25 Millionen für Nagelsmann
Die neue Macht der Trainer – so denkt Hitzfeld

Siebenstellige Ablösesummen für Trainer. Ist das ein neuer Trend oder nur eine Momentaufnahme? Werden aus den einstigen Prügelknaben des Fussballs die grossen Stars?
Publiziert: 02.05.2021 um 00:36 Uhr
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Aktualisiert: 03.05.2021 um 12:10 Uhr
Felix Bingesser

Der Transfer von Julian Nagelsmann von Leipzig zu Bayern München ging blitzartig über die Bühne. Anstandslos und ohne grosses Geschacher hat Bayern München die rund 25 Millionen Euro für den 33-jährigen Kronprinzen der Trainergilde hingeblättert. Weltrekord.

Trainer, so scheint es derzeit, sind innert Wochen von Prügelknaben zu Superstars aufgestiegen. Nagelsmann ist kein Einzelfall. Dortmund zahlt für Gladbachs Marco Rose eine Ablöse von 5 Millionen Euro. Die Gladbacher investieren das Geld gleich in Adi Hütter, der aus Frankfurt kommt. 7,5 Millionen sind es sogar. In England sind horrende Ablösesummen für Trainer schon länger fester Bestandteil des Geschäfts.

Ein Bild aus alten Bundesliga-Tagen: Ottmar Hitzfeld (l.), damals BVB-Trainer, lacht mit Rolf Fringer (VfB Stuttgart).
Foto: imago sportfotodienst
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«Die wichtigste Personalie im Verein»

Ist das alles nur eine Momentaufnahme oder doch eine Trendwende? Für Ottmar Hitzfeld, einst Trainer bei den grossen Bayern, ist die Nagelsmann-Ablöse nicht überrissen. «Der Trainer ist die wichtigste Personalie im Klub. Im Verhältnis zu den gigantischen Transfersummen für die Spieler ist die Ablöse für Nagelsmann vertretbar. Schliesslich hat jeder Ersatzspieler bei den Bayern einen höheren Marktwert.»

Auch für Rolf Fringer, wie Hitzfeld einst Trainer in der Bundesliga und bei der Schweizer Nationalmannschaft, ist diese Ablöse vertretbar. «Wenn ein Klub so viel Geld zahlt und den Trainer mit einem mehrjährigen Vertrag ausstattet, ist das ein enormer Vertrauensbeweis und stärkt die Position des Trainers enorm. Das registrieren auch die Spieler. Nagelsmann hat so von Beginn grossen Respekt und grosse Akzeptanz. Das ist bei den Bayern nicht unwichtig.»

Für Fringer ist das eine erfreuliche und richtige Entwicklung. «Die Trainer sind grundsätzlich zu schlecht gestellt und immer noch das mit Abstand schwächste Glied in der Kette. Es gibt immer noch zu viele Amateure im Präsidium der Vereine. Die wechseln nach drei schlechten Spielen den Trainer und haben das Gefühl, alles werde besser.»

Zehn Jahre Ausbildung für die Katze

Dabei, sagt Fringer, sei die Belastung für die Trainer ungleich grösser als für die Spieler. «Sie tragen die gesamte Verantwortung. Der Verschleiss und die Belastung sind in diesem Job riesig. Und die gesundheitlichen Probleme und Abnützungserscheinungen nehmen zu. Und es gibt auch viel mehr arbeitslose Trainer als arbeitslose Spieler. Findet ein Trainer keinen Job mehr, dann sind zehn Jahre Ausbildung für die Katze.»

Fringer stützt die Meinung von Hitzfeld, dass der Trainer die wichtigste und zentralste Figur im Klub ist. «Wenn man sieht, was beispielsweise Adi Hütter mit Frankfurt erreicht hat und den Klub jetzt vielleicht in die Champions League führt, dann würde er jede Ablösesumme gleich selber refinanzieren.» Eine Sicht der Dinge und eine Entwicklung, die auch Frankfurts Sportchef Fredi Bobic teilt. Und gegenüber der «Süddeutschen Zeitung» sagt: «Dass Trainer heute oft selbst über ihr Schicksal entscheiden, ist ein hohes Gut. Und diese Freiheit haben sie sich auch verdient.»

Was in Deutschland derzeit für Furore sorgt, gehört in England schon länger zur Tagesordnung. Für André Villas-Boas hat Chelsea schon vor zehn Jahren 15 Millionen nach Porto überwiesen. Und auch die Saläre der Trainer sind dort massiv angestiegen. Sie erreichen aber längst nicht das Niveau der Topstars.

Aarau hat für Fringer kassiert

Auch diese Schere hat sich geöffnet. «Als ich 1995 zum VfB Stuttgart ging, hat der Spieler Krassimir Balakov sicher mehr verdient als ich. Aber im Lohngefüge hat der Trainer damals eine Spitzenposition gehabt. Das hat sich seither massiv verändert und die Stellung des Trainers geschwächt. Die Topspieler verdienen mittlerweile in den grossen Klubs meistens ein Mehrfaches der Trainer», sagt Fringer.

Dass man für Trainer Ablösesummen bezahlt, hat es schon früher gegeben. Auch bei Fringer selber. «Ich habe 1995 meinen Vertrag mit dem FC Aarau aus Dankbarkeit zum Klub und zum Präsidenten Ernst Lämmli noch schnell verlängert, als ich einige Angebote aus dem Ausland hatte. So hat Aarau bei meinem Wechsel nach Stuttgart eine Ablösesumme kassiert.» Auch wenn es damals kein Millionenbetrag gewesen ist: Für den kleinen FC Aarau war die Überweisung aus dem Schwabenland ein warmer Geldsegen.

Bringt auch Seoane Millionen?

Aufmerksam verfolgt man die jüngste Entwicklung in Deutschland auch bei den Young Boys. Dort hat man mit Gerardo Seoane einen Mann, der das Interesse der Bundesliga geweckt hat und für den die Berner wohl auch eine Transfersumme im siebenstelligen Bereich abrufen können. Sportchef Christoph Spycher sagt: «Natürlich verfolgen wir die Entwicklung mit Interesse. Es gehört zum Spitzenfussball, dass eine Ablösesumme fällig wird, wenn jemand aus einem laufenden Vertrag aussteigt. In der Bundesliga bewegen sich einige Vereine bei Trainerwechseln nun in völlig neuen Dimensionen.» Ob YB da profitieren kann? Bezüglich Seoane gibt es weiterhin nur Spekulationen. Spycher: «Wir sind glücklich mit ihm, aber wissen natürlich, dass sein Name dank den herausragenden Leistungen in den letzten Jahren auch im Ausland ein Begriff ist.»

Ablösesummen für Trainer und damit eine neue Macht und eine neue Wertschätzung für diesen gebeutelten Berufsstand. Greift diese Entwicklung auch auf den Schweizer Fussball über? Rolf Fringer hofft, dass es zur Trendwende kommt. «Bei gewissen Schweizer Klubs hatte man in den letzten Jahren den Eindruck, dass der Trainer nur geduldet ist. Und noch dankbar sein muss, wenn der Klub überhaupt den Vertrag erfüllt. Die Stellung des Trainers und damit des wichtigsten Mitarbeiters im Klub muss weiter gestärkt werden.»

Derzeit ist es in der Super League relativ ruhig. Es scheint, dass die meisten Trainer trotz Abstiegssorgen in Ruhe arbeiten können. Und es gibt tatsächlich Anzeichen dafür, dass eine neue wertschätzende Haltung gegenüber den Trainern im Anzug ist. Fringer sieht das ähnlich, relativiert aber: «Von einer Trendwende möchte ich noch nicht reden. Denn dass es etwas ruhiger ist und die Trainer etwas mehr Kredit geniessen, hat auch mit der Corona-Pandemie zu tun. Die Zukunft ist im Moment sehr ungewiss. In solchen Zeiten neigt man weniger zum Aktionismus.»

«In der Bundesliga gibt es ein Trainer-Scouting»

Trotzdem hofft auch Philip J. Müller auf einen gewissen Paradigmenwechsel. Müller ist Präsident der Union Schweizer Fussball-Trainer. «Es ist eine interessante Entwicklung, die wir derzeit in Deutschland beobachten können. Bis jetzt hat man in Zusammenhang mit Trainern ja meist von Entlassungen geredet. Jetzt passiert das Gegenteil.» Ob diese neue Wertschätzung für die Trainer auf die Schweiz überschwappt, kann Müller nur hoffen. «In der Bundesliga gibt es halt auch ein professionelles Trainer-Scouting. In der Schweiz werden oft noch zu wenig Abklärungen getroffen, ob das Profil des Trainers zur Strategie und Philosophie des Klubs passt. Das gibt dann auch überstürzte Verpflichtungen mit unglücklichem Ende.» Wie schwierig das Trainerleben ist, zeigt auch dies: In der Super League und der Challenge League gibt es zwanzig Jobs für Trainer mit einer Uefa-Pro-Lizenz. Aber 200 Schweizer Trainer haben diese Lizenz. Man rechne.

Zurück zu Ottmar Hitzfeld. 25 Millionen, wie sie die Bayern jetzt für Nagelsmann bezahlen, waren auch bei ihm einmal ein Thema. Allerdings nicht als Ablöse, sondern als Gehalt. Aus der chinesischen Metropole Guangzhou erreichte ihn dieses Angebot 2015. 25 Millionen für eineinhalb Jahre Trainerjob.

Hitzfeld hat damals abgelehnt. Weil ihm die Aussicht, bald Grossvater zu werden und diese Zeit zu geniessen, verlockender erschien.

Bundesliga
Mannschaft
SP
TD
PT
1
Bayern München
Bayern München
3
8
9
2
Borussia Dortmund
Borussia Dortmund
3
4
7
3
RB Leipzig
RB Leipzig
3
2
7
4
1. FC Heidenheim 1846
1. FC Heidenheim 1846
3
4
6
5
Bayer Leverkusen
Bayer Leverkusen
3
3
6
6
Eintracht Frankfurt
Eintracht Frankfurt
3
1
6
6
SC Freiburg
SC Freiburg
3
1
6
8
Werder Bremen
Werder Bremen
3
1
5
9
Union Berlin
Union Berlin
3
1
5
10
FSV Mainz
FSV Mainz
4
0
5
11
VfB Stuttgart
VfB Stuttgart
3
0
4
12
FC Augsburg
FC Augsburg
4
-3
4
13
VfL Wolfsburg
VfL Wolfsburg
3
0
3
14
Borussia Mönchengladbach
Borussia Mönchengladbach
3
-1
3
15
TSG Hoffenheim
TSG Hoffenheim
3
-4
3
16
VfL Bochum
VfL Bochum
3
-4
0
17
FC St. Pauli
FC St. Pauli
3
-5
0
18
Holstein Kiel
Holstein Kiel
3
-8
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