YB-Meisternacht von 2018 jährt sich
«Gestandene Männer weinten hemmunglos»

Am Dienstag jährt sich der Tag, der für Bern Kantonalfeiertags-Charakter hat, zum zweiten Mal: der 28. April. Die Erinnerungen von Meisterheld Marco Wölfli (37), welcher der Dinge harrt, die da kommen.
Publiziert: 26.04.2020 um 11:58 Uhr
Alain Kunz

Einmal mehr klettert Marco Wölfli auf den Baum. Können Wölfe klettern? Dieser schon. Dort steht nämlich das Baumhaus, das er für seine beiden Kids gebaut hat. «Ich bin mittlerweile wohl mehr dort oben als Rio und Yuri», sagt der aktuelle YB-Ersatzkeeper lachend. 37 ist er nun. Und fit wie ehedem. Einziger Unterschied zu den vorangegangenen 20 YB-Saisons: Wölfli ist nun offiziell im Status eines auf Ende Saison Zurücktretenden.

Auch er vermisst sehnlichst den Kontakt mit seinen Mitspielern, seinen Jungs, wie er sie nennt. Er, der der Vater der Jüngsten sein könnte. «Immerhin haben wir dreimal pro Woche Zoom-Trainings. So halten wir regelmässig Kontakt.» Und sonst? «Ich habe das Büro aufgeräumt. Die Garage. Ich geniesse die Natur. Meine Familie. Wir kochen gemeinsam. Wir hocken wohl eng aufeinander. Aber ich habe das Glück, dass wir einen Garten haben. Und die Schweiz, dass man noch hinauskann, um Sport zu treiben. Auch da gilt: Das Positive sehen.»

Und so macht sich der Meisterheld von 2018 auch keine Gedanken um das Abschiedsspiel, das ihm YB versprochen hat. Es soll in der neuen Spielzeit steigen. Irgendwann. «Wann ist im Moment nicht mal ansatzweise planbar. Der Zeitpunkt ist aber auch egal. Und auch das hat etwas Gutes: Ich muss mich in Form halten, damit ich dann noch ein paar Zentimeter vom Boden wegkomme.» Klar ist für ihn nur eines: Ohne Publikum macht ein Abschiedsspiel keinen Sinn.

Penalty-Killer: Wölflis Glanztat bei Gvilias Elfer ebnet YB den Weg zum Titel 2018.
Foto: Keystone
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Für die Fortsetzung der Saison indes sind Geisterspiele unabdingbar. «Man muss den richtigen Zeitpunkt finden, um die Saison regulär zu beenden», denkt Wölfli. Wann erscheint es sinnvoll? «Es bringt nichts, sich da Gedanken zu machen. Mir scheint wichtig, dass man nicht fahrlässig wird. Und so nehmen wir nun Tag für Tag.» In Analogie zur Fussball-Floskel, Spiel für Spiel zu nehmen. Sicher ist nur: Sollte die aktuelle Saison fertig gespielt werden können, wird Wölflis Karriere nicht am 30. Juni beendet sein, wenn sein Arbeitsvertrag ausläuft. «Dann setze ich mich mit Sportchef Christoph Spycher zusammen und wir verlängern um ein paar Wochen. Kein Problem.»

Doch zuerst steht ohnehin ein anderes Datum an, das sich wie kein anderes ins kollektive Gedächtnis des gemeinen Berner Sportskameraden eingebrannt hat: Der 28. April 2018. Der Tag, der die Berner nach 32 Jahren des Mitleids mit der Wortkreation «veryoungboysen» als Höhepunkt des Spotts erlöste. Der Tag, an dem YB erstmals wieder seit 1986 Meister wurde. Der Tag, der Kantonalfeiertags-Charakter im Kanton Bern hat. Der Tag, von welchem jeder Berner Sportinteressierte noch haargenau weiss, wo er war. Wie bei 9-11.

«Das war eine Explosion»

«In der Tat hat sich dieses Datum fix eingebrannt», sagt Wölfli. «Es leuchtet in allen Berner Agenden seither gelbschwarz. Und nicht nur. Ich glaube, fast die ganze Fussballschweiz hat sich zumindest ein klein bisschen mitgefreut. Klar, jeder Anhänger eines rivalisierenden Klubs dachte: Schade sind wir es nicht geworden. Doch danach freute sich jeder, der ein Sportherz hat, sicher mit uns.»

Drei Momente sind es, die diesen Wahnsinn prägten, der an besagtem Tag das Stade de Suisse in seinen Grundfesten erzittern liess. 76. Minute. Stürmer Guillaume Hoarau hilft im eigenen Strafraum aus, räumt unbeholfen den Luzerner Schmid weg. Penalty Gvilia. Doch Wölfli, dieser Fuchs, erahnt die Ecke, lenkt die Kugel an Pfosten und Latte, von wo sie in seine Arme fliegt.

«Ich war so geladen, dass ich nicht mehr weiss, was ich da gedacht habe. Nur eines, und das sieht man in meinen Augen heute noch: Ich wollte diesen Ball unbedingt halten. Um alles in der Welt! Und ich spürte: Heute liegt Magie in der Luft. Da klappt das.»

Und als er den Ball in den Armen hielt, hatte nur noch ein Gedanke Platz: «Jetzt erst recht! Jetzt muss er vorne rein. Wir wollen nicht länger warten. Ich sah die Fans und merkte: Die denken genauso und peitschen uns nach vorne.»

89. Minute Sulejmani flankt auf Hoarau, der legt auf für Jean-Pierre Nsame. Und der Joker macht das Tor, das ihn in Bern auf alle Zeiten unsterblich macht. Im Stadion drehen alle durch.

«Das war eine Explosion. Hühnerhaut pur! Ich ging aber nicht nach vorne, um mitzujubeln», erinnert sich Wölfli. «Ich rannte wie von Sinnen in meiner Platzhälfte hin und her. Das habe ich alles noch haargenau im Kopf. Ich suchte meine Leute, meine Familie, meine Freunde auf der Tribüne. Und hatte gleich den nächsten Gedanken: Bitte sofort abpfeifen. Doch diesen Gefallen tat man uns nicht.»

Aber YB muss nur noch einige Minuten leiden. Nach 94:04 Minuten pfeift Ref Klossner ab. Meister! Was fast schon irr war: Nach einer engen Vorrunde hatten die Berner im Frühling keine Konkurrenz mehr. Schon seit Wochen ging es nur noch darum, wann das aus Basler Sicht Unausweichliche würde Realität werden. So gesehen war das, was sich am 28. April begab, bloss noch Vollzug. Aber was für einer!

«Zuerst diese gigantische Erleichterung, als der Schiri abpfiff. Und dann sah ich nur noch schwarz», so Wölfli. «In Sekundenschnelle waren gefühlt alle Fans auf dem Platz. Aber ich hatte so viel Adrenalin in mir, dass mich hundert Leute hätten begraben können, ich hätte sie alle weggedrückt. Die ersten, und das weiss ich noch ganz genau, waren Stevie von Bergen, Guillaume Hoarau und Thorsten Schick. Und dann die Fans. Immer wieder erkannte ich ein Gesicht, erkannte ich Freunde. Unvergessen, was man in deren Augen sah. Gestandene Männer, die hemmungslos vor Freude weinten. Momente für die Ewigkeit!»

Es nimmt ihren Lauf die unvergessenste Nacht in der Geschichte des Berner Sports. «Was in der Kabine abging, war abartig! Und dann, als wir irgendwann in der VIP-Lounge waren und sahen, dass das Stadion auch Stunden danach noch voll war, die Fans aus ‹scharlachrot› von Patent Ochsner ‹gäubschwarz› machten und das ganze Stadion sang – einfach einmalig.»

Um halb acht morgens zu Hause

In der Stadt setzt sich das närrische Treiben fort. «Da erinnere ich mich nicht mehr an alle Details. Was geblieben ist: Die Feier war umso schöner, als es die ganze Nacht friedlich blieb. Zweitens, dass wir Alten den Jungen zeigten, wie man Party macht. Und dass meine Kinder heute noch wissen, dass das der Tag war, an dem der Papi erst um halb acht morgens nach Hause kam.»

Als Wölfli, die YB-Legende, die schon zum Ritter von der traurigen Gestalt zu werden drohte wie der notorische Verlierer Don Quijote in Cervantes’ Romanen, plötzlich zum Meisterhelden und zum Idol einer ganzen Generation wird, so hat das etwas rettungslos Kitschiges an sich. «Dieser Samstagabend hatte etwas von einem schlechten Hollywood-Film», so der Grenchner. Und als er das sagt, wird seine Stimme leicht brüchig. Auch zwei Jahre danach noch. Man meint die leicht feuchten Augen zu erahnen, welche die Erinnerungen an diese unfassbaren Emotionen wecken. Die Emotionen vom 28. April.

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