Doppeladler & Doppelbürger bewegen die Schweiz
Lasst uns über die Nati reden!

Wir müssen reden! Über Doppeladler und Doppelbürger. Über Vorurteile und Vorwürfe. Wir haben bei Fans und Experten den Nati-Puls gefühlt.
Publiziert: 08.07.2018 um 11:13 Uhr
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Aktualisiert: 02.11.2019 um 04:17 Uhr
BLICK-Fussballredaktion

Beat Schlatter (57, Schauspieler und Komiker)
«Ich schaute das Spiel gegen Schweden als einziger Schweizer mit rund 80 Schweden in einem Irish Pub in Cannes. Auch ich war enttäuscht, aber die Kritik fand ich ungerechtfertigt, unsere Nati war den Schweden klar überlegen. Was ich von unserer Nati halte? Klar hätte auch ich Freude, wenn ein Moser oder vor allem ein Schlatter für die Schweiz auflaufen würde, aber die Nati ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Und ich bin ihr Fan.

Den Doppeladler-Jubel fand ich übrigens nicht gravierend. Ex-Goalie Jörg Stiel hat mir mal erzählt, was er sich im Stadion alles von den Fans anhören musste. Kraftausdrücke für die ich bestraft würde, wenn ich sie hier nenne. Xhaka und Shaqiri, mit ihrer persönlichen Geschichte, wurden nonstop aufs Übelste provoziert. Das ist für mich zehnmal schlimmer als der emotionale Doppeladler. Für Fussballer sollte übrigens dasselbe gelten, wie für uns Schauspieler: Man sollte uns alle für eine Stunde vor und nach der Vorstellung für unzurechnungsfähig erklären!»

Beat Schlatter.
Foto: Thomas Meier

Beni Thurnheer (68, Reporter-Legende)
«Den Spielern wird vorgeworfen, dass ihnen gegen Schweden das Feuer gefehlt habe. Nur: Seit hundert Jahren sieht jedes Team emotionslos aus, welches gegen Schweden spielen muss. Die Schweden haben uns bestens analysiert und unsere Ausnahmekönner Shaqiri und Xhaka aus dem Spiel genommen. Xhaka hinderten sie am Passen, Shaq konnte nie nach innen ziehen. Das Absurde war, dass wir uns vor dem Spiel gegen Schweden als Favoriten gesehen haben. Schweden war Erster in der Deutschland-Gruppe.

Wenn wir verlieren, sind alle enttäuscht. Obwohl eigentlich nur das Normale eingetroffen ist. Wir Schweizer haben schon bei der Schlacht am Morgarten gezeigt, was unsere Stärke ist. Wir sind Aussenseiter und müssen aus dem Hinterhalt zuschlagen, wollen wir gewinnen.Dieses demonstrative Selbstbewusstsein, welches die Nati vor dem Spiel ausgelebt hat, ist typisch deutsch oder französisch. Aber die Schweizer DNA ist eine andere. Auch ein Xhaka, ein Shaqiri oder Rodriguez sind total eingeschweizert. Und was das Image der Nati angeht: Schon nach dem nächsten Sieg ist es wieder aufpoliert. Im Fussball geht’s schnell.»

Beni Thurnheer.
Foto: freshfocus

Ana Maria Crnogorcevic (27, Nati-Spielerin):
«Es schien so, als ob der Mannschaft gegen Schweden der letzte Biss und einen Tick Tempo gefehlt haben. Ich konnte den Spielplan nicht erkennen, mit dem man den Gegner hätte bezwingen wollen. Vielleicht hat auch die letzte Frische gefehlt. Das Ausscheiden mit fehlendem Engagement oder gar dem Doppelbürger-Thema zu erklären, greift aber viel zu kurz. Ich drücke an dieser WM auch noch Kroatien, dem Land meiner Eltern, die Daumen.

Trotzdem gebe ich in der Nati für die Schweiz immer Vollgas.In solchen Momenten wie nach dem Schweden-Spiel melden sich viele Besserwisser zu Wort. Alle Spieler sind seit Jahren für die Schweiz im Einsatz, sie alle haben schon unzählige starke Partien gezeigt. Jeder hat alles gegeben. Die Spieler gurkt das Out selber am meisten an. Ich bin sicher, dass es in der Mannschaft einige schlaflose Nächte gab. In der WM-Quali wurde die gleiche Mannschaft noch gelobt. Heute top, morgen flop. Schon beim nächsten Spiel kann es wieder top sein. Von fehlender Identifikation habe ich nichts gespürt.»

Ana Maria Crnogorcevic.
Foto: Freshfocus

Gilbert Gress (76, Ex-Nati-Trainer)
«Bis zum Schweden-Spiel haben das die Schweizer ja toll gemacht. Und weil alle soviel erwartet haben, sind nun alle so enttäuscht. Aber einen Vorwurf kann man den Spielern nicht machen. Sie haben gewollt. Und was die Identifikation betrifft: Meine Frau und ich fühlen uns mehr als Schweizer, denn als Franzosen. Obwohl wir auch in Strasbourg wohnen. Doppelbürger sind doch heute ganz normal. Und sie machen uns besser.

Als ich noch Nati-Trainer war, wollten wir den Deutschen Oliver Neuville einbürgern. Leider hats damals nicht geklappt. Shaqiri, Behrami & Co. geben alles für die Schweiz – keine Frage. Sie betonen auch immer wieder, wie dankbar sie der Schweiz sind. Und der Doppeladler? Ganz ehrlich, ich wusste gar nicht, was er bedeutet. Lachen Sie nur! Ich war Fussballer und Trainer und kein Politiker.»

Gilbert Gress.
Foto: Keystone

Ueli Mäder (67, Soziologe)
«Ich kann nachvollziehen, dass manche Schweizer Mühe damit haben, wenn ein Nationalspieler den Doppeladler macht, als Zeichen seiner albanischen Identität. Die älteren Generationen, dazu zähle ich auch, sind Kinder der industriellen Moderne. Wir sind uns eindeutige Verhältnisse gewöhnt. Ja oder nein, schwarz oder weiss, 100 Prozent Schweizer oder 100 Prozent Albaner. Diese Kategorien gelten heute nicht mehr. Die Welt und die Schweiz sind vielseitiger geworden, das wird sich auch nicht mehr ändern, damit müssen wir leben.

Diese Pluralität hat auch ihre Vorteile: Die Identität definiert sich darüber, dass man Widersprüche und Ambivalenzen zulassen kann. Das zeigt sich in dieser Nationalmannschaft. Deshalb kann der Fussball hier ein Lernfeld sein. Denn dass man sich an diese neuen Verhältnisse gewöhnen muss, das kann ich verstehen. In einer Sache war die Nationalmannschaft übrigens klassisch Schweizerisch: Ich hätte mir auch gewünscht, die Nati hätte gegen Schweden offensiver gespielt, kreativer und mutiger. Aber wir als Schweizer sind ja auch eher zurückhaltend. Wir sagen lieber weniger, sind leise, gehen wenig Risiko ein. Die Kritik am sportlichen Auftritt im Achtelfinal war so gesehen eine Kritik an die Adresse des eigenen Schattens.»

Ueli Mäder
Foto: Derek Li Wan Po

Andy Egli (60, Ex-Nati-Spieler)
«Ich bin ein Fan unserer Nati, und zwar zu hundert Prozent. Dass die Mannschaft aufgrund der Migration anders zusammengesetzt ist als zu unserer Zeit, ist ja normal. Und ich sage: Der Schweizer Fussball hat sich dank den Menschen mit Migrationshintergrund, die sich auch in Schweizer Vereinen installiert und profiliert haben, weiterentwickelt.

Als wir uns 1994 für die WM qualifizierten, war das ein Exploit. Inzwischen sind Endrunden-Teilnahmen der Regelfall – und diesen Fortschritt haben wir zu grossem Teil den Secondos zu verdanken.»

Andy Egli.
Foto: Keystone

Aran (22, Coiffeuse)
«Ich hab die Spiele verfolgt und hab der Nati auch die Daumen gedrückt. Letztlich hätten aber sowohl Schweden wie auch die Schweiz den Viertelfinal nicht unbedingt verdient gehabt.»

Aran (22).
Foto: zVg

Valmir (33, Geschäftsführer eines Bau-Unternehmens)
«Ich habe die Nati nicht mitverfolgt. Ich bin immer unterwegs und habe gar keine Zeit, zu schauen. Hätte ich Zeit gehabt, hätte ich ihnen vielleicht die Daumen gedrückt.»

Valmir (33).
Foto: zVg

Sonja (56, Mode-Beraterin)
«Leider konnte ich nicht schauen, ich musste arbeiten. Aber mental hab ich die Nati unterstützt. Am Schluss war der Druck bei der Nati wohl etwas zu gross.»

Sonja (56)
Foto: zVg

Morena (12, Schülerin)
«Im Schweizer-Shirt hab ich der Nati während jedem Spiel die Daumen gedrückt. Sie haben gut gespielt. Es wäre schön gewesen, wenn sie weitergekommen wären.»

Morena (12)
Foto: zVg

Bajram (45, Busfahrer in Winterthur)
«Natürlich war ich enttäuscht über das WM-Aus gegen die Schweden, aber ich werde weiterhin ein grosser Fan der Nati sein und glaube, dass die Mannschaft daraus lernt und in zwei Jahren an der EM weit kommen wird. Und Granit Xhaka kommt stärker zurück als je zuvor.»

Bajram (45)
Foto: zVg

Celine (18, Detailhandelsangestellte)
«Ich habe das Spiel gegen Schweden nicht gesehen, musste arbeiten. Ich bin auch kein grosser Fussball-Fan. Dennoch habe ich's schade gefunden, dass die Schweiz ausgeschieden ist. Mir ist das Team sympathisch. Und ich habe den Riesen-Aufstand, den's nach den Doppeladler-Gesten gab, nicht ganz verstanden. Ich verstehe, dass das vielleicht als leichte Provokation wahrgenommen wird – aber bösartig war das nicht.»

Celine (18).
Foto: zVg
WM 2018 in Russland

Vom 14. Juni bis 15. Juli findet in Russland die Fussball-Weltmeisterschaft 2018 statt.

  • Alle Infos, Highlights und Hintergründe – kurz den WM-Ticker – finden Sie hier.
     
  • Sämtliche Ergebnisse und die besten Torjäger gibts hier in der Übersicht.
     
  • Die Spieler aller teilnehmenden Mannschaften im Porträt: Wer wie gut spielt, lesen Sie hier im interaktiven Special.

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