St.-Gallen-Sportchef Stilz im Interview
«Beim HSV hat alles begonnen, bei St. Pauli fühlte ich mich am wohlsten»

Der neue St. Gallen-Sportchef Roger Stilz über die Rückkehr in die Ostschweiz, über seine Zeit bei HSV und St. Pauli und zur Frage, ob er Angst vor einem Rückrunden-Einbruch seiner Mannschaft hat.
Publiziert: 01.03.2024 um 11:56 Uhr
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Aktualisiert: 01.03.2024 um 12:30 Uhr

Der Knall, mit dem er vorgestellt wurde, will so gar nicht zu ihm passen. Roger Stilz (46) ist seit 3. Januar Sportchef beim FC St. Gallen und kein Lautsprecher. Doch der Moment, in dem er präsentiert wird, sorgt für ein mittleres Erdbeben, weil gleichzeitig Nati-Ikone Alain Sutter (56) weichen muss. Ausgerechnet in St. Gallen, wo es seit dem Amtsantritt von Präsident Matthias Hüppi ruhig und gesittet zugeht, kommts zum Jahreswechsel zum grossen Aufreger. Wer ist der Mann, der vor 20 Jahren nach Hamburg auszog und jetzt wieder zurückkommt?

Blick: Roger Stilz, Sie waren lange weg. Sind Sie jetzt wieder zuhause?
Stilz: Ich habe zwei Heimaten. Eine ist Hamburg. Und meine Erste ist in der Ostschweiz. Darum ist es ein Heimkommen.

Kennen Sie die Leute noch?
Ich bin in den 20 Jahren natürlich ein anderer geworden. Es ist wie bei allen, die nach langer Zeit in ihr Heimatdorf zurückkommen. Jemand spricht einen an und fragt: «Kennst du mich noch?» Ich habe mir vorgenommen, in dieser Sache immer die Wahrheit zu sagen. Und so musste ich in den letzten Wochen zwei, dreimal zugeben: Die Augenpartie kommt mir bekannt vor, aber ich komme nicht auf den Namen. Meine Mutter hat mir mal etwas Schönes gesagt: «Sei vorsichtig, dass du die Menschen nicht konservierst wie ein Konfiglas. Jeder und jede hat seine Geschichte und die Jahre dazwischen.» So ist es bei mir natürlich auch.

Seit 3. Januar in St. Gallen: Roger Stilz.
Foto: Sven Thomann
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Sie sind 2004 als Challenge-League-Spieler fürs Germanistik-Studium nach Hamburg gegangen.
Wo andere Studenten zum Brunnenbauen nach Malaysia gingen, bin ich nach Norddeutschland gegangen. Der Plan war, ein Jahr da zu studieren und Fussball zu spielen. Aber Hamburg hat es gut gemeint mit mir und ich habe es gut gemeint mit Hamburg. Ich bin geblieben.

Stilz, der in der Schweiz für Baden, Etolie Carouge, Kriens und Vaduz kickte, bleibt an der Elbe und macht eine erstaunliche Karriere. Als Fussballer schnürt er in Regional- und Oberliga die Schuhe für die Hamburger Stadtteilklubs Altona 93 und Victoria. Bei «Vicky» wird er Nachwuchskoordinator, Spielertrainer und Co-Trainer, er merkt schnell, dass ihm die Aufgaben als Coach und Manager gefallen. Und vor allem merkt seine Umgebung rasch, dass der Schweizer Quereinsteiger etwas draufhat. Beim HSV und in Nürnberg arbeitet er unter Coaches wie Van Maarwijk, Ismael und Fink als Co-Trainer, bei St. Pauli leitet er fünf Jahre die Nachwuchsakademie, dann geht es als Sportdirektor nach Belgien zu Waasland-Beveren und in die 2. Bundesliga zu Jahn Regensburg.

Wo wars am besten?
Beim HSV hat alles begonnen. Und bei St. Pauli habe ich mich am wohlsten gefühlt.

Weshalb?
Die Mischung zwischen der Arbeit auf dem Platz und im Büro hat gepasst. Und der Verein passt mit seinen Werten zu mir. Der FC St. Pauli ist auch ein Ort von grossen Emotionen und Sehnsüchten. Aber das Wichtigste: Wir konnten im Nachwuchs sportliche Akzente setzen. Der FC St. Pauli hat davor und danach nie mehr so viele Nachwuchsakteure in den Profibereich gebracht. Viele der angestossenen Projekte in Athletik, Pädagogik oder Sportpsychologie haben funktioniert – es hat gepasst.

St. Pauli gilt als Klub, der für sich in Anspruch nimmt, über den Spielfeldrand hinauszudenken.
Ja. Und das passiert da auch.

Wenige andere Klubs gehen so weit.
Korrekt. Das ist auch in Ordnung so. Jeder Verein hat seine Geschichte, seine Wurzeln, seine Farben, seine Botschaft. Ich würde niemandem raten, Sachen zu kopieren. Das ist, wie wenn ein ruhiger Trainer plötzlich anfängt, künstlich rumzuschreien. Das funktioniert nicht.

Bei Waasland-Beveren in Belgien lernt Stilz, «der Neue zu sein», wie er es nennt. Neue Fussballkultur, andere Gepflogenheiten, ungewohnte Ansätze. Er arbeitet dort für einen Klub mit US-Besitzern, der Teil eines Netzwerks ist. Er bleibt für elf Monate, geht dann nach Regensburg. Nach dem Aus beim bayerischen Zweitligisten ist Stilz etwas mehr als ein Jahr ohne Job.

Was macht ein Fussballfunktionär mit Germanisten-Hintergrund mit so viel freier Zeit?
Die Pause hat gut getan nach den Jahren, in denen es kaum welche gab. Oftmals auch zwischen den Stationen nicht. Ich habe mich weitergebildet, habe bei anderen Klubs hospitiert, Erfahrungen aufgeschrieben. Aber endlich auch wieder gelesen. Peter Stamm zum Beispiel… (grinst) wobei, darf ich das jetzt noch sagen? Der ist Winterthurer.

In St. Gallen treten Sie in die grossen Fussstapfen von Alain Sutter, der Klub funktioniert. Wenn künftig etwas nicht so läuft, wie es sollte, heisst es vielleicht: Könnte an Stilz liegen. Schwierig?
Der Klub hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt. Er hat sich professionalisiert, hat ein klares Gesicht bekommen, mit Personen, die für etwas stehen: Für Vertrauenswürdigkeit, Integrität und darüber hinaus spielen wir attraktiven Fussball. Der Verein ist ein anderer geworden im Vergleich zu vor 20 Jahren, auch wenn er sportlich immer noch ups und downs hat. Aber welcher Klub hat das schon nicht.

Das sagen Sie. Aber sagt das auch das Umfeld?
Damit beschäftige ich mich nicht. Jeder, der im Fussball arbeitet, weiss: Irgendwas ist immer, ganz ruhig ist es nie. Gleichzeitig kann man sagen: Um den FC St. Gallen war früher, in den Neunzigern und Nullerjahren immer Drama, im Klub, darum herum, mit Meistertitel, Abstieg und Aufstieg, das habe ich ja als Jugendlicher auch mitbekommen. Das wollen wir natürlich nicht mehr, wir sind stabiler.

Für uns Medien ist das eine schlechte Nachricht.
Ich kann Sie beruhigen. Auf dem Spielfeld soll es immer noch dramatisch zugehen. Das funktioniert ja auch schon seit einer Weile sehr gut (lacht).

Ist das doppelt kompliziert: Wenn man als Einheimischer für seinen Klub arbeiten darf?
Jeder hier in der Region hat seine Story mit dem FC St. Gallen, so auch ich. Bei mir handelt sie von Ivan Zamorano und seinem Besuch in der Turnhalle Tübach. Das Foto mit ihm habe ich noch. Aber ich war trotzdem nie der Fan-Typ, das habe ich in den letzten Jahren gemerkt. Nicht falsch verstehen: Ich bin unglaublich emotional verbunden mit dem Spiel. Und das meine ich wirklich so dramatisch, wie ich das sage. Ich mag Tempo, ich mag Emotionen, ich mag technische Finesse, ich mag alles, was dieses Spiel ausmacht. Aber ich bin überzeugt, dass es in einer Führungsposition wie meiner wichtig ist, im Überblick zu bleiben. Für mich, aber auch für den Verein. Da ist es kein Nachteil, wenn man nicht Fan ist.

In St. Gallen ist auf eine gute Halbserie oft eine schwache gefolgt. Die Hinrunde war gut, vor dem 1:0 gegen SLO gabs fünf Spiele ohne Sieg. Was tun Sie, damit es kein Déjà-vu gibt?
Wenn wir in den Spielen davor 1:5, 0:4 und 2:6 verloren hätten, in der zweiten Hälfte auseinandergefallen wären und nicht mehr gewusst hätten, wo oben und unten ist, müssten wir uns Sorgen machen. Aber das war nicht so. Die Spiele waren eng. Für mich geht es darum, die erbrachte Leistung zu beurteilen, nicht nur die schlichten Resultate.

Ihre erste Transferperiode als Sportchef war ruhig. Sie haben neben der Leihe von Sturmtalent Jovan Milosevic Victor Ruiz aus Saudi-Arabien zurückgeholt, um die Verletzungsausfälle zu kompensieren. Der hat seit August keinen Ernstkampf bestritten. Ein ziemliches Projekt.
Er ist kein Projekt. Er ist einfach die beste Lösung für unser Mittelfeld in dieser Situation.

Wo steht er?
Auf dem Platz. Im Training sowieso – und zuletzt hat er gegen Stade-Lausanne-Ouchy sein Comeback gefeiert.

Wann kommt eigentlich Ihr Kollege? Als Sie vorgestellt wurden, hiess es, es wäre eigentlich vorgesehen gewesen, zusammen mit Sutter die sportliche Führung zu übernehmen.
Ich habe zwei Aufträge. Ich mache einerseits die normale Arbeit eines Sportchefs. Das heisst: Trainer, Kader, Staff, Führungsrolle. Dazu habe ich vom Verwaltungsrat den Auftrag, den Verein im Sportbereich zu durchleuchten und Vorschläge zu machen, wie wir uns bestmöglich aufstellen könnten. Wie diese Vorschläge aussehen werden, wird sich zu gegebener Zeit zeigen.

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