Werder Bremen droht Total-Absturz
Gibts heute das Wunder von Heidenheim?

Stellen Sie sich mal vor: Der FC Menzo Reinach steigt in die Super League auf! In Deutschland kann dieses Wunder am Montag geschehen.
Publiziert: 06.07.2020 um 15:22 Uhr
Daniel Leu

Es ist ein trister Februar-Tag im Jahr 2011. Heimspiel des 1. FC Heidenheim in der – Vorsicht Zungenbrecher – GAGFAH-Arena. Ja, das Stadion hiess wirklich so und stand für die Abkürzung der «Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten». Der Autor dieser Zeilen steht an jenem Samstagnachmittag bei den Heimfans auf der Tribüne und damit kurz vor Anpfiff ungewollt mittendrin in der rot-blauen Choreographie. Der Gegner damals in der 3. Liga: Bayern München II.

Mini-Sieg reicht bereits

Neuneinhalb Jahre später könnten die Münchner Bayern wieder nach Heidenheim in die Provinz reisen. Aber nicht mehr die zweite Mannschaft, sondern die erste, denn die Heidenheimer sind nur noch ein Spiel von der Bundesliga entfernt. Ein Sieg am Montagabend im Relegations-Rückspiel zuhause gegen Werder Bremen (Hinspiel: 0:0) – und die Sensation wäre perfekt.

Damals 2011 an der Seitenlinie: Frank Schmidt, 37-jährig. Damals 2011 auf dem Feld: Marc Schnatterer, 26-jährig, mit einem Assist und einem Tor Mann des Spiels. Diesen Montag (sicher) an der Seitenlinie: Frank Schmidt, 46-jährig. Diesen Montag (wohl) auf dem Feld: Marc Schnatterer, 34-jährig.

Noch ein Sieg und Heidenheim kann über den Aufstieg in die 1. Bundesliga jubeln.
Foto: imago images/foto2press
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Heidenheim setzt auf Kontinuität

Schmidt und Schnatterer sind die Gesichter des Wunders von Heidenheim. Ein Aufstieg wäre eine der grössten Sensationen im hiesigen Fussball, denn die Gemeinde im Osten Baden-Württembergs liegt in der Liste der grössten Städte Deutschlands nur auf Platz 196. Zum Vergleich: In der Schweiz ist dies Reinach AG, und deren Fussballklub FC Menzo Reinach klopft zurzeit nicht gerade an die Tür der Super League, sondern spielt in der 3. Liga, der siebthöchsten Fussballklasse.

Was das Spezielle an Heidenheims Aufstieg wäre: Dahinter würde nicht, wie zum Beispiel einst bei Hoffenheim, ein Mäzen stecken. Es wäre das Ergebnis jahrzehntelanger Kontinuität. So ist zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende Holger Sanwald seit 1994 im Klub und Schmidt ist dienstältester Trainer im deutschen Profi-Fussball.

Das Erfolgsrezept? «Sozialkompetenz»

Als Frank Schmidt im September 2007 Trainer von Heidenheim wurde, spielte der Klub noch in der Oberliga Baden-Württemberg und die Gegner hiessen Linx, Schwieberdingen und Crailsheim. Schmidt war damals nur eine Interimslösung und erhielt bloss bis zur Winterpause einen Vertrag. Doch Schmidt, der 300 Meter vom Stadion entfernt zur Welt kam, ist heute noch immer da.

Und mit ihm kam der Erfolg. In einem Interview mit der «Zeit» erklärte er 2019, was sein Erfolgsrezept ist. «Wenn man so lange Trainer ist, dann reicht es nicht aus, fachlich gut zu sein. Man braucht Sozialkompetenz. Ich nehme mich nicht wichtiger als ich bin, versuche ein Dienstleister für die Mannschaft und den Verein zu sein. Wenn ich das vorlebe, habe ich die Mannschaft in wichtigen Situationen bei mir.»

Schmidt steht für ehrlichen, hemdsärmligen Fussball. «Die Menschen der Region malochen die ganze Woche, damit es ihnen und ihrer Familie gut geht. Dann müssen wir auch so Fussball spielen. Unser Fussball ist nicht immer schön, wir beissen aber bis zum Umfallen. Das ist unsere Arbeitsmoral, aber auch die der Menschen auf der Ostalb.»

Schon als Aktiver war Schmidt ein Arbeiter. Der Abwehrspieler schaffte es nie bis in die Bundesliga. Doch er stand bei einer der grössten Sensationen der deutschen Fussball-Geschichte auf dem Platz. Als der Oberligist TSV Vestenbergsgreuth 1994 im Pokal das grosse Bayern München schlug, spielte Schmidt durch und war begeistert, dass er gegen sein grosses Vorbild Lothar Matthäus auflaufen durfte.

Der Captain verkörpert Heidenheim

Das zweite Gesicht des Heidenheim-Wunders ist das von Marc «Schnatti» Schnatterer. Beim KSC einst als zu klein bewertet, fand er in Heidenheim sein Glück. Seit 2008 spielt er hier, längst ist er der Captain. Als er im vergangenen Jahr seinen Vertrag bis 2021 verlängerte, erklärte er: «Heidenheim passt zu mir und ich pass nach Heidenheim. Unser gemeinsamer Weg ist noch nicht zu Ende.»

Für viele Experten ist Schnatterer der beste Fussballer Deutschlands, der (noch) nie in der 1. Bundesliga gespielt hat. Er selbst sieht es pragmatisch, wie er einst «11 Freunde» verriet: «Vielleicht bin ich ja auch einfach ein Spielertyp für die zweite Liga? Ich bin jemand, der marschiert und kämpft. Ich kann eine Mannschaft mitziehen und mitreissen. Das alles spiegelt die zweite Liga ziemlich gut wieder. Vielleicht komme ich in dieser Liga deswegen ganz gut zurecht.»

Beweist sich Schnatterer bald in der Bundesliga?

Ob Schnatterer auch 1. Bundesliga kann? Ein Sieg noch und er kann es in der neuen Saison beweisen. Eines wird in Heidenheim aber so oder so bleiben: Liko's Kiosk. Müsste man den Klub umschreiben, käme man an ihm nicht vorbei. Als er 1972 öffnete, war das Stadion noch ein Stadiönchen. Seitdem wurde die Heimspielstätte mehrfach umgebaut und immer grösser. Doch der Kiosk wurde nicht angerührt. Und statt dort einnahmeträchtige Sitzplätze hinzupflanzen, steht er heute noch immer am gleichen Ort wie vor 48 Jahren.

Mittlerweile gibt es im Fanshop sogar «Liko's-Kiosk-Fanschals» zu kaufen. «Wir haben die Tribüne einfach um unseren alten Kiosk herum gebaut», erklärte Holger Sanwald einst der Berliner «BZ», «wir haben den Kiosk behalten, um nicht zu vergessen, wo wir herkommen. Der Kiosk war und ist unser sozialer Mittelpunkt – dort haben wir all unsere Erfolge gefeiert.»

Gut möglich, findet dort – auch ohne Fans – am Montag die nächste Feier statt. Die Aufstiegsfeier in die 1. Bundesliga!

«Druck hat der Milchmann»

Seine Sternstunden als Aktiver sind rar. Von einer aber zehrt Frank Schmidt bis heute. 1994 trifft er mit dem damaligen Viertligisten Vestenbergsgreuth im Cup auf den deutschen Meister. Der heisst, wie er scheinbar immer heisst: FC Bayern. Im Mittelfeld führt Lothar Matthäus Regie, Schmidts Vorbild. Und ausgerechnet «Loddar» beglückt Schmidt unfreiwillig, wie der dem Magazin «11Freunde» verriet: «Der Schiri gab Freistoss, und Lothar rief: ‹Frank, gib den Ball her.› Unglaublich, der kannte meinen Namen. Da war ich gleich einen halben Meter grösser.» Schmidt gewinnt gegen Weltmeister Loddar gar 1:0. Epochal!

Von der 4. in die 1. Liga?

Mit demselben Attribut müsste beschrieben werden, sollte der 1. FC Heidenheim den SV Werder Bremen heute in der Barrage in die Zweitklassigkeit stürzen – und sich selbst in die 1. Bundesliga heben. Ein 1:0 würde nach dem 0:0 im Hinspiel reichen. Es wäre die Krönung eines fast beispiellosen Aufstiegs.

Der beginnt 2007. Damals übernimmt Schmidt nur wenige Wochen nach seinem Aktiv-Rücktritt den Job interimsweise. Er muss bekniet werden. Heidenheim dümpelt da in der viertklassigen Oberliga Baden-Württemberg. «Damals hat Präsident Holger Sanwald gesagt: ‹Mach das mal für zwei Spiele.»

«Machs mal für zwei Spiele»

Aus zwei Spielen werden mehr als 450, aus zwei Wochen werden knapp 13 Jahre. Inzwischen ist Schmidt dienstältester Trainer im deutschen Profifussball – und das in seiner Heimat. Schmidt, gelernter Bankkaufmann, in seiner Blüte Zweitliga-Profi in Aachen, wird im Januar 1974 nur wenige Meter vom Stadion entfernt geboren.

Ins Bewusstsein vieler Fans rückt er 2013 durch eine Trainer-Doku, in der er und andere Jung-Trainer beleuchtet werden. Schmidt sticht heraus – als harter, aber herzlicher Trainer, bodenständig, direkt, durchaus mit Schalk und nicht zuletzt: gerissen. Ex-Spieler Florian Niederlechner, heute Profi in Augsburg, sagt: «Er weiss, wie er Spieler anpacken muss, und ist menschlich ein überragender Typ.»

Druck? Kennt er nicht

Eine Verknöcherung zwingt ihn dazu, seinen Kopf zur rechten Seite zu neigen. Was ihn früher genervt habe, wie Journalisten berichten, begreift er heute als Markenzeichen. Und vor einem erlitt der Vater zweier Teenager-Töchter eine Thrombose. Sie habe ihn nachdenklicher gemacht, ruhiger, sagt er. «Meine Frau ruft mich nicht mehr ganz so oft Teilchenbeschleuniger.» Energisch sei er aber nach wie vor.

Und voller Pläne – auch abseits des Rasens. Sollte er die Lust am Trainerjob verlieren? Kein Problem. Dann erwägt er, mit einem Kumpel eine Bar zu eröffnen. «Er träumt von einer Café-Bar. Ich bevorzuge Tapas», sagt Schmidt zu «11Freunde».

Die Gegenwart aber heisst Barrage, Werder, 1. oder 2. Liga. Nervös? Schmidt: «Druck hat der Milchmann.»

Er spricht mit der Gelassenheit des Trainers, der weiss, dass er ohnehin schon Gewinner ist. Und der längst Begehrlichkeiten von grösseren Klubs geweckt hat.

Lothar Matthäus ist wohl kaum überrascht.

Seine Sternstunden als Aktiver sind rar. Von einer aber zehrt Frank Schmidt bis heute. 1994 trifft er mit dem damaligen Viertligisten Vestenbergsgreuth im Cup auf den deutschen Meister. Der heisst, wie er scheinbar immer heisst: FC Bayern. Im Mittelfeld führt Lothar Matthäus Regie, Schmidts Vorbild. Und ausgerechnet «Loddar» beglückt Schmidt unfreiwillig, wie der dem Magazin «11Freunde» verriet: «Der Schiri gab Freistoss, und Lothar rief: ‹Frank, gib den Ball her.› Unglaublich, der kannte meinen Namen. Da war ich gleich einen halben Meter grösser.» Schmidt gewinnt gegen Weltmeister Loddar gar 1:0. Epochal!

Von der 4. in die 1. Liga?

Mit demselben Attribut müsste beschrieben werden, sollte der 1. FC Heidenheim den SV Werder Bremen heute in der Barrage in die Zweitklassigkeit stürzen – und sich selbst in die 1. Bundesliga heben. Ein 1:0 würde nach dem 0:0 im Hinspiel reichen. Es wäre die Krönung eines fast beispiellosen Aufstiegs.

Der beginnt 2007. Damals übernimmt Schmidt nur wenige Wochen nach seinem Aktiv-Rücktritt den Job interimsweise. Er muss bekniet werden. Heidenheim dümpelt da in der viertklassigen Oberliga Baden-Württemberg. «Damals hat Präsident Holger Sanwald gesagt: ‹Mach das mal für zwei Spiele.»

«Machs mal für zwei Spiele»

Aus zwei Spielen werden mehr als 450, aus zwei Wochen werden knapp 13 Jahre. Inzwischen ist Schmidt dienstältester Trainer im deutschen Profifussball – und das in seiner Heimat. Schmidt, gelernter Bankkaufmann, in seiner Blüte Zweitliga-Profi in Aachen, wird im Januar 1974 nur wenige Meter vom Stadion entfernt geboren.

Ins Bewusstsein vieler Fans rückt er 2013 durch eine Trainer-Doku, in der er und andere Jung-Trainer beleuchtet werden. Schmidt sticht heraus – als harter, aber herzlicher Trainer, bodenständig, direkt, durchaus mit Schalk und nicht zuletzt: gerissen. Ex-Spieler Florian Niederlechner, heute Profi in Augsburg, sagt: «Er weiss, wie er Spieler anpacken muss, und ist menschlich ein überragender Typ.»

Druck? Kennt er nicht

Eine Verknöcherung zwingt ihn dazu, seinen Kopf zur rechten Seite zu neigen. Was ihn früher genervt habe, wie Journalisten berichten, begreift er heute als Markenzeichen. Und vor einem erlitt der Vater zweier Teenager-Töchter eine Thrombose. Sie habe ihn nachdenklicher gemacht, ruhiger, sagt er. «Meine Frau ruft mich nicht mehr ganz so oft Teilchenbeschleuniger.» Energisch sei er aber nach wie vor.

Und voller Pläne – auch abseits des Rasens. Sollte er die Lust am Trainerjob verlieren? Kein Problem. Dann erwägt er, mit einem Kumpel eine Bar zu eröffnen. «Er träumt von einer Café-Bar. Ich bevorzuge Tapas», sagt Schmidt zu «11Freunde».

Die Gegenwart aber heisst Barrage, Werder, 1. oder 2. Liga. Nervös? Schmidt: «Druck hat der Milchmann.»

Er spricht mit der Gelassenheit des Trainers, der weiss, dass er ohnehin schon Gewinner ist. Und der längst Begehrlichkeiten von grösseren Klubs geweckt hat.

Lothar Matthäus ist wohl kaum überrascht.

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