Von «Wunder-Coach» Favre bis Schmidt
Schweizer Trainer-Debüts in der Bundesliga

Die Mission von Christian Gross ist nicht das grösste Himmelfahrtskommando, das ein Schweizer Trainer in der Bundesliga gestartet hat. Dieses ist jenes von Lucien Favre in Gladbach. Es endete mit einem Wunder!
Publiziert: 02.01.2021 um 12:20 Uhr
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Aktualisiert: 02.01.2021 um 18:24 Uhr
Alain Kunz

«Wunder-Trainer» Lucien Favre

Lucien Favre übernimmt Mönchengladbach im Februar 2011 nach der 22. Runde auf dem letzten Platz von Michael Frontzeck. Sieben Punkte hinter dem rettenden Ufer. Im Klub will man Favre ein Denkmal erreichten, sollte er die Klasse halten. Er selbst sagt: «Es wäre kein Wunder.» Beim Debüt des Waadtländers gewinnen die Fohlen 2:1 gegen Schalke. Favre führt die Fohlen in die Relegation gegen den VfL Bochum und dort zum Klassenerhalt. Die BILD spricht von «Wunder-Rettung» und «Wunder-Trainer». An der Jahres-Hauptversammlung gibts Standing Ovations. Das Favre-Wunder könnte Schalke/Gross Mut machen. Einzig: Die Knappen haben keine Spieler vom Format eines Ter Stegen, Reus, Herrmann, Dante oder Neustädter wie Favre damals.

Gross führt Stuttgart von 16 auf 6!

Die zweite Mission, die ein glückliches Ende findet, ist jene von… Gross selber. In Stuttgart. Sie ist aber kein Himmelfahrtskommando. Als er im Dezember 2009 nach 15 Runden für Markus Babbel kommt, liegen die Schwaben auf dem drittletzten Platz, nur einen Zähler vom rettenden Ufer entfernt. Zum Start gibts ein 1:1 in Mainz mit einem gewissen Thomas Tuchel an der Linie. Wegen einer Tätlichkeit von Torhüter Jens Lehmann in der Schlussminute verliert der VfB zwei Punkte. Der Exzentriker legt sich danach mit einem Kameramann und einem Fan an, klaut diesem sogar die Brille. Und Gross stellt fest: «Es stehen jetzt Dinge an, die wir lösen müssen.» Der Höngger schafft das. Und wie! Am Ende sind die Stuttgarter Sechste. In der nächsten Saison muss Gross nach einem 1:2 gegen Frankfurt auf dem letzten Platz liegend gehen.

Martin Schmidt wie ein zwölfter Feldspieler

Der Dritte im helvetischen Retterbunde ist Martin Schmidt. Der Oberwalliser übernimmt Mainz im Februar 2015 auf Platz 14, nur einen Punkt vom Abstieg entfernt. Zum Start gibts ein 3:1 gegen Frankfurt. «Da stand nicht nur Mainz 05 drauf, da war Mainz 05 drin», sagt FSV-Präsident Harald Strutz. Und der damalige Manager Christian Heidel, der nach drei Jahren bei Schalke nun Sportvorstand bei 05 ist, frohlockt über seinen Coup, Nobody Schmidt zum Chef ernannt zu haben, der zuvor die Reserven trainiert hatte: «Er coachte wie ein zwölfter Feldspieler.» Schmidt rettet Mainz souverän. Den Klassenerhalt schafft er in zwei weiteren Spielzeiten, bevor Ende Saison 16/17 Feierabend ist. Mittlerweile ist Schmidt zurück bei den Hessen – als Sportdirektor.

Auf Christian Gross wartet bei Schalke eine Herkulesaufgabe.
Foto: imago images/Team 2
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Und wer scheiterte? Es sind jene, die den 1. FC Köln trainierten. Sowohl Marcel Koller 2003 wie auch Hanspeter Latour 2006 kamen am Rhein als Feuerwehrleute - und konnten den Brand nicht löschen.

Koller steigt sang- und klanglos ab

Kollers Start in die Karriere als Bundesliga-Coach ist ein Desaster. Der 1. FC Köln liegt auf dem drittletzten Platz, als Koller in der 12. Runde für Jos Luhukay respektive Friedhelm Funkel kommt. Bei seinem Debüt verliert er im November 2003 gleich mit 0:4 gegen Bochum. Die Kölner Fans verhöhnen das eigene Team mit «Oh wie ist das schön!»-Gesängen und Applaus für den gegnerischen Trainer Neururer. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht «Das nackte Grauen» und Mario Basler stellt im TV fest, dass da auch der beste Trainer der Welt nichts machen könne. Kollers Engagement steht unter einem schlechten Stern. Er holt lediglich 0,67 Punkte pro Spiel. Ein Schnitt, mit dem er der schlechteste Trainer der Bundesliga-Geschichte wäre. Der FC steigt als abgeschlagen Letzter sang- und klanglos ab. Mit Koller, der daraufhin gehen muss – trotz anderweitiger Beteuerungen des Klubs bei Dienstantritt. Die Mission war möglich. Dennoch scheitert Koller. Besser läuft es ihm bei Bochum. Er steigt mit dem VfL auf und hält ihn drei Jahre in der Bundesliga, bevor er nach einem schlechten Saisonstart auf Druck der Fans gehen muss.

Der Bergdoktor findet die richtige Impfung nicht

Hanspeter Latour wird im Januar 2006 nach einer miserablen Vorrunde überraschend Köln-Coach und ersetzte Uwe Rapolder. Die Geissböcke liegen da punkgleicht mit dem Letzten auf dem Relegationsplatz. Zum Start verliert der Berner gegen Aufsteiger Mainz mit einem gewissen Jürgen Klopp an der Seitenlinie 2:4. Die Fans drehen fast durch: «Wir haben die Schnauze voll», singen sie. Der «Express» macht den jovialen Naturfreund flugs zum Bergdoktor. Doch die richtige Medizin findet Latour nicht. Köln wird Zweitletzter und steigt ab. Latour aber darf bleiben, doch als der FC in der zweiten Liga nach elf Runden auf Platz acht abrutscht, ist auch für den Eidgenossen Feierabend.

Alle Debütspiele von Schweizer Trainern in der 1. Bundesliga

Trainer Klub Debütspiel Datum

  • Rolf Fringer* VfB Stuttgart Stuttgart – Uerdingen 0:0 11.8.1995
  • Martin Andermatt SSV Ulm 1846 Ulm – Freiburg 1:1 15.8.1999
  • Marcel Koller 1. FC Köln Bochum – Köln 4:0 8.11.2003
  • Marcel Koller VfL Bochum Mainz – Bochum 2:1 12.8.2006
  • Hanspeter Latour 1. FC Köln Mainz – Köln 4:2 28.1.2006
  • Christian Gross VfB Stuttgart Mainz – Stuttgart 1:1 13.12.2009
  • Lucien Favre Hertha BSC Berlin Frankfurt – Hertha 2:1 4.8.2007
  • Lucien Favre Borussia Mönchengladbach Gladbach – Schalke 2:1 20.2.2011
  • Lucien Favre Borussia Dortmund BVB – Leipzig 4:1 26.8.2018
  • Martin Schmidt 1. FSV Mainz 05 Mainz – Frankfurt 3:1 21.2.2015
  • Martin Schmidt VfL Wolfsburg Wolfsburg – Bremen 1:1 19.9.2017
  • Martin Schmidt FC Augsburg Frankfurt – Augsburg 1:3 14.4.2019
  • Urs Fischer 1. FC Union Berlin Union – Leipzig 0:4 18.8.2019

(*Der ehemalige Nati-Coach ist in Adliswil ZH geboren und in der Wahrnehmung Schweizer, hat aber einzig den österreichischen Pass)

Das Debüt von Marcel Koller als Köln-Trainer 2003 endet in einem Desaster. Da kann der Zürcher schreien, wie er will.
Walter L. Keller

Trainer Klub Debütspiel Datum

  • Rolf Fringer* VfB Stuttgart Stuttgart – Uerdingen 0:0 11.8.1995
  • Martin Andermatt SSV Ulm 1846 Ulm – Freiburg 1:1 15.8.1999
  • Marcel Koller 1. FC Köln Bochum – Köln 4:0 8.11.2003
  • Marcel Koller VfL Bochum Mainz – Bochum 2:1 12.8.2006
  • Hanspeter Latour 1. FC Köln Mainz – Köln 4:2 28.1.2006
  • Christian Gross VfB Stuttgart Mainz – Stuttgart 1:1 13.12.2009
  • Lucien Favre Hertha BSC Berlin Frankfurt – Hertha 2:1 4.8.2007
  • Lucien Favre Borussia Mönchengladbach Gladbach – Schalke 2:1 20.2.2011
  • Lucien Favre Borussia Dortmund BVB – Leipzig 4:1 26.8.2018
  • Martin Schmidt 1. FSV Mainz 05 Mainz – Frankfurt 3:1 21.2.2015
  • Martin Schmidt VfL Wolfsburg Wolfsburg – Bremen 1:1 19.9.2017
  • Martin Schmidt FC Augsburg Frankfurt – Augsburg 1:3 14.4.2019
  • Urs Fischer 1. FC Union Berlin Union – Leipzig 0:4 18.8.2019

(*Der ehemalige Nati-Coach ist in Adliswil ZH geboren und in der Wahrnehmung Schweizer, hat aber einzig den österreichischen Pass)

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