Ukraine-Star bricht an der Pressekonferenz in Tränen aus
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Emotionale Szene:Ukraine-Star bricht an Pressekonferenz vor WM-Playoff in Tränen aus

Gefühlschaos vor WM-Playoffs – Schottland-Legende über Gegner Ukraine:
«Sie sollen gewinnen und Weltmeister werden»

Während in der Heimat der Krieg tobt, tritt das ukrainische Nationalteam am Mittwochabend in Schottland zum verschobenen Halbfinal in den WM-Playoffs an. Eine gefühlsmässige Zerreissprobe – nicht nur für die Ukrainer, sondern auch für den Gegner.
Publiziert: 01.06.2022 um 14:09 Uhr
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Aktualisiert: 01.06.2022 um 14:10 Uhr
Sebastian Wendel

«Als Spieler nahm Graeme Souness (69) mit Schottland an drei Weltmeisterschaften teil, als Trainer holte er mit den Glasgow Rangers drei Meistertitel und vier Mal den Pokal: Der Mann ist in seiner Heimat eine lebende Legende. Obwohl Souness wie kein Zweiter weiss, was eine Teilnahme «seines» Schottland an der WM 2022 in Katar bedeuten würde, sagt er vor dem heutigen Playoff-Duell gegen die Ukraine: «Sie sollen gewinnen. Ich will nicht nur, dass sich die Ukraine für die WM qualifiziert. Ich will, dass sie nach Katar gehen und den Pokal in die Höhe stemmen.»

Die Worte bringen die gefühlsmässige Zerreissprobe, die nicht nur die schottischen, sondern Fussballfans auf der ganzen Welt spüren, auf den Punkt. Auf der einen Seite ist es nur Fussball – möge der Bessere gewinnen. Auf der anderen Seite braucht es jede Bühne, egal ob Sport, Kunst oder Politik, um dem russischen Aggressor zu zeigen: Es ist inakzeptabel, was in der Ukraine passiert.

Seit einem halben Jahr ohne Ernstkampf

In der Haut der Nationalspieler Schottlands will wohl niemand stecken – eigentlich können sie heute nur verlieren. Doch noch viel schwieriger ist die Aufgabe für ihre Gegner. Einerseits sportlich: Nach der russischen Invasion wurde die ukrainische Meisterschaft erst unter-, danach abgebrochen. 17 Spieler des 25-köpfigen Kaders haben in diesem Jahr noch keinen Ernstkampf bestritten.

Die ukrainische Nationalmannschaft hielt sich in den vergangenen Wochen im Trainingscamp in Slowenien und mit Freundschaftspartien in ganz Europa fit (im Bild vor Spiel gegen Borussia Mönchengladbach).
Foto: AFP
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Dass sie in den vergangenen Monaten überhaupt trainieren konnten, ist unter anderem Mircea Lucescu zu verdanken. Der Trainer von Rekordmeister Dynamo Kiew hat nach Kriegsbeginn erwirkt, dass die Mannschaft in seiner Heimat Rumänien unterkommt. Inklusive der acht Nationalspieler, die eigentlich der Wehrpflicht unterstehen – wie alle ukrainischen Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Lucescus Argument: Statt in den Krieg zu ziehen, hätten die Spieler die Möglichkeit, mit einer erfolgreichen WM-Qualifikation die Menschen in der Ukraine wenigstens ein bisschen zu erheitern. So wie das «Kalush Orchestra» im Mai mit dem Sieg am Eurovision Song Contest.

SMS von den Soldaten an der Front

Seit vier Wochen bereitet sich die ukrainische Nationalmannschaft auf Einladung von Uefa-Boss Aleksandar Ceferin in Slowenien und mit Testspielen in verschiedenen Ländern Europas auf das Playoff-Duell gegen Schottland vor. Vor der Abreise auf die Insel gewähren die Akteure einen Einblick in ihre Gefühlswelt. «Das ist eines der wichtigsten Spiele in meinem Leben. Die Ukraine lebt noch! Wir werden kämpfen bis zum Ende, das ist unsere Mentalität» sagt ManCity-Profi Oleksandr Zinchenko und meint damit sowohl Fussballer als auch Soldaten. Mittelfeldspieler Taras Stepanenko berichtet: «Wir bekommen ständig Nachrichten von den Soldaten. Sie haben nur einen Auftrag: Bitte macht alles, um zur WM zu kommen.»

Was für ein Druck – unvorstellbar! Doch beklagen will sich Trainer Oleksandr Petrakow nicht: «Wir sind privilegiert. Zuhause kämpfen und sterben junge Männer in den Schützengräben.» Der 64-Jährige hat sich im März freiwillig für den Kriegsdienst gemeldet, wurde jedoch mangels militärischer Erfahrung abgelehnt. Und eben: Er soll mit dem Nationalteam für positive Schlagzeilen sorgen. Ein Sieg heute Abend Glasgow wäre eine erste solche. Der Sieger des Duells zwischen Schottland und der Ukraine bestreitet am Sonntag den Playoff-Final in Wales.

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