Mangel wegen fehlendem Respekt?
Wir haben ein grosses Schiri-Problem

Der Fussball hat ein Schiedsrichter-Problem. Die Verbände versuchen mit allen Mitteln, neue Schiris zu akquirieren. Doch zuerst müssen wir bei uns selbst anfangen und den Referees mehr Wertschätzung geben, findet Jung-Autor Björn Lindroos im Newsletter Steilpass.
Publiziert: 09.11.2023 um 15:39 Uhr
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Aktualisiert: 09.11.2023 um 15:51 Uhr
Björn Lindroos

Hast du diese Woche eingeschaltet, als Europas beste Spieler wieder über die Champions-League-Bühne tanzten? Vielleicht ist dir dann etwas an den Trikots der Schiedsrichter aufgefallen. Die Unparteiischen trugen auf dem Rücken nämlich jeweils gross die Aufschrift «Be a Referee!» (Sei ein Schiedsrichter!). Eine Kampagne der Uefa, die junge Leute ermutigen soll, Schiedsrichter zu werden.

Denn der Fussball hat weltweit ein Problem: Dem Sport gehen die Schiedsrichter aus. Nur wenige Jugendliche wollen nämlich noch Schiedsrichter werden. Und während der Zuwachs bei neuen Spielerinnen und Spielern riesig ist (in der Schweiz 27'000 mehr Spieler als im Vorjahr), ist er es bei den Schiedsrichtern nicht. Ein Problem, welches nicht in erster Linie den Profibereich, sondern die unteren Ligen betrifft. Auch im Schweizer Amateurfussball ist das ein grosses Thema.

«Prekäre» Situation in der Schweiz

Dies zeigt beispielsweise eine Medienmitteilung des Fussballverbandes Region Zürich mit dem Titel «Verbandsspiele ohne Schiedsrichter» vom 3. Oktober 2023. «Leider konnten am vergangenen Wochenende, genauer am Sonntag, 1.Oktober, auf Grund von kurzfristigen SR-Rückgaben nicht alle Spiele mit Schiedsrichter*innen besetzt werden», hiess es darin. Die Schiedsrichter-Situation wurde im Text als «prekär» bezeichnet. Ausserdem forderte der Verband die Vereine dazu auf, ihre Schiedsrichter zur besseren Verfügbarkeit zu motivieren.

«Be a Referee» trugen die Schiedsrichter in der Champions League auf ihren Trikots.
Foto: Getty Images
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Doch wie tritt der Schweizerische Fussballverband (SFV) selbst der Problematik entgegen? Was tut man, um Mädchen und Jungs in meinem Alter zu ermutigen, Schiedsrichter zu werden? Ich habe beim SFV nachgefragt. «In erster Linie wollen wir jene ermutigen, die bereits einen Bezug zum Fussball haben», erklärt Stefan Baumgartner, Kommunikationschef des Verbandes. Die Spieler etwa, für welche es beispielsweise in einer Liga nicht mehr gereicht habe, wolle man als Schiedsrichter beim Fussball behalten.

Die Schweiz braucht 500 neue Schiris

Zudem gebe es eine ganze Bandbreite an Projekten wie zum Beispiel die Schiedsrichter-Ausbildung online anzubieten, um so den Weg für die jungen Leute zu erleichtern. Auch Diskussionen, die Geldprämien für Amateur-Schiedsrichter zu erhöhen, seien laut Baumgartner im Gange. So könnte man auch einen neuen finanziellen Anreiz schaffen. Denn für den Kommunikationschef ist klar: «Wir brauchen etwa 500 neue Schiedsrichter, um die Zukunft sicher planen zu können.» Europaweit fehlen gar ungefähr 45'000 Unparteiische. Ein weiterer Anreiz für Schiris in der Schweiz: Mit ihrem Schiedsrichter-Ausweis können sie gratis an alle Spiele der Super League sowie der Nationalmannschaft gehen.

Die Verbände geben also ihr Bestes, um neue Personen zu akquirieren und ihre jetzigen Schiedsrichter zu behalten. Doch ich finde, wir Fans, Zuschauer und Spieler sind mehr in der Pflicht als die Verbände. Der Respekt für die Unparteiischen muss grösser werden. Ob im Stadion oder am Sonntagmittag auf dem Fussballplatz des regionalen Klubs. Zu oft kommt es zu Beleidigungen, Drohungen oder gar Gewalt gegen Schiris auf den Fussballplätzen. Laut SFV-Baumgartner kam es bei den 85'000 Fussballspielen vom vergangenen Jahr in der Schweiz bei rund 20 - 30 Spielen zu körperlicher Gewalt gegen den Schiedsrichter. Dies mag zwar keine allzu grosse Zahl sein, doch jeder Einzelfall ist einer zu viel.

Lernen, Fehler zu akzeptieren

Zu Beleidigungen und Pöbeleien kommt es derweil fast in jedem zweiten Spiel. Dies musste ich auch schon am eigenen Leib erfahren: Bei uns in Höngg müssen wir Spieler jeweils die Partien unserer Juniorenteams pfeifen. Als ich einst ein Spiel der E-Junioren leitete, wurde ich von den zusehenden Eltern des Auswärtsteams am Spielfeldrand ständig angepöbelt. Kein schönes Gefühl. Und für die Kinder, die da gerade mal zwischen 8 und 11 Jahre alt sind, ausserdem kein gutes Vorbild.

Was schnell vergessen geht: Auch die Schiedsrichter sind nur Menschen. Auch sie machen Fehler. Man stelle sich vor, die Spieler würden nach jedem Fehlpass oder jeder verpassten Chance beleidigt werden. Gerade im Amateurbereich, wo den Schiris kein Videoassistent zur Seite steht oder sie teilweise nicht einmal Linienrichter zur Verfügung haben, müssen wir lernen, auch ihre Fehler zu akzeptieren. Da nehme ich auch mich nicht aus. Die Gelbe Karte, die ich mir am zweiten Spieltag wegen Reklamierens eingefangen habe, bereue ich bis heute. 

Awards für Schiedsrichter?

Doch auch in der glamourösen Welt des Profifussballs werden die Referees meiner Meinung nach zu wenig wertgeschätzt. Warum wird zum Beispiel bei einem Event wie dem Ballon d'Or neben den ganzen Awards für die Spieler nicht auch ein Schiedsrichter oder eine Schiedsrichterin des Jahres ausgezeichnet? Sie sind nämlich für den Sport genauso wichtig wie jeder Spieler auf dem Platz.

Ein weiteres, aktuelles Beispiel: Beim Bundesliga-Topspiel Borussia Dortmund gegen Bayern München vom vergangenen Samstag zeigte Schiedsrichter Deniz Aytekin eine hervorragende Leistung. Nach dem Spiel sprach allerdings niemand mehr darüber. Hätte er aber einen Fehler gemacht, wäre er garantiert Gesprächsthema Nummer eins gewesen.

Klar: Schiri ist eine undankbare Position. Und die meisten Unparteiischen stehen auch nicht gerne im Rampenlicht. Aber doch würde etwas mehr Wertschätzung und Respekt gegenüber den Referees guttun. Und zwar noch bevor es zu spät ist. Denn die Rechnung ist ganz einfach: keine Schiedsrichter, keine Spiele. 

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