Jürgen Klopp ist mit Liverpool auf Titelkurs
«Er würde hier zum Gott werden»

Jürgen Klopps Credo war stets, «unser kleines Fleckchen Erde schöner zu 
machen». Er schaffte es in Mainz und Dortmund – und tuts nun in 
 Liverpool.
Publiziert: 29.12.2018 um 00:38 Uhr
Raphael Honigstein

Zwischen den Jahren kehrt allerorts die Besinnlichkeit ein, doch in England, der Insel der Fussballverrückten, dreht sich die Kugel jetzt noch schneller. Ein Spiel jagt dem anderen hinterher, das wahnwitzige Tempo raubt den Leuten den Atem. Keine Zeit, innezuhalten, zurückzuschauen, und das ist auch gut so, gerade für den FC Liverpool.

Die Reds könnten sonst vielleicht erschreckt fest­stellen, dass sie zur Saisonhalbzeit bereits den halben Weg zur Unsterblichkeit zurückgelegt haben. Vor dem Heimspiel gegen den FC Arsenal am Samstag stehen sie ungeschlagen an der Tabellenspitze der Premier League, mit sechs Punkten Vorsprung auf Tottenham Hotspur. Der erste, über alle Massen sehnsüchtig erwartete Meistertitel seit 1990 ist nicht mehr nur ein blosser Fiebertraum, sondern urplötzlich in den Bereich des Machbaren gerückt.

2009 und 2014 fiel Liverpool vom Thron

Jürgen Klopp, der Mann, der den ganzen Klub seit seiner Ankunft im Oktober 2015 elektrisiert hat, versucht die Euphorie in der Stadt erwartungsgemäss klein zu halten. «Die Tabelle interessiert uns nicht, die Saison ist noch so lang», erwidert er leicht genervt auf die Fragen nach der Meisterschaft. Mit dieser brummigen Von-Spiel-zu-Spiel-schauen-Rhetorik ist er schon in Dortmund gut gefahren, als er 2011 und 2012 die Bundesliga gewann; er will an der Mersey die Fallhöhe jetzt nicht mit kernigen Ansagen an die Ver­folger noch grösser machen, als sie ohnehin schon ist. 2008/09 und 2013/14 stand Liverpool vor Neujahr zuletzt ganz oben, bekam dort aber Schwindsucht. Die Titel gewannen andere, da sich das Team und die Fans in ihrer Hysterie gegenseitig ansteckten.

Dieser Mann lässt Liverpool vom Titel träumen: Jürgen Klopp.
Foto: Action Images via Reuters
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Geht die Geschichte dieses Mal anders aus? Die Lokalzeitung «Liverpool Echo» glaubt erkannt zu haben, dass sich der Ton der Gesänge im Stadion in den vergangenen Wochen verändert hat. «Die Verzweiflung ist verflogen, sie wurde ersetzt durch einen tiefen Glauben», schrieb das Blatt nach dem 4:0-Sieg über Newcastle United am zweiten Weihnachtstag. «Alle sind fest entschlossen, das grosse Ziel gemeinsam zu erreichen.»

Ein manischer Einpeitscher ist Klopp nur noch selten

Aus Zweiflern sind Gläubige geworden, exakt so, wie es Klopp bei seiner Vorstellung im Hope Street Hotel – in der Strasse der Hoffnung – im Oktober 2015 gefordert hatte. Die Coolness, mit der die Elf mittlerweile ihre Partien gewinnt, geht von der starken Defensive um den Niederländer Virgil van Dijk aus; nur sieben Gegentreffer musste man bisher hinnehmen. Darüber hinaus steht mit Klopp ein knapp zwei Meter grosser Trainer an der Seitenlinie, der Spielern und Fans die Gelassenheit vorlebt.

Nur selten sieht man «die geballte Ladung Dynamit», wie BVB-Teambetreuer Fritz Lünschermann den Sohn eines Handelsvertreters aus dem Schwarzwald bezeichnete, noch als manischen Einpeitscher an der Seitenlinie, seine Elf hat nach gut drei Jahren seine Idee vom explosiven, aber gleichzeitig kontrollierten Angriffsspiel so weit ver­innerlicht, dass er kaum noch von aussen zusätzliches Schwarzpulver auf das Spielfeld schütten muss. Die Energie kommt bei seinen Kickern mittlerweile von innen, sie sind sich ihrer Aufgaben und Verantwortung bewusst. Alles ist im Fluss bei den Reds, ähnlich wie in den goldenen Jahren beim BVB.

«Alles eine Stufe härter»

Das Talent, Menschen für eine Sache zu begeistern, hat er von seinem sportverrückten Vater Norbert geerbt, der 2000 68-jährig starb. Als er am Rosenmontag 2001 über Nacht zum Trainer des stark abstiegsgefährdeten Zweit­ligisten FSV Mainz 05 ernannt wurde, geriet gleich seine allererste Ansprache so feurig, dass Klubmanager Christian Heidel (heute bei Schalke 04) laut eigener Aussage am liebsten gleich mit auf den Platz gelaufen wäre.

Liverpool-Legende Steven Gerrard war erstaunt, dass Klopp selbst bei einem Freundschaftsspiel in Australien im Mai 2017 die mit Altstars und Nachwuchsspielern besetzte Elf der Roten in der Kabine derart hochpuschte, als ob gerade der WM-Final anstünde.

Allürenfreie Art

«Ich dachte immer, ich sei ehrgeizig. Aber bei Jürgen ist alles noch eine Stufe härter», sagt Ex-Verteidiger Jamie Carragher, der damals ebenfalls für Liverpool auflief. Abseits des Platzes ist Klopps Leben ruhiger geworden, als es in Deutschland war. Er wohnt ausserhalb der Stadt direkt an der Ostküste neben ein paar Sanddünen.

Wenn es der Spielplan ausnahmsweise mal zulässt, geht er dienstagabends in den «Freshfields»- Pub und spielt beim Quiz-Abend mit. Die Nachbarn erzählen, er sei gut in Themen wie Politik, Erdkunde und … Sport. Seine normale, völlig allürenfreie Art führt paradoxerweise dazu, dass die Leute in Liverpool ihn nur noch mehr bewundern. Gelingt es ihm, den Klub nach 28 Jahren in der Premier-League-Wildnis tatsächlich zur Meisterschaft zur führen, würden sie ihm «Denkmäler aufstellen», glaubt Carragher: «Er würde hier zum absoluten Gott werden, zum absoluten Gott.»

Klopp, der gläubige Protestant

Als gläubiger Protestant würde sich Klopp gegen solch eine Überhöhung energisch verwahren. Sein Fokus galt stets irdischen Dingen; er betrachtet die Zeit, die dem Menschen gegeben ist, als Zeit und Verpflichtung, anderen zu helfen. «Unser Auftrag besteht darin, unser kleines Fleckchen Erde schöner zu machen», erklärte er 2007 in einem Interview mit der «Westfälischen Rundschau». So wie es derzeit aussieht, könnte ihm das – nach Mainz und Dortmund – in Liverpool erneut gelingen.

Zur Person Raphael Honigstein

Der Journalist und Autor Raphael Honigstein lebt seit 25 Jahren in London und schreibt für den «Guardian» und die «Süddeutsche Zeitung» über Fussball. Hat mit dem Buch «Harder, better, faster» die Geheimnisse des englischen Fussballs beschrieben und ist Autor der Biografie von Liverpool-Trainer Jürgen Klopp «Ich mag, wenns kracht».

Der Journalist und Autor Raphael Honigstein lebt seit 25 Jahren in London und schreibt für den «Guardian» und die «Süddeutsche Zeitung» über Fussball. Hat mit dem Buch «Harder, better, faster» die Geheimnisse des englischen Fussballs beschrieben und ist Autor der Biografie von Liverpool-Trainer Jürgen Klopp «Ich mag, wenns kracht».

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«Ich mag wenns kracht», die Klopp-Biographie von Raphael Honigstein.

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