YB-Star Nsame ist in Frankreich angeklagt
«Es zerreisst mich, dass ich mein Kind nicht sehen darf»

Im November 2015 wird Jean-Pierre Nsame der Kindsmisshandlung angeklagt. Und er stiert seinen Wechsel von Servette nach Bern durch. Der neue YB-Topskorer hat ein bewegtes Leben hinter und noch viele Tore vor sich.
Publiziert: 01.10.2017 um 12:09 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 01:34 Uhr
Alain Kunz

Jean-Pierre Nsame, die wichtigste Frage vorneweg: Schreiben Sie sich nun mit Accent aigu, also so: Nsamé. Oder ohne: Nsame?
Jean-Pierre Nsame: Ohne! In der lokalen kamerunischen Sprache namens Le Douala schreibt man den Namen ohne Accent. Auch im Pass hats keinen. Der Accent kam erst in Frankreich und in der Schweiz dazu.

Sie kommen aus der Challenge League, haben schon fünf Tore auf dem Konto. Der Wechsel in die höhere Liga klappte scheinbar spielerisch?
Da bin ich auch ein wenig überrascht. Es ging sehr schnell. Die Verteidiger sind viel besser als in der Challenge League. Aber ich arbeite enorm hart und mache offenbar auch Fortschritte… Und: ich bin in einem starken Team!

Kannten Sie Guillaume Hoarau schon bevor sie hierherkamen?
Natürlich, vom Fernsehen. Der war ja ein Star bei PSG.

Wie erleben Sie ihn?
Er ist wie ein grosser Bruder. Wir verstehen uns sehr gut. Er hat mir bei der Integration enorm geholfen.

Aber im Moment haben Sie einen Stammplatz, weil er verletzt fehlt. Ist er fit, bleibt bloss noch ein Stürmerplatz.
Ich denke nicht so. Wir sind vorne komplementär. Es sind zwei Plätze zu vergeben. Und es hat so viele Spiele. Klar ist: Ist er zurück, nimmt er seinen Platz wieder ein.

Bei ihrem Wechsel von Servette zu YB gabs Misstöne. Haben Sie ihn erzwungen?
Nein. Ich habe fünf Monate überlegt, ob ich wechseln soll, derart gut gefiel es mir in Genf, gefiel mir das Projekt, Servette wieder erstklassig werden zu lassen.

Und dann?
Dann sagte ich mir, ich sei 24. Da sei es an der Zeit, den nächsten Schritt zu machen. Denn ich bin enorm ehrgeizig. Ich setze mir keine Grenzen.

Die Fans haben das nicht so gut aufgenommen. Sie haben sich nur negativ geäussert.
Ich verstehe das auch ein Stück weit. Ich bin ja auch ein Fan.

Von wem?
Real Madrid.

Weshalb waren die Fans denn derart wütend?
Sie wollten natürlich, dass ein gutes Element ihrem Klub erhalten bleibt, ganz einfach. Das sind Emotionen. Aber meine Mission in Genf war beendet. Eine weitere Saison hätte mich blockiert.

Warum YB?
Das war eine natürliche Wahl. Ich kannte schon einige Spieler wie Yoric Ravet, der ja nun nicht mehr da ist. Wir haben gemeinsam bei Angers gespielt. Und YB ist der frankophonste Klub der Deutschschweiz.

Wie war Ihre Kindheit in Douala?
Schwierig. Wir lebten in ärmlichen Verhältnissen. Aber diese Armut hat mich auch reich an Erfahrungen gemacht. Meine Mutter hat mich mit sechs Jahren nach Europa ziehen lassen. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar.

Das muss ein Schock gewesen sein.
Das war ein Schock! Überall Beton, Autos, Busse. Meine Augen waren riesig, denn das alles kannte ich nicht. Ich sehe heute noch vor mir, wie ich in dieses Auto in Paris steige, das mein Vater fuhr. Ich dachte mir: Wo bin ich denn da? Ich kannte ja nur Afrika. Wir hatten keine Fernseher. Und wenn wir TV schauten, dann nur Fussball. Dort sah man nur grün, das Spielfeld, weshalb ich dachte, auch ganz Europa sei grün. Und nicht grau.

Wie haben Sie diesen Schock überwunden?
Ich stellte mir nicht viele Fragen. Ich bin da Fatalist und kann mich sehr gut anpassen. Das ist mein Lebensparcours, um reifer zu werden, um gross zu werden. Aber ich war ja nicht alleine, sondern zusammen mit meiner ein Jahr jüngeren Schwester bei meinem Vater und seiner neuen Frau. Und dann war da noch was.

Was?
Ich wollte unter keinen Umständen, dass sich meine Mutter umsonst aufgeopfert hat, als sie uns ein besseres Leben ermöglichen wollte. Denn ich sehe ihre Tränen am Flughafen heute noch vor mir! Es hat sie zerrissen. Und mir hatte man gesagt, ich fahre vorerst zwei Monate in die Ferien…

Hat Sie ihre Mutter schon in Bern besucht?
Nein. Ich hoffe aber, dass sie bald kommt. Ich habe sie ohnehin erst kürzlich erstmals nach 18 Jahren wieder gesehen, als ich das erste Aufgebot für unsere Nationalmannschaft erhalten habe und für das Spiel gegen Nigeria nach Douala flog.

Wie war diese Begegnung?
Emotionsgeladen. Ein Moment voller Glück. Es hat mich geschüttelt. Hey, sie ist meine Mutter!

Hatten Sie nie die Gelegenheit, sie zu besuchen?
Nein. Es hat sich wirklich nie ergeben.

Zu ihrem Leben gehört auch die Episode vom November 2015, als sie verdächtigt wurden, ihr Neugeborenes geschüttelt zu haben, bis es bewusstlos wurde und reanimiert werden musste. Weshalb Sie verhaftet und der Kindsmisshandlung angeklagt wurden. Ist die Sache nun vom Tisch?
Nein. Sie gehört zu meinem Lebensparcours. Ich nehme es als Periode, aus der ich Kraft ziehe, die mich stärker macht.

Was haben Sie daraus gelernt?
Dass das Leben wichtiger ist als alles andere und dass dieser Ausrutscher nie hätte passieren dürfen. Wenn ich daran denke, dann fühlt es sich so an, wie wenn jemand mit einem Messer in einer Wunde rührt. Aber für mich zählt nur eines: Dass meine Frau und mein unterdessen zweijähriges Kind wohlauf sind.

Warum ist die Sache denn noch nicht ausgestanden?
Das ist eben Frankreich. Dort laufen die Mühlen sehr langsam.

Wo ist Ihre Familie aktuell?
In der Normandie bei meiner Grossmutter.

Sie dürfen sich Frau und Tochter nach wie vor nicht nähern?
Nein. Und das zerreisst mich fast! Das ist doch normal für einen Vater. Ich liebe meine Tochter über alles. Umso härter arbeite ich jeden Tag, um auch ihr ein gutes Leben zu ermöglichen. Viele Leute fragen mich, wie ich es schaffe, das durchzustehen.

Wann dürfen Sie sie wieder in die Arme schliessen?
Bald!

Was fehlt denn noch?
Dass die Justiz zum Schluss kommt, dass ich unschuldig bin.

Und: Sind sie es? Haben Sie ihr Baby geschüttelt?
Was geschrieben wurde, stimmt schlicht nicht. Da wurden voreilig Schlüsse gezogen. Mehr kann und darf ich nicht sagen.

Sie sind wie ein Krimineller behandelt worden. Und dann ist das Ganze noch in der Öffentlichkeit breitgetreten worden.
Das ist halt so im Fussball. Das gehört dazu. So ist das Leben. Darf ich zum Schluss was fragen?

Nur zu.
Haben Sie schon einmal solch eine Lebensgeschichte wie die meine erzählt?

Keine Geschichte ist wie die andere. Eine exakt gleiche also nicht. Aber ähnliche. Allerdings ist Ihre Lebensgeschichte schon eine sehr spezielle. Und spannende.

*****

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