkommission brachte Sie zu Fall. Nun sind die Chefethiker Hans-Joachim Eckert und Cornel Borbély ersetzt worden. Überrascht?
Ihre Absetzung zirkulierte schon im März in den Medien. Mich erstaunte nur, dass die beiden nicht bemerkten, dass sie abgesägt werden. Ihre Absetzung ist ein sehr schlechtes Zeichen für die Fifa.

Der «Spiegel» schreibt, dass Ermittlungen gegen Infantino entscheidend waren. Dass er Angst vor der Absetzung hatte.
Das weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass andere ehemalige Mitarbeiter seinetwegen zur Ethikkomission gelangt sind – und drei, vier Wochen später aus der Fifa rausgekickt wurden.

Stimmt es eigentlich, dass Sie gegen die Fifa vorgehen?
Warum meinen Sie?

Weil man die 79 Millionen Franken, die Generalsekretär Valcke, Finanzchef Kattner und Sie sich zuschanzten, öffentlich gemacht hat.
Ich kann nicht zu sehr ins Detail gehen. Aber diese Zahlen stimmen nicht. Ich kenne die Zahlen der zwei anderen nicht, aber es kann nie und nimmer die Wahrheit sein.

Fahren Sie zur WM nach Russland?
Ja, sicher. Wladimir Putin hat mich ja eingeladen.

Aber Sie sind sechs Jahre suspendiert.
Ich darf nur nicht als Schiedsrichter eingesetzt werden (lacht), alles andere geht.

Sepp Blatter fährt zur WM nach Russland. «Wladimir Putin hat mich eingeladen.»
Foto: Siggi Buhcer

Gefällt Ihnen der Video-Beweis?
Michel Platini sagte mir einst: «Wenn man mit der Technik auf dem Spielfeld mal beginnt, dann hört es nicht mehr auf.» Er hatte recht. So verliert das Spiel für mich an Attraktivität und viel Diskussionsstoff. Lasst die Schiedsrichter doch Fehler machen! Es ist heikel und gefährlich, was die Fifa da macht.

Apropos Platini: Wie viele Couverts waren nötig, damit Katar die WM 2022 bekam?
Gar keine. Da wurde einfach abgestimmt. Ich sagte es mehrfach, Politik entschied alles. Frankreichs Präsident Sarkozy befahl Platini, aus politischen Interessen für Katar zu stimmen. So begann es. Sonst hätten die USA die WM bekommen.

Können Sie sich eine WM in Russland ohne Gastgeber vorstellen? Es gibt Doping-Vorwürfe.
Die Russen werden spielen. Bei der WM 2014 machte man flächendeckende Dopingkontrollen, auch bei den Russen. Ich glaube nicht, dass einer gedopt war – aber warten wir mal ab.

Die Fifa braucht eine gute WM in Russland. Sie machte 2016 rund 369 Millionen Dollar Verlust.
Als ich 1998 zum Präsidenten gewählt wurde, schrieb die Fifa rote Zahlen. Als ich ging, hatte sie 1,4 Milliarden Reserven. Und die neue Fifa braucht jetzt das Geld auf. Man hat den Verbänden zu viel Geld versprochen.

1,25 Millionen statt 400'000 Dollar pro Land – das war ein Wahlversprechen von Infantino.
Zu meiner Zeit waren diese Entwicklungszahlungen zweckgebunden. Wir haben jedem Verband ein Haus des Fussballs, ein Leistungszentrum und ein, zwei Felder gebaut. Das ist jetzt vergessen. Das Geld fliesst einfach.

Sie sind nicht mehr oft in den Medien – und Franz Beckenbauer noch weniger. Tut er Ihnen menschlich leid?
Es ging ihm nicht so gut, er hatte gesundheitliche Probleme, mit dem Herzen. Er sagte mir: «Ich konnte nicht mehr.» Und bei der WM-Vergabe war er für mich einfach zu unvorsichtig.

Nun gut, er machte alles, um nie aussagen zu müssen.
Ja, aber er funktioniert so. «Was wollt ihr von mir, ich bin der Kaiser», dachte er, sah sich stets als Lichtgestalt. Für ihn war das immer sozusagen «Schmarrn».

War die WM in Deutschland gekauft?
Nein. Auch da entschied Politik.

Verlassen wir noch den Fussball. Ihr guter Freund Fritz Künzli ist an Demenz erkrankt. Wann sahen Sie ihn zuletzt?
Beim Ferdy-Kübler-Memorial vor ein paar Tagen. Er ist nicht mehr ganz da, das ist traurig für mich. Aber so ist der Lauf des Lebens.

Wäre es für Sie das Schlimmste, wenn der Kopf nicht mehr funktionieren würde?
Ja, aber ich würde mich dann aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Ganz.

Sepp Blatter beim Interview mit BLICK-Fussballchef Andreas Böni.
Foto: Siggi Bucher
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