Politikwissenschafter Timm Beichelt
«Profifussball hat sich moralisch bedenklich entwickelt»

Gas-Riese Gazprom hat als Sponsor diverser Klubs und Turniere starken Einfluss auf den europäischen Fussball. Können Vereine und Verbände dagegen Sanktionen verhängen? Politikwissenschafter Timm Beichelt schätzt die Lage ein.
Publiziert: 24.02.2022 um 19:03 Uhr
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Aktualisiert: 24.02.2022 um 20:14 Uhr
Cédric Heeb

Herr Beichelt, die Lage in der Ostukraine spitzt sich dramatisch zu. Um Sanktionen wird Europa nicht herum kommen. Gilt das auch für den Sport?
Im Sportbereich ist es ja so, dass die grossen internationalen Verbände immer ihre Autonomie von der Politik betonen. Im Augenblick sieht es noch nicht so aus, als ob die Verbände davon abweichen. Doch eher das Gegenteil ist der Fall: Wenn man sieht, wie sich Fifa-Präsident Gianni Infantino freute, mit Putin auf einer Bühne zu stehen, dann ist es eher so, dass die Verbände die autokratischen Politiker präferieren. Dann kann man nun die Frage stellen, ob so ein Krieg, der von Putin angefangen wurde, daran etwas ändert. Aber ich bezweifle das.

Das grösste Problem für allfällige Sanktionen ist wohl Gazprom, unter anderem Sponsor verschiedener Klubs und grossen Turnieren wie der Champions League. Ist es vorstellbar, dass beispielsweise Schalke, das sich ohne die Gelder von Gazprom kaum über Wasser halten könnte, die Partnerschaft beendet?
Klubs wie Schalke haben wohl grössere Möglichkeiten, sich von einem Sponsoring-Vertrag loszueisen, als Verbände. Es ist aber eine Frage der Prinzipien. Es ist aufgrund der Vergangenheit allerdings kaum vorstellbar, dass die grossen Fussball-Akteure von ihren Prinzipien abweichen. Ich glaube, dass sich der Profifussball in eine Lage hineinmanövriert hat, die moralisch bedenklich ist. Im Augenblick greift Russland einen Nachbarstaat an, nun sind die russischen Unternehmen im Fokus. Die Gefahr ist, dass die Klubs und ihre Funktionäre das einfach so hinnehmen. Dadurch besteht natürlich eine grosse Abhängigkeit, momentan von Russland.

Muss man das sportliche Sponsoring-Engagement der Russen als reines politisches Kalkül verstehen?
Man kann davon ausgehen, dass das vonseiten des Kremls ein konkretes Kalkül ist. Mir ist nämlich nicht ganz klar, wie ein Konzern wie Gazprom überhaupt seine vielen Millionen refinanziert. Wenn es zum Beispiel Etihad macht, kann ich es verstehen, weil sie Kunden für sich gewinnen möchten. Aber welcher Stadionbesucher hat denn eine direkte Beziehung zu Gazprom? Die gibt es gar nicht. Da geht es um symbolisches Kapital. Das ist Staatsmarketing, welches betrieben wird. Das ist letztendlich dazu da, Russland in ein gutes Licht zu rücken.

Die ukrainische Liga verschiebt nun den Saisonstart um mindestens 30 Tage. Wie geht es mit dem Sport in der Ukraine weiter?
Ein Punkt, der schnell vergessen geht, ist die Wehrpflicht. Das Land befindet sich im Krieg, zieht also Männer zwischen 18 und 40 Jahren ein. Und dazu zählen auch Fussballer. Doch der Sport in der Ukraine hat noch ein viel grundsätzlicheres Problem. Einige Klubs werden oligarchisch finanziert, dort sind sie auch mehr oder weniger erfolgreich. In anderen Sportarten wurden allerdings kaum Sponsoringstrukturen aufgebaut, vor allem aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung der Ukraine. Der Krieg wird diesen Effekt nur noch verstärken.

Timm Beichelt ist Politikwissenschaftler und Professor für Europa-Studien an der Fakultät für Kulturwissenschaft an der Europa-Universität in Frankfurt an der Oder.
Foto: Heide Fest
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