Nach einer turbulenten Woche rund um den VAR
Jetzt wehrt sich Schiri-Boss Wermelinger

Selten hat der VAR seit seiner Einführung 2019 für so viel Diskussionen gesorgt wie am letzten Wochenende. Dennoch, Fussballromantiker aufgepasst: Es gibt kein Zurück!
Publiziert: 23.10.2021 um 14:14 Uhr
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Aktualisiert: 23.10.2021 um 18:51 Uhr
Alain Kunz

Weil Jung-Schiri Luca Piccolo am letzten Wochenende beim 2:1 zwischen St.Gallen und Servette verantwortlich ist für zwei schlimme Böcke, wird der 29-Jährige vorübergehend aus dem Super-League-Verkehr gezogen. «Wir haben dieses Spiel gemeinsam mit ihm intensiv aufgearbeitet und sind zum Schluss gekommen, dass die beste Einsatzmöglichkeit für ihn in der nächsten Woche der Cup und die Challenge League seien. Danach schauen wir von Neuem», sagt Daniel Wermelinger, der Chef Spitzen-Schiedsrichter. Aber, betont Wermelinger, das sei weder eine Sperre noch eine Degradierung.

Mit solchen Böcken wird der Fussball nicht gerechter

Im Mittelpunkt der ganzen Diskussion: Der VAR und dessen Funktionsweise. Denn wenn das Instrument dem Anspruch der Fifa gerecht werden will, den Fussball gerechter zu machen, sollten solche Fehler nicht passieren, wie sie Video Assistant Referee Urs Schnyder und Piccolo unterlaufen sind.

Zuerst sieht Schnyder ein Foul im Strafraum nicht. Dann ist es Piccolo, der sich die Szene vor dem St. Galler Siegtreffer selber nochmals anschaut – und falsch entscheidet. Da fragt man sich: Wie kann es trotz VAR und Bildschirm am Spielfeldrand zu zwei solchen Fehlentscheiden kommen? Und beim annullierten YB-Tor gegen Luzern, als der Ball nicht von einem Berner zum YB-Spieler kam, sondern von einem FCL-Akteur, weshalb der Berner nicht Offside stand, ist es dasselbe: unfassbar, dass diese Bilder falsch interpretiert wurden.

Der gröbste Fehler des letzten Weekends: Der junge Schiedsrichter Luca Piccolo (29) beurteilt die Szene mit dem klaren Foul von St. Gallens Diakité gegen Servettes Schalk komplett falsch.
Foto: Claudio Thoma/freshfocus
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Am meisten ärgert sich der Schiedsrichter

«Da ist der Airbag dreimal nicht aufgegangen», nimmt Wermelinger sein Lieblingsbild zu Hilfe. Er klärt auf: «Im ersten Fall hat der VAR den Schiri gefragt, was er gesehen habe. Dieser sagt: Einen Zusammenprall der Füsse. Daraufhin wurde der falsche Schluss gezogen, Piccolo das nicht nochmals anschauen zu lassen.» Und die zweite Szene? Wermelinger: «Da war vieles sehr hektisch. Und dann passiert einem jüngeren, unerfahrenen Schiedsrichter ein Fehler in der Hitze des Gefechts, wenn man im pfeifenden Stadion vor dem Bildschirm steht.» Und in Bern? «Da gabs vieles zu checken: Ball in oder out? Foul? Ball im Tor? Penalty? Offside? Alles in derselben Szene. Da wurde dann das entscheidende Bild nicht angeschaut. Leider.»

Denn, so Wermelinger, solche Fehlentscheide ärgern nicht nur die Klubs, die Fans, die Journalisten – und ihn. «Denken Sie nicht, dass ein Ref danach nach Hause geht und Party macht. Der knallt die Schuhe in die Ecke und ist zu Tode betrübt. Er ärgert sich am meisten – und das wirkt nach.»

Richtig ist wichtiger als schnell

Immerhin ergibt sich aus dem Fall YB-FCL für Wermelinger ein klares Learning: «Wir dürfen nie die Umsicht verlieren. Der Faktor ‘richtiger Entscheid’ muss immer über dem Zeitfaktor stehen. Auch wenn es dann halt ein wenig länger geht. Egal. Dass die entscheidenden Bilder am Ende nicht angeschaut wurden, ist dem Zeitstress geschuldet gewesen.»

Das Zweite, was es verbessern gilt, ist die Kommunikation. «Wir müssen bessere Wege finden in der direkten Kommunikation mit Spielern und Staff wie auch mit den Zuschauern. Da brauchts noch mehr Transparenz. Was macht der VAR jetzt? Das muss man wissen. So schafft man Verständnis.» Diese Forderung hatte auch Servette-Coach Alain Geiger nach den beiden Fehlentscheiden gegen sein Team erhoben.

Hier spielt Luzern-Wehrmann als letzter den Ball
0:27
VAR bleibt stumm:Hier spielt Luzern-Wehrmann als letzter den Ball

Der VAR ist da - und der VAR bleibt!

Sonst aber, so der Schiri-Boss, habe sich der VAR bewährt. «Das letzte Wochenende darf keine Referenzgrösse sein. Der Fussball ist gerechter geworden, weil seit der Einführung 2019 viele klare und offensichtliche Fehler korrigiert werden konnten.» Nachteile wie der Wertverlust des spontanen Jubels, weil zuerst gecheckt werden muss, nimmt man da in Kauf. Aber, so der Schiri-Boss, das habe man mit der Einführung des VAR gewusst, dass der eine oder andere Jubel für die Katz sein werde.

Der VAR ist da. Und der VAR bleibt! Obwohl ihn Fussballromantiker ins Pfefferland wünschen. Wermelinger: «Der Fussball wird nach der Forderung nach der Einführung nicht auf den VAR verzichten können, dies ist eine internationale Tendenz.» Auch die Klubs sind unisono dafür.

Kommentar von Alain Kunz: Fifa hat Schiedsrichter unmündig gemacht

Solche Fehler wie am letzten Wochenende dürften mit VAR-Unterstützung nicht passieren, klar. Und sie haben wenig mit dem Regelwerk zu tun, denn es waren klare Fälle.

Oft aber, und das hat sich mit dem VAR auch nicht geändert, sind die Fälle diskutabel. Auch wenn nur bei klaren und offensichtlichen interveniert werden soll. Das tut der Mensch im VAR-Raum dann, wenn er eine Aktion komplett anders beurteilt als der Mensch auf dem Spielfeld.

Weshalb es wünschenswert wäre, dass die Fifa mit ihrer Anweisung, wie gewisse Regeln auszulegen seien, den Schiedsrichtern hilft. Im Moment ist das Gegenteil der Fall. Sie macht ihnen das Leben zusätzlich schwer macht, indem sie zum Beispiel den Faktor Absicht mittlerweile als irrelevant abtut. Was unserem Rechtsverständnis und unserer Rechtsprechung vollständig widerspricht. Bei der Fifa heisst es: Eine offene Sohle ist eine offene Sohle. Das ist A und gibt Rot. Und dann darf der Ref nicht B pfeifen und Gelb zücken. Egal, ob der Spieler was dafür kann oder nicht. Ob er einzig versucht den Ball zu treffen, ist nicht mehr wichtig. Es zählt der Ort des Treffers beim Foul. Wie wenn ein Spieler genau timen kann, dass am Ende der Fuss des foulenden Spielers am Ende der zuvor sauberen Aktion auf den Knöchel trifft oder ein paar wenige Zentimeter weiter unten auf den Fuss. Fragen Sie Remo Freuler.

Dem Schiedsrichter wird so der Ermessensspielraum genommen. Er wird unmündig gemacht. Nimmt er diesen in Anspruch, erhält er einen Rüffel. Deshalb besteht da der grösste Nachholbedarf: Dem Schiedsrichter das Instrument gesunder Menschenverstand und Fingerspitzengefühl zurückzugeben! Denn es ist immer noch ein Mensch, der da arbitriert. Wie auch der VAR ein Mensch ist.

Blick-Redaktor Alain Kunz hält nichts von den Fifa-Anweisungen.
Thomas Meier

Solche Fehler wie am letzten Wochenende dürften mit VAR-Unterstützung nicht passieren, klar. Und sie haben wenig mit dem Regelwerk zu tun, denn es waren klare Fälle.

Oft aber, und das hat sich mit dem VAR auch nicht geändert, sind die Fälle diskutabel. Auch wenn nur bei klaren und offensichtlichen interveniert werden soll. Das tut der Mensch im VAR-Raum dann, wenn er eine Aktion komplett anders beurteilt als der Mensch auf dem Spielfeld.

Weshalb es wünschenswert wäre, dass die Fifa mit ihrer Anweisung, wie gewisse Regeln auszulegen seien, den Schiedsrichtern hilft. Im Moment ist das Gegenteil der Fall. Sie macht ihnen das Leben zusätzlich schwer macht, indem sie zum Beispiel den Faktor Absicht mittlerweile als irrelevant abtut. Was unserem Rechtsverständnis und unserer Rechtsprechung vollständig widerspricht. Bei der Fifa heisst es: Eine offene Sohle ist eine offene Sohle. Das ist A und gibt Rot. Und dann darf der Ref nicht B pfeifen und Gelb zücken. Egal, ob der Spieler was dafür kann oder nicht. Ob er einzig versucht den Ball zu treffen, ist nicht mehr wichtig. Es zählt der Ort des Treffers beim Foul. Wie wenn ein Spieler genau timen kann, dass am Ende der Fuss des foulenden Spielers am Ende der zuvor sauberen Aktion auf den Knöchel trifft oder ein paar wenige Zentimeter weiter unten auf den Fuss. Fragen Sie Remo Freuler.

Dem Schiedsrichter wird so der Ermessensspielraum genommen. Er wird unmündig gemacht. Nimmt er diesen in Anspruch, erhält er einen Rüffel. Deshalb besteht da der grösste Nachholbedarf: Dem Schiedsrichter das Instrument gesunder Menschenverstand und Fingerspitzengefühl zurückzugeben! Denn es ist immer noch ein Mensch, der da arbitriert. Wie auch der VAR ein Mensch ist.

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