Karin Kayser-Frutschi, stv. Vorsitzende der Bewilligungsbehörden, im knallharten Interview
«Die Klubs müssen für ihre Fans die Konsequenzen tragen»

Karin Kayser-Frutschi ist Regierungsrätin des Kantons Nidwalden und stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden der KKJPD, die für die bei den Fans verhassten Sektorenschliessungen steht. Die Politikerin wehrt sich für diese Massnahme.
Publiziert: 08.02.2024 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 09.02.2024 um 11:20 Uhr
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Alain KunzReporter Fussball

Würden Sie nicht lieber, wieder Gesamtweltcup-Sieger Marco Odermatt in Stans empfangen als sich mit Menschen herumschlagen zu müssen, die mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Messern durch die Strassen marodieren, Polizisten mit Pflastersteinen und Eisenstangen bewerfen sowie Trams kapern und demolieren?
Karin Kayser-Frutschi: Klar macht das mehr Freude. Aber es ist die Realität, mit welcher wir konfrontiert werden. Das ist mit ein Grund, weshalb wir seitens der Bewilligungsbehörden mit Massnahmen reagieren. Solche Straftaten können wir nicht tolerieren.

Die erwähnten Sachen wurden im Vorfeld des Stadtzürcher Derbys bei GC-Fans gefunden. FCZ-Ultras ihrerseits demolierten ein Tram. Die Bilanz dieser massiven Fanausschreitungen: sechs Verletzte. Dennoch sind die Bewilligungsbehörden nicht eingeschritten. Warum?
Ob Massnahmen getroffen werden, entscheidet die betroffene Bewilligungsbehörde. Das war in diesem Fall die Stadt Zürich und sie hat entschieden, das nicht zu tun. Das will und kann ich nicht kommentieren.

In anderen Fällen ist dies aber passiert. Und immer wurden Sektoren geschlossen. Dabei hat sich diese Massnahme als unwirksam erwiesen.
Das Eindämmen der Fangewalt soll und muss ein Anliegen von allen Beteiligten sein. Hierbei meine ich die Politik mit den Gesetzgebungen, die Bewilligungsbehörden, die Ligen und auch die Klubs. Die Arbeitsgruppe Kaskadenmodell hat eine Auswahl an deeskalierenden aber auch repressiven Elementen erarbeitet. Diese Massnahmen wirken nur, wenn sie von allen getragen werden. Sektorenschliessung ist ein Teil davon.

Sonderzug für Ultras. Hier die Rückkehr von Servette-Fans nach dem Léman-Derby in Lausanne.
Foto: Keystone
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Was sollen diese Schliessungen bringen?
Damit verhindern wir, dass sich gewaltbereite Einzeltäter in anonymen Massen verstecken. Das ist ein wesentlicher Beitrag zur Gewaltprävention.

Also keine Kollektivstrafe?
Nein.

Fans und Klubs monieren genau das. Und dass man sich darauf konzentrieren solle, die einzelnen Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Tatsache ist, dass es extrem schwierig ist, strafrechtlich relevante Taten in grossen Menschenmassen – wie in Fanansammlungen im und ausserhalb des Stadions – individuell nachzuweisen.

Die YB-Ultras waren in der zweiten Halbzeit des Spiels gegen GC halt in einem anderen Sektor präsent. Jene des FCZ gar von Beginn weg unverhohlen im Gästesektor, wodurch die Lausanne-Fans hatten umquartiert werden müssen. Das geschah also sogar mit Unterstützung des Klubs. Und all diejenigen, denen mit der Massnahme der Zutritt zum Stadion hätte verwehrt werden sollen, waren doch drin. Das zeigt auf: Die Massnahme ist einfach zu umgehen.
Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause hat mir gesagt, dass keine Fans, die nicht berechtigt waren, ins Stadion zu kommen, dennoch drin gewesen seien. Das Ziel der Sektorenschliessung ist auch, dass der Verkauf von weiteren Tickets sofort eingestellt wird.

Sie erwarten ein gewisses Mass an Solidarität, ein Mittragen der Sanktionen durch die Klubs. Doch der FCZ ficht die Verfügung an und öffnet den Gästesektor für die eigenen Fans aus der Kurve, weil diese gesperrt ist. Der FCZ sabotiert doch mit seinem Verhalten diese Massnahme.
Wie bereits erwähnt; das Eindämmen der Fangewalt soll und muss ein Anliegen von allen Beteiligten sein.

Gibts wirklich keine Alternative zur Sektorenschliessung? Ergab da auch die Vernehmlassung nichts?
Gäbe es sie, hätten wir ein sehr offenes Ohr. Für Klubs und Fans ist die Alternative der Dialog. Wir sind gerne bereit, noch mehr Dialog zu pflegen. Aber es hat sich gezeigt, dass Dialog alleine nicht reicht und es bei gravierenden Vorfällen Massnahmen braucht. Nochmals: Straftaten können nicht toleriert werden. Die Forderung nach vollständigem Verzicht auf Repression ist im Angesicht der sinnlosen Gewalt blauäugig.

Der FCZ stellt sich bei der Anfechtung der Verfügung der Sektorenschliessung auf den Standpunkt, dass er nicht verantwortlich gemacht werden kann für Vorfälle, die ausserhalb seines Einflussbereichs geschehen.
Es geht nicht, dass man sagt, dass Fangewalt nichts mit den Spielen und den Klubs zu tun hätten, nur weil diese ausserhalb des Stadions stattfindet. Der Veranstalter steht in der Mitverantwortung, wenn seine Fans, aufgeheizt durch die Emotionalität des Sports, zu einer Gefahr für Dritte werden. Denn derjenige, der diesen Gefahrenzustand schafft, muss alles Zumutbare tun, damit keine fremden Rechtsgüter oder Menschen verletzt werden. Wenn die Klubs und die Fanklubs nicht mehr in der Lage sind, mässigend auf die Basis einzuwirken, müssen sie die Konsequenzen tragen. Wie die präventiven Massnahmen.

Karin Kayser-Frutschi persönlich

Karin Kayser-Frutschi wird am 14. Januar 1967 in Aarberg BE geboren und wächst in Oberdorf SO auf. Sie wohnt nun in Oderdorf NW, ist verheiratet und vierfache Mutter. Sie ist Ingenieurin HTL für Obst-, Wein- und Gartenbau sowie ausgebildete Winzerin und Gärtnerin. Sie steigt 2008 für die Mitte als Gemeinderätin von Oberdorf PW in die Politik ein. 2014 wird sie als Justiz- und Sicherheitsdirektorin in den Nidwaldner Regierungsrat gewählt. Seit 2021 ist sie Co-Präsidentin der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und –direktoren (KKJPD). In der Freizeit heisst ihr Motto: Ab in die Natur. Vor allem mit Biken, Joggen, Berg- und Skitouren.

Karin Kayser-Frutschi ist Ingenieurin HTL für Obst- Wein- und Gartenbau sowie Winzerin.
Keystone

Karin Kayser-Frutschi wird am 14. Januar 1967 in Aarberg BE geboren und wächst in Oberdorf SO auf. Sie wohnt nun in Oderdorf NW, ist verheiratet und vierfache Mutter. Sie ist Ingenieurin HTL für Obst-, Wein- und Gartenbau sowie ausgebildete Winzerin und Gärtnerin. Sie steigt 2008 für die Mitte als Gemeinderätin von Oberdorf PW in die Politik ein. 2014 wird sie als Justiz- und Sicherheitsdirektorin in den Nidwaldner Regierungsrat gewählt. Seit 2021 ist sie Co-Präsidentin der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und –direktoren (KKJPD). In der Freizeit heisst ihr Motto: Ab in die Natur. Vor allem mit Biken, Joggen, Berg- und Skitouren.

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Wie konnte das Kaskadenmodell mit der Sektorenschliessung des Tourbillon nach den Vorfällen in Genf bei Servette gegen Sion im letzten Mai angewandt werden, bevor es in Kraft war? Und seither einige weitere Male?
Während der Erarbeitung des Modells kam es zu nicht tolerierbaren Vorfällen. Da wurden Leute verletzt. Da gabs massive Sachbeschädigungen. Da waren wir in der Pflicht, das zu ahnden. Man kann doch nicht sagen: Wir haben das Kaskadenmodell noch nicht. Also darf man Leute verprügeln, Polizisten mit Steinen bewerfen und Lokführer in Angst und Schrecken versetzen.

Mittlerweile bekennen Tramfahrer offen, Angst zu haben, an einem Matchtag zu fahren.
Es gibt nicht nur Verletzungen, wenn Blut fliesst, sondern auch psychischer Art. Jemanden in Angst und Schrecken zu versetzen, ist auch Gewalt.

Wo steht man heute mit dem Modell?
Nach der Vernehmlassung ist es innerhalb der Bewilligungsbehörden verabschiedet. Nun sprechen wir mit Liga und Klubs darüber.

Die grosse Vorbehalte haben …
Dass wir zeitlich wegen der Vorfälle überholt wurden, macht das Ganze nicht einfacher. Aber es muss im Sinn der Klubs und der Liga sein, dass man zu Lösungen kommt. Sonst nützen die Massnahmen nichts. Man darf nicht, wenn Massnahmen umgesetzt werden, Täter zu Opfern machen und eine Toleranz für Straftaten fordern.

Wie siehts zeitlich aus?
Ich hoffe, dass wir die Gespräche im März führen können.

Wenn sie eine Gruppe Saisonkarten-Inhaber aussperren, was ja der präventive Sinn und Zweck der Sektorenschliessung ist, dann ist diese Massnahme nur wirksam, wenn die Tickets persönlich sind. Sind sie aber nicht. Wie ist da der Stand?
Für die Strafverfolgung von Tätern innerhalb der Stadien würden die personalisierten Tickets helfen, auch wenn diese nicht alle Probleme lösen. Die Klubs könnten sie schon heute ausstellen, wenn sie dazu bereit wären. Wie Beispiele im Eishockey zeigen, hat dies eine beruhigende Wirkung auf die Fangewalt in den Stadien. Für eine behördliche Anordnung fehlen jedoch die Rechtsgrundlagen.

Der Wille zur Einführung ist aber da?
Seitens der Bewilligungsbehörden ist dies ein Teil von Progresso, dem Projekt der KKJPD (Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren, d.Red) und der Swiss Footbal League, um Fanausschreitungen zu minimieren.

Und sie wirken darauf hin, dass die Kantone diese Rechtsgrundlage schaffen?
Ja.

Gibts überhaupt noch einen Dialog mit den Fankurven?
Wir sind immer im Dialog mit den Klubs.

Und mit den Fangruppierungen?
Auch mit denen sind die Bewilligungsbehörden in Kontakt.

Haben Sie nicht das Gefühl von Ohnmacht den Fankurven gegenüber?
Wenn wir in diese Situation kommen würden, hätten wir verloren. Es muss ein Vorwärtsschauen sein, dass man gewaltfrei miteinander Sportanlässe durchführen kann. Wenn Sicherheitsverantwortliche von Klubs mir sagen, dass es Fussball ohne Gewalt nicht gibt, dann sind das tragische Aussagen in einem Rechtsstaat. Da stehe ich in der Verantwortung dem entgegenzuwirken.

Zum Schluss: Gehen Sie gern an Fussballspiele? In ihrem Kanton ist allerdings das höchste aller Gefühle die zweite Liga interregional, seit Buochs wieder abgestiegen ist.
Aber ich erinnere mich an Cupspiele gegen St. Gallen und YB. Die der SC Buochs gewonnen hat …

Und Profi-Fussball?
Ich gehe gerne nach Luzern Spiele schauen. Es gibt viel Cooles in diesem Sport. Es ist einfach schade um die Nebenerscheinungen.

*Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren

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