Weder Blatter noch Beckenbauer kommen ins Tessin
Platzt der Sommermärchen-Prozess in letzter Sekunde?

Am Montag beginnt in Bellinzona der sogenannte Sommermärchen-Prozess. Doch er gerät immer mehr ins Wanken. Nicht nur wegen Corona. Aber auch.
Publiziert: 08.03.2020 um 14:11 Uhr
Alain Kunz

Es hätte ein Vorzeige-Prozess der Bundesanwaltschaft werden sollen: Die Beweisführung, dass die WM 2006 von den Deutschen quasi erkauft worden war. Nun droht der Prozess indes zu einer peinlichen Schlappe für die Bundesanwaltschaft zu werden. Dies nur ein paar Tage nach der Blossstellung von Bundesanwalt Michael Lauber.

Dieser soll laut Aufsichtsbehörde mehrere Amtspflicht-Verletzungen im Zusammenhang mit der Fifa-Affäre begangen haben. Er habe die Unwahrheit gesagt, sei illoyal gewesen, habe sich uneinsichtig gezeigt und ein falsches Berufsverständnis an den Tag gelegt, weshalb ihm der Lohn gekürzt werden solle.

Und nun das Sommermärchen, das nicht nur für die Ausrichter längst zur Horrorstory mutiert ist, sondern es auch für die Bundesanwaltschaft zu werden droht. Der Schweizer Anwalt von Ex-DFB-Boss Theo Zwanziger, der wegen Mittäterschaft zu Betrug beschuldigt wird, hat jedenfalls schon mal reichlich Gas gegeben, als er erklärte, weshalb sein Mandant nicht ins Tessin reisen werde: «Er hätte gerne die aus unserer Sicht aus vielerlei Gründen völlig rechtswidrige Vorgehensweise der Schweiz Bundesanwaltschaft in der ihm zustehenden Hauptverhandlung widerlegt.» Zwanziger reist nicht an, weil er eben erst an beiden Augen operiert wurde. Eine OP, die er wegen des Prozesses bewusst im Februar vornehmen liess, als der Prozess noch für Januar vorgesehen war. Doch er wurde auf März verschoben.

Michael Lauber soll laut Aufsichtsbehörde mehrere Amtspflicht-Verletzungen im Zusammenhang mit der Fifa-Affäre begangen haben.
Foto: keystone-sda.ch
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Und da hat die Bundesanwaltschaft das nächste Problem: Am 27. April verjährt der Fall. Dann muss ein erstinstanzliches Urteil vorliegen. In Deutschland, wo der Vorgang eigentlich handelt, sind die Vorwürfe (Betrug und ungetreue Geschäftsbesorgung) längst verjährt, weshalb Zwanziger den Prozess als «Schlamperei» bezeichnet: «Das Schweizer Urteil kann ich in den Papierkorb werfen», sagte der prominenteste Beschuldigte in der «Schweiz am Wochenende». In Deutschland, so Zwanziger weiter, wäre das Urteil nicht vollstreckbar, «das Ganze ist eine Anmassung ohne Beispiel».

Es darf also gar nichts mehr dazwischenkommen, damit es noch reicht für ein Urteil. Das Gericht gibt ab Montag Vollgas. Drei Wochen mit nur drei Tagen Pause, dazu eine Reservewoche. Ein irres Tempo. Doch auch das könnte bald Makulatur werden. Aus zwei Gründen.

Erstens hat der Anwalt des ebenfalls beschuldigten Ex-Fifa-Generalsekretärs Urs Linsi ein Verfahrensende, zumindest eine Unterbrechung, verlangt, weil neue gravierende Fakten auf dem Tapet sind. Und da gehts um Lauber und Fifa-Boss Gianni Infantino. An einem Geheimtreffen im Jahr 2017 sollen sich Lauber, sein Sprecher, Infantino, dessen juristischer Helfer und eine ominöse fünfte Person getroffen haben. Deren Name, so die «Süddeutsche Zeitung» (SZ), ergebe sich aus Laubers Terminkalender, sei aber im Aufsichtsbehörden-Bericht geschwärzt worden. Sollte, so die Schlussfolgerung der SZ, dieser mysteriöse fünfte Teilnehmer in die Ermittlungsarbeiten involviert gewesen sei, wäre der Prozess wegen Befangenheit erledigt.

Zweitens steht der Prozess unter der Corona-Knute. Schon Zwanziger hatte in seiner Entschuldigung darauf hingewiesen, dass sich das Bundesstrafgericht sehr genau überlegen sollte, ob es verantworten kann, dass in unmittelbarer Nähe der stark mit dem Coronavirus belasteten Region Norditalien eine solche Veranstaltung über Tage und vielleicht Wochen durchgeführt werden könne. «Wir fragen uns, welche Vorkehrungen für den Gesundheitsschutz und die zweifelsfrei bestehende Ansteckungsgefahr getroffen wurden», so Zwanzigers Advokat.

Nun, zumindest diese Antwort hat das Bundesstrafgericht am Freitagabend geliefert. Die Öffentlichkeit wird ausgeschlossen. Journalisten dürfen den Prozess nur in einem gesonderten Raum mit Videoübertragung verfolgen. Und der Zutritt zum Gebäude wird nur Personen gestattet, die fieberfrei sind, weshalb bei jeder Person die Temperatur gemessen wird.

Allerdings werden von den Beschuldigten nicht allzu viele ins Tessin reisen: Zwanziger (74), Wolfgang Niersbach (69) und Horst Rudolf Schmidt (78) werden nicht kommen. Möglicherweise erscheint Linsi. Und von den geladenen Zeugen haben sich Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter sowie Franz Beckenbauer dispensieren lassen. Blatter, der an Rückenproblemen leidet, soll per Videoübertragung zugeschaltet werden. Beckenbauer sei wegen seines Gesundheitszustandes nicht in der Lage eine Befragung mit wachem Verstand zu folgen und müsse jede Aufregung vermeiden. Paradoxerweise ist der Prozess gegen ihn wegen dessen angeschlagener Gesundheit vom Hauptverfahren abgetrennt worden. Als Zeuge soll er aber erscheinen können? Dem Aufgebot als Zeuge Folge leisten wird deshalb voraussichtlich nur Günter Netzer.

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