Captain Lichtsteiner verrät
So laufen die letzten Stunden vor dem Spiel

Heute 20.00 Uhr. Die Welt schaut auf unseren ersten WM-Auftritt gegen Brasilien. Doch wie verbringen die Spieler die letzten Stunden vor dem Anpfiff? Nati-Captain Stephan Lichtsteiner (34) verrät es im BLICK.
Publiziert: 17.06.2018 um 17:12 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2023 um 00:06 Uhr
Andreas Böni und Michael Wegmann

Die letzten Stunden vor dem Spiel gegen Brasilien *

Frühstück bis 10.00
Spaziergang 11.30
Leichte Mahlzeit 12.30
Abfahrt Materialwagen 16.30
Hauptmahlzeit 17.00
Sitzung 18.45
Abfahrt zum Spiel 19.00
Ankunft im Stadion 19.30
Start Brasilien – Schweiz 21.00

* Entspricht Ortszeit Rostow am Don. Schweizer Zeit: minus eine Stunde.

Stephan Lichtsteiner testet beim Abschlusstraining den Rasen.
Foto: TOTO MARTI
1/6

Es geht los! Endlich fängt die WM an. Doch in der Vorbereitung auf ein Spiel sind die Abläufe und wesentlichen Fixpunkte immer ziemlich ähnlich. Ob bei Juventus oder in der Qualifikation mit der Nationalmannschaft.

In der Nati ist es meist so, dass wir zwischen acht und zehn Uhr morgens frühstücken können. Je nach Befindlichkeit, Lust und Laune. Ich gehe meist gegen neun Uhr in den Frühstücksraum, trinke einen Kaffee, esse was Kleines, werfe dazu einen Blick in die aktuellen Medien und begebe mich in die Physio. Um den Körper ein wenig zu bewegen, bevor wir mit dem Team, den Trainern und dem Staff auf einen Spaziergang gehen, der in der Regel rund eine halbe Stunde dauert.

Danach folgt ein leichtes Mittagsmahl, vier Stunden vor Spielbeginn gibt es Salat und vor allem Spaghetti mit Tomaten- oder Bologneser Sauce, um den Kohlenhydratspeicher für die Partie aufzufüllen und richtig bereit zu sein. Danach ziehe ich mich zum Lesen aufs Zimmer zurück. Und wenn es geht, schlafe ich ein wenig.

Lichtsteiner erklärt, wie er die letzten Stunden vor Abpfiff verbringt.
Foto: KEY

Langsam, ganz langsam baut man die Spannung auf. Das Spiel rückt näher, die Spannung steigt  spätestens  nach  der Taktik-Besprechung im Teamhotel, unmittelbar bevor wir rausgehen.

Im Bus Richtung Stadion höre ich manchmal Musik. Nichts Spezielles, querbeet. Die Konzentration steigt von Minute zu Minute.

Klar ist für mich im Stadion jeweils, dass ich sofort auf den Rasen gehe. Mir anschaue, wie der Platz ist. Ihn fühle, ihn spüre. Danach gehe ich in die Kabine. Führe Einzelgespräche mit jungen Spielern, die zum Beispiel das erste Mal von Anfang an auf­laufen an einer WM. Wer die Team-Ansprache übernimmt, wenige Sekunden bevor wir als Team rausgehen zum Spiel, verrate ich nicht.

Eine spezielle Reihenfolge beim Anziehen habe ich nicht. Ich bin nicht abergläubisch.

Wenn ich dann auf dem Platz stehe, dann geht es um Stolz, Heimat und eine tiefe Verbundenheit. Es ist immer speziell für die Schweiz, meine Liebe, mein Land.

Wenn dann die National­hymne ertönt, ist das Emotion pur. Aber meist bin ich so fokussiert aufs Spiel und konzentriert auf die folgenden Aufgaben, dass ich einfach mitsinge, ohne gross darüber nachzudenken.

Die Hymne habe ich mir übrigens selbst beigebracht. Im Internet. Wir haben ja keine Hymnen-Kultur wie etwa Italien oder die USA, in der jeder Schultag mit der Nationalhymne beginnt. Ich singe sie gerne. Es spielt mir keine
Rolle, ob es meine Kollegen auch tun. Jeder soll es so machen, wie es für ihn am besten passt. Es ist etwas, das unser Land besonders auszeichnet, wir sind sehr tolerant. Wenn man sieht, was die Spieler auf dem Platz danach für uns geben, dann geht das absolut in Ordnung so. Ihnen kann niemand ernsthaft fehlende Identifikation vorwerfen. Auch wenn sie die Hymne nicht anstimmen.

Danach folgt der Wimpeltausch mit dem Captain, die Auslosung des Anstossrechts mit dem Schiedsrichter und schliesslich der Anpfiff. Endlich!»

Karli Odermatt (Mitte) an der WM 1966 in England.

Karli Odermatt, Deutschland – Serbien 5:0, WM 1966 in England

Ich erinnere mich noch bestens an jenen Tag im Juli 1966. Wie jeden Morgen wurden wir Spieler geweckt. Ich teilte das Hotelzimmer mit Fritz Künzli, wir waren damals immer in Zweierzimmer eingeteilt. Kaum war ich wach, wusste ich, dass ich gegen Deutschland zur Startformation gehöre. Wissen Sie, wie ich das erfahren habe? Trainer Alfredo Foni hat uns bei der Tagwache gesagt, dass er denjenigen die Hand schüttle, die von Beginn weg spielen würden. Den anderen würde er nur guten Tag sagen. Mir hat er die Hand geschüttelt, Fritz nicht. Klar war mein Zimmer­kumpel da schon ein bisschen angesäuert.

Kurze Zeit später beim Morgenessen waren wir alle geschockt! Dottore Foni teilte uns mit, dass er Köbi Kuhn, Verteidiger Werner Leimgruber und Goalie Leo Eichmann suspendiert habe, da sie am Abend zuvor den Zapfenstreich nicht eingehalten hätten. Sie hatten sich von zwei Damen zu einer Spritztour durch Sheffield einladen lassen und sind zu spät ins Hotel zurückgekehrt.

Das Durcheinander war natürlich riesig, die Aufregung gross. Ob wir geschwächt waren? Klar, Köbi hat gefehlt, er war damals wirklich grandios. Aber was soll man machen? Der Trainer hat nun mal so entschieden.

Wir versuchten uns, so gut es geht, aufs Spiel gegen Deutschland vorzubereiten. Gegen Deutsch­land mit Haller, Beckenbauer, Seeler. Zum Mittagessen gab es wie immer unser ‹Olympia-Menü›. Spinat, Kartoffelstock und Filet. Davor einen Salat. Fritz ass den Salat nie, er sagte immer: ‹Das Gras esse ich nicht, ich bin doch keine Kuh!›

Irgendwann der obligate Spaziergang und dann die Fahrt ins Stadion. Ich war so nervös wie noch nie. Es war WM. Das war besonders speziell, da sich damals 16 Teams qualifizieren konnten. Ich musste wegen der Sus­pensionen übrigens als rechter Flügelstürmer ran. Mein direkter Gegenspieler war Karl-Heinz Schnellinger. Er spielte damals bei der AC Milan und war wirklich schnell. Wir verloren 0:5.

Mit Kuhn und Leimgruber hätten wir wohl nicht ganz so hoch verloren – verloren hätten wir dennoch. Denn Deutschland war ein Weltklasse-Team.

Die ‹Nacht von Sheffield› hat uns während des ganzen Turniers keine Ruhe mehr gelassen. So ein Durcheinander habe ich nie mehr erlebt. Irgendwann wurden sogar die Ehefrauen der drei Spieler eingeflogen, damit Ruhe einkehrt. Das war natürlich totaler Quatsch, denn damit machte man mich und den Rest der Mannschaft natürlich sauer.»

Georges Bregy (l.) mit Alain Sutter.

Georges Bregy, USA – Schweiz 1:1, WM 1994 in den USA

Die Vorbereitung auf das erste Spiel in Detroit war intensiv. Die Sonne auch. Trainer Roy Hodgson gab uns die
Erlaubnis, eine Stunde an den Pool zu gehen. Einige Spieler nahmen diese Vorgabe nicht so ernst und blieben länger – sie kamen mit heftigem Sonnenbrand zum Training. Der Trainer war sehr wütend darüber – und der Arzt hatte alle Hände voll zu tun. Am Spieltag selber war es mühsam, dass die Partie gegen die USA schon am Mittag stattfand. Wir mussten morgens um halb acht den Kohlenhydratspeicher füllen. Spaghetti zum Zmorge, es war hart.

Aber dann vor 88 000 Fans zu spielen, wenn du in der Schweiz 6000 gewohnt bist, war ein Traum. Wir haben wegen der Hitze drei Kilo Gewicht verloren. Aber es war so schön, dass ich es gar nicht bemerkt habe.»

Alex Frei (r.) zum Spiel gegen Frankreich 2006: «Ich habe vor Anpfiff vier Liter getrunken.»

Alex Frei, Frankreich – Schweiz 0:0, WM 2006 in Deutschland

Ja, jenes Spiel gegen Frankreich gleich zum Start. Wir wussten, dass wir klarer Aussenseiter sind – und dass es in Stuttgart brutal heiss wird. Wie vor jedem Spiel habe ich zwei bis drei Stunden geschlafen, das habe ich am Spieltag immer so gehalten. Und wir haben unser Trink­verhalten geändert.

Ich habe bis zum Spielbeginn rund vier Liter getrunken, während der Partie dann nicht mehr viel. In der Halbzeit habe ich mir immer einen Kaffee gegönnt, meine ganze Karriere lang. Beim BVB gab es ihn im Krug und beim FCB hatten wir eine Kaffeemaschine. Die haben wir übrigens auch zu den Auswärtsspielen mitgenommen. Gegen Frankreich hat es Glück gebracht: Das 0:0 war ein gutes Resultat.»

Gelson bejubelt seinen Treffer gegen Spanien beim WM-Startspiel 2010.
Foto: TOTO MARTI

Gelson Fernandes, Spanien – Schweiz 0:1, WM 2010 in Südafrika

Ich war sehr nervös am Tag vor dem Spiel gegen Spanien. Aus drei Gründen: Weil ich erst 23 Jahre alt war. Weil meine erste WM-Partie anstand. Und weil ich wusste, dass ich links aussen spiele, was nicht gerade meine Lieblingsposition ist.

Wir wohnten in Durban in einem schönen Hotel am Strand. Ich weiss noch, dass Trainer Ottmar Hitzfeld sagte, dass uns die Vuvuzelas stören könnten, weil sie laut sind. Am Morgen des Spiels ist dann Ludovic Magnin zu mir gekommen und hat gesagt: ‹Habt Spass, spielt mutig, dann werdet ihr belohnt.› Ich habe mich bei ihm bedankt.

Ja, und dann gelingt mir dieses Tor … Es waren grosse Emotionen. Doch nach dem Spiel konnte ich erst nicht mit meinen Teamkollegen feiern – ich musste zur Doping­kontrolle und konnte dort nicht so schnell pinkeln, wie ich wollte.»

«Ich war nicht nervös» – Behrami zu den Stunden vor seiner dritten WM, im Jahr 2014.
Foto: Blicksport

Valon Behrami, Schweiz – Ecuador 2:1, WM 2014 in Brasilien

Brasilien 2014 war ja nach 2006 und 2010 schon meine dritte WM und eigentlich konnte es ja nur besser werden. 2006 war ich noch ein Kind, da habe ich wenig gespielt. Und 2010 bin ich ganz schnell mit einer Roten Karte vom Platz geflogen. Damals war ich vor der WM wochenlang nervös, verbrauchte deshalb sehr viel Energie.

2014 gegen Ecuador wars anders: Ich war nicht nervös. Vielleicht bin ich am Abend vorher ein bisschen später eingeschlafen.

Aber sonst? Nein, nichts Spezielles. Ich habe mich am Matchtag nicht anders vorbereitet als sonst auch. Ich habe wie immer wenig gegessen und viel Wasser getrunken. Andere schlafen vor einem Spiel, ich brauche das nicht. Es ist ja damals gut herausgekommen. Für mich und für die ganze Mannschaft.»

WM 2018 in Russland

Vom 14. Juni bis 15. Juli findet in Russland die Fussball-Weltmeisterschaft 2018 statt.

  • Alle Infos, Highlights und Hintergründe – kurz den WM-Ticker – finden Sie hier.
     
  • Sämtliche Ergebnisse und die besten Torjäger gibts hier in der Übersicht.
     
  • Die Spieler aller teilnehmenden Mannschaften im Porträt: Wer wie gut spielt, lesen Sie hier im interaktiven Special.

Vom 14. Juni bis 15. Juli findet in Russland die Fussball-Weltmeisterschaft 2018 statt.

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