Sion-Goalie Mitrjuschkin – der Keeper aus der Kälte
«Ich bin Constantins Charisma erlegen»

Er ist gerade mal 21 Jahre jung. Doch das Leben von Anton Mitrjuschkin besteht seit sieben Jahren nur noch aus Fussball. Jetzt will der Sion-Goalie aus Sibirien an die WM.
Publiziert: 07.05.2017 um 12:01 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:00 Uhr
Alain Kunz

BLICK: Anton Mitrjuschkin, Sie haben mit Sébastien Fournier bereits den dritten Trainer in dieser Saison. Hat Ihnen jemand erzählt, in welch verrückten Klub sie da gewechselt sind
Anton Mitrjuschkin:
Wir sind Profis. Der Präsident entscheidet. Da müssen wir dann nicht darüber debattieren. Für die Goalies hält sich solch eine Änderung aber in Grenzen, denn wir arbeiten mehrheitlich mit dem Goalietrainer.

Aber einen, sagen wir mal, speziellen Präsidenten hat dieser Klub?
Ich habe ihn vor der Vertragsunterschrift ein einziges Mal in Moskau getroffen. Seinem Charisma bin ich gleich erlegen. Und dann haben sie mir in Russland die Geschichte mit der Nachmessung der Lattenhöhe bei einem Europacup-Spiel von Sion 1997 bei Spartak Moskau erzählt, und dass er damit ein Wiederholungsspiel erreichte. Das sagt viel über diesen Menschen. Ich verdanke ihm jetzt schon viel.

Sie kamen mit nicht mal 20 Jahren sehr jung hierher. Hatten Sie Akklimatisationsprobleme?Überhaupt nicht! Als Kind kam ich oft nach Europa, vor allem in die Schweiz. Von meiner Mentalität her bin ich mehr Europäer als viele Russen. Und man hat mir hier auch enorm geholfen.

Anton Mitrjuschkin: Im Alter von nur 21 Jahren schon ein sattelfester Rückhalt in der Walliser Defensive.
Foto: FC Sion
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Kamen Sie in die Schweiz, um Ferien zu machen?
Ja, mit der Familie. Ich mochte das Leben hier schon damals. Es ist ruhig.

Wo genau waren Sie in den Ferien?
Vor allem in Luzern und in St. Moritz. Im Wallis war ich ein einziges Mal, in Zermatt.

Was waren das für Ferien?
Meistens Winterferien. Ich war ja damals noch nicht Profi-Fussballer, konnte also einen anderen Sport ausüben. Ich lernte in der Schweiz Snowboarden. Als ich in die Akademie von Spartak kam, wars damit vorbei. Jetzt darf ich nicht mehr boarden.

St. Moritz und Zermatt sind nicht eben Discount- Destinationen. Ist Ihre Familie reich?
Wir sind eine ganz normale Familie. Sicher haben wir ein bisschen Geld. Das reichte, um Ferien zu machen, um Ski zu fahren oder zu boarden, kein Luxus. Normal. Wir sind keine Millionäre.

Sie sind in Krasnojarsk in Sibirien geboren. Wie lange lebten Sie dort?
Sieben Jahre.

Also gibt es nicht viele Erinnerungen an diese Zeit?
Nein, das ist sehr vage. Ich war auch nur ein Jahr dort in der Schule. Danach sind wir nach Rostow gezogen.

Die Transsibirische Eisenbahn führt durch Krasnojarsk. Sind Sie jemals mit der gefahren
Nein.

Und wie wars in Rostow?
Das ist insofern eine aussergewöhnliche Stadt, weil sie ganz im Süden von Russland liegt, es also richtig heiss werden kann.

Und sie liegt sehr nahe der Ukraine und dem Kriegsgebiet. Haben Sie da etwas davon mitbekommen in Rostow?
Sie ist nur eine gute Fahrstunde von Donezk entfernt. Politik interessiert mich nicht. Darüber spreche ich nicht.

Und dann gings mit zarten 14 Jahren nach Moskau…
An einem Turnier, an welchem auch eine Mannschaft aus Moskau teilnahm, wurde ich entdeckt. Ich wechselte zu Spartak und kam dort in die Akademie.

Aber Ihre Familie bleib in Rostow, tausend Kilometer entfernt.
Ja.

Sie sind also von Ihrer Familie getrennt, seit Sie 14 waren?
Das war doch eine Riesenchance, in eine der besten Akademien des ganzen Landes gehen zu dürfen. Top! Und es gibt ja viele andere Jungs, die dasselbe wie ich machten. Das war eine tolle Erfahrung und Lebensschule.

Dann nimmt man nicht wahr, in welch gewaltiger und verrückten Stadt man ist?
Viele Freiheiten hatten wir nicht. Da war alles durchreglementiert.

Militärisch?
Nein, das nicht. Aber wir hatten kaum Freizeit. Morgenessen. Schule. Training. Mittagessen. Schule. Training. Abendessen. Dann gabs ein, zwei Stunden frei vor dem Lichterlöschen. Und die Sonntage. Aber um 19 Uhr mussten wir zurück sein.

Die Familie haben Sie also nur in den Ferien gesehen?
Ja. Aber mein Vater ist an die wichtigen Spiele in Moskau gekommen, so als wir im russischen Cupfinal standen. Oder an die Internationalen Turniere. Allerdings haben uns die Eltern oft an Turniere in Europa begleitet. Es gab da ein Elternkomitee, das diese Reisen jeweils organisierte.

Wars ein Kulturschock, von der Zwölf-Millionen-Metropole Moskau in die Walliser Provinz zu kommen?
Ich erachte Sion oder Martigny nicht als provinziell. Das sind ganz angenehme Kleinstädte. Man gelangt hier in fünf, zehn Minuten von A nach B. In Moskau rechnet man da in Stunden… Das ist doch Komfort.

Sie leben in Martigny?
Ja, mit meiner Frau Daria.

Sie sind also schon verheiratet?
Nein, verlobt.

Seit wann kennen Sie Ihre Partnerin?
Seit zwei Jahren. Ich habe sie in Moskau kennengelernt. Ein paar Monate bevor ich ins Wallis kam. Sie kommt aus Tomsk, also auch aus Sibirien.

Und Sie verliess Ihre Heimat für Sie, kaum hatten Sie Sie kennengelernt?
Ja, sie hat schnell verstanden, dass ihr Platz an meiner Seite sei. Auch wenn das hiess, die Heimat zu verlassen.

In einem Jahr steigt die erste Fussball-Weltmeisterschaft in Russland. Welche Gedanken gehen Ihnen da durch den Kopf?
Das ist sehr positiv für Russland. Viele neue Stadien sind bereits erstellt worden, weitere sind im Bau. Und ich hoffe dabei zu sein. Als Spieler. Ich werde alles dafür unternehmen!

Wie gross ist die Hoffnung? Ein A-Länderspiel haben Sie noch nicht.
Es ist ein Ziel. Ich weiss, dass mich Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow beobachtet.

Eine Legende!
Absolut! Er hat bei Dynamo Dresden gespielt, bei Tirol. Und das bis 40!

Wenn man die aktuellen drei Nationalgoalies anschaut, so sind alle jenseits der dreissig. Und unbestritten dürfte wohl nur Igor Akinfejew sein, der neue Captain der Sbornaja.
Igor ist in der Tat ein «Monster» in meiner Heimat. Und jenseits der dreissig zu sein, das ist für Torhüter ein ideales Alter.

Aber da gibts vielleicht Platz für einen Jungen, zumal Alexander Belenow von Ufa und der gebürtige Brasilianer Guilherme von Lok Moskau nicht die ganz grossen Namen sind.
Halt, das sind zwei Supergoalies. Aber ich versuche alles dafür zu tun, dass der Coach auch so denkt.

Wie lange gedenken Sie in Sion zu bleiben?
So wie ich den Präsidenten und Barth kennengelernt habe, wollen Sie nicht, dass ich eine Ewigkeit in Sion bleibe. Sondern dass ich hier Fortschritte und dann den nächsten Schritt mache. Sion ist wie ein Trampolin, um in eine Top-Liga zu springen.

Welche soll die erste sein?
Die Bundesliga.

Und danach?
England.

Warum die Bundesliga, und nicht Italien oder Frankreich?
Ich mag den Spielstil dort. Ich schaue viel Fussball. Die Bundesligaspiele sind zum Anschauen die interessantesten.

Und es hat sehr viele Top-Goalies.
Was nicht erstaunt, denn die deutsche Schule ist eine der besten. Die bringt dann sechs, sieben absolute Top-Keeper heraus. Italien zum Beispiel deutlich weniger.

Offenbar ist auch die Schweizer Schule nicht so schlecht, wenn fünf Goalies in der Bundesliga spielen und mit Yvon Mvogo bald ein sechster dazukommt.
Die ist auch sehr gut, keine Frage. Und seit ich hier spiele, verstehe ich auch deren Philosophie.

Wie sieht diese Philosophie aus?
Das ist schwierig in Worte zu fassen. Aber Golietrainer Marco Pascolo bringt mich hier weiter und weiter.

Er hat eine WM gemacht. 1994 n den USA. Hat er ihnen davon erzählt?
Nein. Aber ich habe natürlich im Internet nachgeforscht. Und auch die Goalietrainer in Russland kennen ihn.

Wer ist Ihr Idol?
Buffon und Dida. Das waren meine Jugendidole. Heute habe ich keine mehr. Heute will ich es einfach so weit bringen wie sie.

Also nicht die grossen russischen Keeper wie Rinat Dassajew oder Lew Jaschin?
Nicht unbedingt. Vielleicht auch, weil Dassajew einer meiner Goalietrainer bei Spartak war. 

Wie sagt man Cupfinal auf Russisch?
Final Kubka.

Fast dasselbe also. Jetzt sage ich was auf Russisch: Spasibo Anton! Zumindest haben Ihnen das Ihre Teamkollegen nach dem Halbfinal gegen Luzern sagen müssen: Dankeschön Anton!
Ich denke nicht so. Der ganze Weg in den Final war schwierig. Vor allem das Spiel in Neuenburg gegen Xamax. Aber auch Schaffhausen und Kriens waren komplizierte Spiele.

Aber es gab halt doch diesen Halbfinal. Den beschreibt auch Chadrac Akolo als Antons Spiel, Antonski Match …
Das ist doch mein Job, das Team ab und zu vor einem Gegentor zu bewahren. Und was das Penaltyschiessen angeht: Die Schützen sind da viel mehr unter Druck. Und unsere Schützen haben dem Druck standgehalten.

Auch im Final wird der Druck gewaltig sein. Die Angst vor dem erstmaligen Scheitern.
Angst haben wir schon mal gar nicht. Das ist nur Fussball. Und wir werden alles tun, um wieder zu gewinnen.

Haben Sie den Hype um dieses Spiel bereits begriffen?
Wir haben Videos gesehen. Es ist eindrücklich.

Reto Ziegler hat zwei Cupfinals in der heissen Türkei gemacht. Und sagt, was in Sion abgeht sei was ganz Anderes.
Schon nach dem Halbfinal gegen Luzern habe ich gespürt, welch Ereignis dies für die Fans darstellt.

Was aber in Genf los sein wird, das ist nicht zu vergleichen mit dem Luzern-Spiel. Das wird 10-mal besser.
Umso schöner.

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