St. Gallens neuer Publikumsliebling Zigi
«Mit 12 habe ich meinen Vater verloren»

Ist Zigi das entscheidende Puzzle-Teil, das dem FCSG für den ersten Titel seit 20 Jahren noch fehlte? Der Wechsel auf dem Goalie-Posten spülte schon mal 1,1 Mio Fr. in die Kasse. Der Leader erhielt dafür einen absoluten Publikumsliebling. Einen gottesfürchtigen dazu.
Publiziert: 16.02.2020 um 00:21 Uhr
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Aktualisiert: 16.02.2020 um 10:47 Uhr
Kaum in St. Gallen angekommen, ist Lawrence Ati Zigi bereits zum Publikumsliebling avanciert.
Foto: TOTO MARTI
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Max Kern (Text) und Toto Marti (Fotos)

Vierter Stock im St. Galler Kybunpark. Der Ghanaer Lawrence Ati Zigi (23) erscheint in seinem apfelgrünen Arbeitsdress zum Interviewtermin. Neben den neon-farbenen Kleidern trägt er gelbe Stollenschuhe, in der Hand hält er seine gelben Handschuhe. Der ­Händedruck zur Begrüssung ist für einen Goalie überraschend sanft. ­Zigis Finger könnten die eines ­Konzertpianisten sein. Nur der kleine Finger der rechten Hand zeigt eine auffällige Verbiegung. Die ­Folgen eines Bruchs, sagt Zigi auf Englisch.

BLICK: Lawrence Ati Zigi, in Ihrer Heimat Ghana werden über 50 verschiedene Sprachen gesprochen. Wie viele beherrschen Sie?

Lawrence Ati Zigi: Vier oder fünf. Dazu Englisch, Französisch und Deutsch.

Wäre Zigis Geschichte im letzten ­Monat wie gewohnt weitergelaufen, würde er am Sonntag in der französischen Arbeiterstadt Sochaux seinen freien Tag geniessen. Zwei Tage zuvor wäre er beim Auswärtsspiel des Zweit­ligisten FC Sochaux-Montbéliard in ­Valenciennes an der belgischen Grenze 90 Minuten als ­Goalie Nummer 2 frierend auf der Ersatzbank gesessen. Doch es kommt Anfang Jahr für Zigi (und den FCSG) plötzlich alles anders.

8. Januar. Der FCSG bereitet sich im Trainingslager im spanischen La Manga auf die Rückrunde vor. Und steht auf einen Schlag ohne Torhüter da. Stammgoalie Dejan Stojanovic (26) wechselt Knall auf Fall zum englischen Zweitligisten Middlesbrough. Ablöse: 1,2 Millionen Franken. St. Gallens Mammutproblem: Die beiden Ersatzhüter Jonathan Klinsmann und Nico Strübi sind Langzeitverletzte. Der FCSG müsste auf die Nummer 4, den erst 17-jährigen Armin Abaz, setzen. Panik im Trainingslager!

Die Suche nach einem Stojanovic-Nachfolger läuft auf Hochtouren. Trainer Peter Zeidler erinnert sich an Zigi. Er trainierte den damaligen Schüler der Red Bull Academy Ghana bei Salzburgs Filiale FC Liefering, später auch in Sochaux. FCSG-Goalie-Trainer Stefano Razzetti schaut die ganze Nacht Bewerbungsvideos. Drei Kandidaten stehen zur Auswahl. Zeidler: «Razzetti sagte am Tag danach wie einst Pep Guardiola: ‹Den oder keinen!›»

Drei Tage später steht Zigi beim Testspiel in Berlin gegen Urs Fischers Union erstmals im Tor der St. Galler. In der Meisterschaft avanciert der Neue schnell zum Liebling der Fans. «Zigi, Zigi!»-Rufe hallen durch die Stadien. Der FCSG erklimmt mit Zigi die Tabellenspitze. Letzten Sonntag rettet er St. Gallen mit vier Glanz­paraden die drei Punkte. Trainer Zeidler: «Ich war so ruhig, mit Zigi kann ja nichts passieren.» Am Sonntag steht Zigi beim Auswärtsspiel in ­Luzern zwischen den Pfosten. Übrigens: Zigi ist für den FCSG ein ­wahres Schnäppchen. Die Transfersumme? «Ned sechsstellig», sagt Zeidler in ­seinem schwäbischen Dialekt.

Herr Zigi, schauen Sie sich mal die weissen Hügel dort hinter dem Stadiondach an. Lieben Sie als Afrikaner Schnee?

Zum Anschauen ists ganz nett. Aber zum Drinsein passt es mir nicht so sehr.

Wann haben Sie in Ihrem Leben zum ersten Mal Schnee gesehen?

Zuerst im Fernsehen. Dann in ­Österreich.

Als Sie 2015 von der Red Bull Academy in Ghana zur Red Bull Salzburg transferiert wurden...

Nein, das habe ich fast vergessen. Bevor ich nach Österreich kam, spielte ich mal mit Red Bull Ghana an einem Turnier in Frankreich. Das war im Winter, dort habe ich zum ersten Mal wirklich Schnee ­gesehen.

Wenn Sie mit Ihren Liebsten ­daheim in Ghana reden, was ­erzählen Sie Ihnen über St. Gallen?

Sie kennen das Team nicht wirklich.

Wir meinten die Stadt St. Gallen, die Berge, den Schnee.

Mein Problem ist: Seit ich hier bin, konnte ich noch nicht wirklich in die Stadt gehen. Wir hatten fast ­immer Training.

Wo leben Sie?

Wie Musah in der Nähe des Stadions.

Ihr Landsmann Musah Nuhu kommt wie Sie aus Accra. Sie beide sprechen aber nicht die gleiche Sprache, stimmts?

Ja, in meiner Familie sprechen wir «Ewe», das versteht Musah nicht. Mit ihm unterhalte ich mich in «Twi».

Wie war für Sie der erste Tag in Europa?

Ich denke, es war ein wenig schwierig. Wegen der Sprache. Als wir in Österreich angekommen waren, konnten wir kein Deutsch. Ich war noch sehr jung damals.

Erst 15?

Ja, aber zum Glück begleiteten mich noch andere Spieler von der Academy in Ghana.

Waren Sie in Europa bisher schon Opfer von Rassismus-Angriffen?

Gesehen habe ich Formen von ­Rassismus schon, einige Leute, die sich rassistisch verhalten ­haben, aber ich selbst war noch nie Opfer.

Nie?

Nein, aber ich beschäftige mich auch nicht wirklich mit solchen Dingen.

Sie sind aber sehr religiös. Ist das in Ghana üblich?

Es kommt drauf an, unter welchen Umständen du aufwächst. Ich bin in einer christlichen Familie aufgewachsen. Wir beten immer, wir ­haben diesen Glauben an Gott.

Sie beten jeden Tag?

Ja.

Ein- oder zweimal?

Es kann auch mehr sein.

Beten Sie auch für einen Sieg?

Ja. Du betest für alles im Leben.

Auf Facebook schrieben Sie «Lord Thank you for the victory» (Gott, danke für den Sieg).

Ja.

Da steht auch: «Im selben ­kochenden Wasser werden ­Kartoffeln weich und die Eier hart. Es sind nicht die Umstände, die zählen, sondern woraus du geschaffen bist. Bleib bescheiden. Respekt!»

Ja, das ist motivierend für mich.

Alle schwärmen von Zigi

«Zigi ist ein richtig, richtig guter Goalie», sagt Ex-YB- und -GC-Manager Ilja Kaenzig, der heute für den VfL Bochum arbeitet. Kaenzig war es, der Zigi im Sommer 2017 auf Wunsch des heutigen St. Galler Trainers Zeidler zum FC Sochaux transferierte. Kaenzig zu SonntagsBlick: «Bei afrikanischen Goalies ist sonst immer auch die wilde Komponente mit dabei. Nicht so bei Zigi. Seine unglaubliche Sprungkraft, die Reflexe, alles top. Ich habe mich ein paar Mal gewundert, weshalb ihn niemand geholt hat. Er ist für St. Gallen ein Schnäppchen. Perspektivisch eine ganz spannende Geschichte. Wenns normal läuft, wird der FCSG mal den grossen Reibach machen.» St. Gallens Sportchef Alain Sutter: «Ich bin extrem glücklich, dass wir das so hingekriegt haben, Zigi war mein absoluter Wunschgoalie.» Der Schweizer Ex-Internationale Philipp Degen, seit drei Jahren Zigis Berater: «Ich bin überzeugt: Wenn Zigi auf dem Boden bleibt, wird er in seiner Karriere so richtig durchstarten.»

«Zigi ist ein richtig, richtig guter Goalie», sagt Ex-YB- und -GC-Manager Ilja Kaenzig, der heute für den VfL Bochum arbeitet. Kaenzig war es, der Zigi im Sommer 2017 auf Wunsch des heutigen St. Galler Trainers Zeidler zum FC Sochaux transferierte. Kaenzig zu SonntagsBlick: «Bei afrikanischen Goalies ist sonst immer auch die wilde Komponente mit dabei. Nicht so bei Zigi. Seine unglaubliche Sprungkraft, die Reflexe, alles top. Ich habe mich ein paar Mal gewundert, weshalb ihn niemand geholt hat. Er ist für St. Gallen ein Schnäppchen. Perspektivisch eine ganz spannende Geschichte. Wenns normal läuft, wird der FCSG mal den grossen Reibach machen.» St. Gallens Sportchef Alain Sutter: «Ich bin extrem glücklich, dass wir das so hingekriegt haben, Zigi war mein absoluter Wunschgoalie.» Der Schweizer Ex-Internationale Philipp Degen, seit drei Jahren Zigis Berater: «Ich bin überzeugt: Wenn Zigi auf dem Boden bleibt, wird er in seiner Karriere so richtig durchstarten.»

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Wie fühlt es sich an, gleich beim ersten Spiel der Liebling der Fans zu sein? Sie spielten sich schon im ersten Auftritt im St. Galler Dress in die Herzen der grün-weissen Fans.

Das war ein sehr gutes Gefühl für mich. Ich kam mitten in der Saison in ein neues Team, mit neuen Spielern, einer neuen Spiel-Philosophie. Und erhielt von Anfang an eine solche Unterstützung. Der Empfang durch die St. Galler Fans war sehr herzlich. Es war grossartig, für mich wirklich sehr, sehr nett. Ich konnte mir ja nicht ausmalen, was mich erwarten würde.

Schon in Ihrem ersten Spiel, auswärts gegen Union Berlin, waren Sie der Liebling des St. Galler Anhangs.

Genau.

Das ist unglaublich, nicht?

Ja. Ich glaube an Gott. Und hinter allem steht Gott.

Sie schrieben in den Sozialen Medien auch mal: Du gibst mir mehr als ich verdient habe, dankbarer Herr.

Ja, das ist meine Meinung.

In welchen Verhältnissen lebten Sie in Ghana? War Ihre Familie reich oder arm?

Wir waren weder reich noch arm. Wir waren zufrieden mit unserer Situation.

Was arbeitete Ihr Vater?

Er war Bauer. Aber er ist gestorben, als ich 12 war.

Wie alt war er?

Erst 44.

Sicher ein herber Schlag für einen erst 12-Jährigen?

Es war schwierig, aber es passierte.

Zigi wuchs danach mit seiner Mutter, zwei Schwestern und einer Grossmutter auf.

Schicken Sie Ihrer Familie Geld nach Hause?

Ja, von Zeit zu Zeit. Wenn sie etwas brauchen.

Lassen Sie uns von Fussball sprechen. Wie wichtig ist Trainer Peter Zeidler für Sie? Schon in Liefering und in Sochaux arbeiteten Sie unter ihm.

Für mich ist er eine wichtige Person, er ist wirklich sehr gut zu mir und er ist auch ein sehr guter Coach. Er ist für mich wie ein Vater. Er liebt es, die Spieler zu unterstützen. Er ist immer für seine Spieler da. Er ist wirklich sehr gut zu mir.

Seit zwei Wochen sind Sie mit St. Gallen Tabellenführer. Glauben Sie an die Möglichkeit, den Titel zu gewinnen?

Wir haben noch einige Spiele zu spielen. Wir können nicht entscheiden, was passieren wird. Wir müssen uns jetzt einfach auf jedes Spiel fokussieren. Spiel für Spiel. Und dann sehen wir, was herauskommt.

Wie stark schätzen Sie die Super League ein im Vergleich zur österreichischen oder französischen Meisterschaft?

Ich bin ja noch relativ neu hier in dieser Liga. Aber ich kenne den FC Basel und YB aus der Champions League. Diese beiden Klubs haben einige gute Spieler. Die Liga ist ein bisschen härter, weil es nur zehn Mannschaften gibt.

Haben Sie schon eine St. Galler Kalbsbratwurst probiert?

Nein, noch nicht.

Müssten Sie aber bald nachholen, diese Wurst ist in St. Gallen sehr berühmt.

Wie wird sie gemacht? Mit Schweinefleisch?

Ja, es hat auch einen geringen Anteil Schweinefleisch drin. Aber mehr als 50 Prozent muss Kalbfleisch sein.

Ich esse kein Schweinefleisch.

Weshalb?

Das ist unserer Familie so Brauch. Es gibt in unserer Religion schon Leute, die Schweinefleisch essen, in unserer Familie aber nicht.

Was essen Sie hier in St. Gallen?

Das, was die Spieler am Buffet bekommen. Und zuhause versuche ich ab und zu, ghanaisches Essen zuzubereiten.

Die Spezialität heisst Jollof Rice, nicht wahr? Scharfer Reis mit Gemüse und Tomatensauce.

Ja, genau.

Sind sie ein guter Koch?

Es geht. Aber ich versuche es immer wieder. Wenn ich am Kochen bin, muss ich oft eine meiner beiden Schwestern oder meine Mutter anrufen. Und sie sagen mir dann, was ich wie zu tun habe. So gut bin ich dann doch nicht.

Alkohol trinken Sie auch keinen, weshalb?

Weil es nicht gut für die Gesundheit ist.

Sie wissen aber, was Schützengarten bedeutet? Der Schriftzug steht bei den Spielen auf Ihrem Oberarm.

Nein.

Das ist der Name einer St. Galler Brauerei.

(Pressechef Daniel Last erklärt Zigi, dass Schützengarten auch alkoholfreies Bier produziert).

Und Zigaretten? Sie wissen mittlerweile ja bestens, dass «Zigi», Ihr Nachname, im Schweizerdeutschen die Verkleinerungsform von Zigarette ist.

Ja, das weiss ich. Und Nein, ich rauche nicht.

Über Zigi

Lawrence Ati Zigi kommt am 29. November 1996 in Accra (Ghana) als Sohn eines Landwirts zur Welt. Der Goalie wird in der Red Bull Academy in Sogakope ausgebildet. Mit 18 verlässt er Afrika und kommt 2015 zu Salzburgs Farmteam FC Liefering. Dort arbeitet er wie zuletzt auch bei Sochaux mit dem heutigen St. Galler Trainer Peter Zeidler zusammen. Seit Januar 2020 ist er als Nachfolger von Dejan Stojanovic beim FCSG unter Vertrag und erstmals in seiner Karriere die Nummer 1. In 3 Spielen feierte er 3 Siege. Für Ghana bestritt er
5 Länderspiele.

Lawrence Ati Zigi kommt am 29. November 1996 in Accra (Ghana) als Sohn eines Landwirts zur Welt. Der Goalie wird in der Red Bull Academy in Sogakope ausgebildet. Mit 18 verlässt er Afrika und kommt 2015 zu Salzburgs Farmteam FC Liefering. Dort arbeitet er wie zuletzt auch bei Sochaux mit dem heutigen St. Galler Trainer Peter Zeidler zusammen. Seit Januar 2020 ist er als Nachfolger von Dejan Stojanovic beim FCSG unter Vertrag und erstmals in seiner Karriere die Nummer 1. In 3 Spielen feierte er 3 Siege. Für Ghana bestritt er
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