Früher Giftzahn, heute Granate
Drei Weggefährten plaudern über neuen FCB-Coach Schultz

Er ging mit St. Pauli 17 Jahre durch dick und dünn. Jetzt übernimmt Timo Schultz den FCB. Drei Weggefährten sagen, was da nun auf die Basler zukommt.
Publiziert: 01.06.2023 um 00:42 Uhr
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Aktualisiert: 01.06.2023 um 11:09 Uhr
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Emanuel GisiSportchef

Das Wichtigste zuerst: Timo Schultz (45) war mal Schiedsrichter. Der neue Trainer des FC Basel ist Sohn eines Schiri-Lehrwarts aus Ostfriesland. «Daher musste ich natürlich auch Schiedsrichter sein», erklärte er einst bei «Being Timo Schultz», einem Projekt des St.-Pauli-Fan-Podcasts «Millernton», der ihn ein Jahr lang begleitete. Gut möglich also, dass den Schweizer Regelhütern kommende Saison von der Basler Trainerbank wieder mehr Verständnis entgegengebracht wird.

Schale Scherze beiseite. Ein Trainer mit Erfahrung in der 2. Bundesliga und im Nachwuchs von St. Pauli beim FCB, der sich immer noch als Schweizer Topklub versteht? Anruf bei Betim Fazliji (24). «Ich kann dem FC Basel nur gratulieren», sagt der Rheintaler, der vergangenen Sommer von St. Gallen zu St. Pauli wechselte. «Mit Timo Schultz bekommt der FCB einen Trainer, der einen attraktiven Fussball spielen lässt und der menschlich grossartig ist.»

Schultz hat den kosovarischen Nationalspieler beeindruckt. «Man kann mit ihm als Spieler immer offen reden. Auch wenn du gerade nicht zur Stammelf gehörst, hat er ein offenes Ohr für dich, vielleicht sogar noch mehr als für die Stammspieler. Er schafft es, in einem Team eine positive Stimmung zu erzeugen. Und er ist ein Trainer, der Dinge zwar klar anspricht, aber immer mit der Mannschaft zusammen Lösungen finden will.»

Bald im Basler Rampenlicht: Timo Schultz.
Foto: freshfocus
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Uni-Abschluss in Geschichte und Sport

Der Ostschweizer Roger Stilz (46) ist, abgesehen von seinen Stationen in Nürnberg, Belgien und Regensburg, seit bald zwei Jahrzehnten in Hamburg zu Hause. Während vier Jahren war er als Leiter des St. Pauli-Nachwuchsleistungszentrums der Chef von Schultz. Die beiden haben sich aber schon viel früher kennengelernt. «Es war 2004, Schulle spielte für die 2. Mannschaft von Holstein Kiel, ich für den Hamburger Stadtteilklub Altona 93. Wir sind im zentralen Mittelfeld aufeinandergetroffen. Das waren giftige Duelle.» Sein Weg führt Schultz zu St. Pauli, er wird Teil der Mannschaft, die unter Holger Stanislawski zwischen 2005 und 2010 aus der Regionalliga in die Bundesliga aufsteigt.

So kommt Schultz zum Ende seiner Karriere sogar zu vier Bundesliga-Kurzeinsätzen. «Ein absoluter Teamplayer, ein Malocher, auf dem Platz ein Giftzahn», beschreibt ihn Torsten Mattuschka (42), einst bei Union Berlin zur Klublegende geworden, heute TV-Experte für die 2. Bundesliga bei Sky. «Und menschlich ist Timo sowieso eine Granate. Er stand dafür, was den FC St. Pauli immer ausgezeichnet hat.» Der Mann mit Uni-Abschluss in Geschichte und Sport bleibt dem Klub treu, wird nach seinem Rücktritt Teammanager, Co-Trainer, Nachwuchstrainer, im Sommer 2020 dann Chefcoach. In der Spielzeit 2021/22 schnuppert man am Bundesliga-Aufstieg, spielt zeitweise einen berauschenden Offensivfussball, insgesamt dreimal gewinnt Schultz das Derby gegen den Hamburger SV, der Musiker Thees Uhlmann schreibt ein Lied für ihn. «Du sollst mein letzter St.-Pauli-Trainer sein», wünscht er sich da.

Die Fans wollten ihn unbedingt behalten

Doch dann kommt der 6. Dezember 2022. Die Hinrunde ist vorbei, der Fussball ist immer noch angriffig und oft schön anzusehen, doch St. Pauli liegt bloss auf Platz 15, mit mageren drei Siegen aus 17 Spielen, punktgleich mit dem ersten Abstiegsplatz. Die Vereinsführung zieht die Reissleine: Der Trainer muss gehen. Doch statt Erleichterung und Vorfreude auf einen neuen Übungsleiter schlägt den Chefs Unverständnis, Wut, Empörung entgegen. Mehr als 12’000 Fans unterschreiben eine Petition, in der verlangt wird, dass Schultz wieder zum Cheftrainer gemacht werden soll.

Klar, der Mann ist beim Kiezklub mit dem Totenkopf Vereinsikone und Sympathieträger. Einer, von dem man das Gefühl hat, dass er die Werte des Klubs verstanden hat und mit Leben zu füllen vermag. Der dabei noch Schalk und Selbstironie ausstrahlt, wie man sie auf St. Pauli schätzt, schliesslich versteht sich der Verein als Gegenentwurf zu den handelsüblichen Profiequipen und den Mechanismen des modernen Fussballgeschäfts. «Das gute Gewissen des deutschen Fussballs», nennt Stilz den Klub.

Doch das allein ist es nicht. «Wir haben in der ersten Halbserie teils sehr gute Spiele gemacht, aber uns einfach nicht belohnt. Wir glaubten fest daran, dass sich das langfristig auszahlen würde», sagt Schultz‘ Ex-Schützling Fazliji. «Ich habe im Winter gesagt, dass ich ihm den Turnaround zu 100 Prozent zugetraut hätte, davon bin ich weiterhin überzeugt», sagt Sky-Experte Mattuschka. «Wenn man sich Statistiken wie Expected Goals anschaut, hat die Mannschaft unter Timo top gespielt. Aber die Resultate haben nicht gestimmt.» Was dem Trainer nicht gelang: Die gewichtigen Sommer-Abgänge in der Offensive aufzufangen. «Die Mannschaft hat sich immer Chancen erspielt, zum Teil extrem viele. Aber wenn du keinen hast, der sie vorne macht … Wenn die reingehen, ist er heute noch bei St. Pauli.»

Stilz: «Ich denke, dem FCB tut dieses frische Gesicht gut»

Und so verschlägt es das Nordlicht nun in die Schweiz. Fragen gibt es genug: Wie funktioniert Schultz nach 17 Jahren St. Pauli ausserhalb des speziellen Biotops beim Hamburger Stadtteilklub? Wie schnell gelingt es ihm, die Schweizer Super League und ihre Besonderheiten in den Griff zu bekommen? Wie kommt er mit dem unruhigen Basler Umfeld klar? Was passiert, wenn auch in Basel keiner die Dinger vorne schnörkellos versenkt?

Sein alter Weggefährte Roger Stilz ist zuversichtlich. «Die Liga und der FCB dürfen sich auf einen ambitionierten Trainer freuen. Er wollte immer den grösstmöglichen Erfolg: als Spieler, als Jugendtrainer, als Coach der 1. Mannschaft», sagt er. «Seine Erfahrungen aus dem Nachwuchsbereich werden ihm und der jungen Basler Mannschaft helfen. Aus der Distanz denke ich, dass dem FCB dieses frische Gesicht guttut und auch der eine oder andere neue Ansatz, den Timo mitbringt. Ich weiss, dass er sich auf die Aufgabe sehr freut.»

Sicher scheint zudem eines: Es dürfte heiter werden in der Nordwestschweiz. «Freuen darf man sich auch auf seinen ostfriesischen Humor», sagt Stilz. «Schulle ist ein Typ, der gern lacht. Das ist ihm im Alltag wichtig.» Fazliji führt aus: «Sein Humor ist sehr direkt, sehr trocken. Man weiss bei ihm manchmal im ersten Moment nicht: Meint er das jetzt ernst oder macht er Spass? Wahnsinnig liebenswürdig.» Klingt so, als ob in Basel künftig nicht nur die Schweizer Schiedsrichter mehr zu lachen haben dürften.

Credit Suisse Super League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
FC Lugano
FC Lugano
6
4
13
2
Servette FC
Servette FC
6
-3
12
3
FC Zürich
FC Zürich
5
6
11
4
FC Luzern
FC Luzern
6
4
11
5
FC Basel
FC Basel
6
9
10
6
FC St. Gallen
FC St. Gallen
5
5
10
7
FC Sion
FC Sion
6
4
10
8
Yverdon Sport FC
Yverdon Sport FC
6
-4
5
9
Grasshopper Club Zürich
Grasshopper Club Zürich
6
-4
4
10
FC Lausanne-Sport
FC Lausanne-Sport
6
-7
4
11
FC Winterthur
FC Winterthur
6
-7
4
12
BSC Young Boys
BSC Young Boys
6
-7
3
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