«Ich will einfach meinen Job machen»
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Fussball-Kommentatorin Neumann:«Ich will einfach meinen Job machen»

Fussball-Kommentatorin Claudia Neumann
«Ich will einfach meinen Job machen»

Claudia Neumann (56) kommentiert als einzige Frau Männer-Fussballspiele im TV. Dafür wird sie immer wieder aufs Übelste beschimpft. Nun hat sie ein Buch geschrieben. Sie hofft, dass Corona den Sport nachhaltig verändern wird. Hoffnung macht ihr auch die Schweizer Nati.
Publiziert: 28.03.2020 um 16:24 Uhr
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Aktualisiert: 20.04.2020 um 11:25 Uhr
Die Fussballkommentatorin Claudia Neumann: «Ich verstehe, dass eine Frauenstimme, die Männerfussball kommentiert, ungewohnt ist.»
Foto: ZDF
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Interview: Alexandra Fitz

Claudia Neumann, Sport findet gerade nicht statt. Was tun Sie jetzt eigentlich die ganze Zeit?
Claudia Neumann:
Wir sortieren uns (lacht). Derzeit berichten wir noch über die Entwicklungen im Sport aufgrund von Corona. Danach werden wir uns in der Tat sortieren müssen. Wenn der Herbst auch noch sportfrei bleibt, heisst das wenig Arbeit. Dafür wird dann nächstes Jahr mit den anstehenden Turnieren sehr geballt sein. 2021 wird ein Wahnsinnsjahr.

Sie hätten die EM 2020 kommentiert. Haben Sie sich speziell darauf vorbereitet?
Die Vorbereitungen hätten jetzt angefangen.

Ich meine, ob Sie sich ein dickeres Fell zugelegt haben. 2016 kommentierten Sie das erste Mal die EM der Männer und erlebten einen Shitstorm. Bei der WM 2018 den zweiten.
Ich wüsste nicht, wie ich mich darauf vorbereiten könnte. Ich ging davon aus, dass das Bashing im Netz wieder losgeht, sobald ich bei wichtigen Spielen auf Sendung gehe. Ich versuche Fehler zu vermeiden. Aber das gelingt nicht immer, Männern übrigens auch nicht. Ich habe mittlerweile einen guten Umgang mit diesem Phänomen.

Aber Beleidigungen in dieser Menge und Heftigkeit gehen doch nicht spurlos an einem vorbei?
Mir wird immer die Frage gestellt: Was macht das mit einem? Das kann ich Ihnen nicht wirklich sagen. Aber ich reflektiere und hinterfrage mich seit 2016 sicher mehr. Auch das Schreiben des Buches war ein Reflexionsprozess.

Der Titel ist sogar ein Tweet über Sie: «Hat die überhaupt ’ne Erlaubnis, sich ausserhalb der Küche aufzuhalten?»
Ja, ich will mich klar positionieren. Das ist kein Sportreporterbuch, sondern ein Mutmacher für andere. Gleichberechtigung ist ein aktuelles gesellschaftliches Thema, und es soll auch Frauen ansprechen, die sich nicht für Fussball interessieren.

Sie ärgern sich vor allem über das Niveau und den fehlenden Anstand, der Ihnen entgegenschlägt.
Ja. Man muss sachliche Kritik von Hetze und Hass trennen. Ich bin im öffentlichen Raum exponiert und muss mich der Kritik stellen. Sachlicher Kritik!

«Es geht nicht um fachliche Fehler, sondern schlicht um ihr Geschlecht», sagte der ZDF-Sportchef und Ihr direkter Chef während der WM 2018. Wir sprechen von Sexismus!
Ja, das tun wir. Von 2016 auf 2018 hat diese Netz-Häme noch einmal extrem zugenommen. Während der WM hatte ich gar keine Zeit, diese Auswüchse zu verfolgen. Mein Chef hielt mir den Rücken frei, um den Druck nicht noch zu erhöhen.

Während der WM stockte das ZDF Ihretwegen das Social-Media-Team auf. Wie fühlt sich das an?
Unangenehm. In Redaktionskonferenzen bin ich diesbezüglich auch oft Thema, ich sinke jedes Mal zusammen.

Zwei Mal erstattete das ZDF Anzeige. Welche Kommentare waren der Auslöser?
Das kann ich gar nicht genau sagen. Bereits 2016 fragte mich der Chefredakteur des ZDF, ob ich Anzeige erstatten will. Ich wollte nicht. Bei der WM in Russland 2018 entschied der Sender selbst und erstattete Anzeige wegen zwei Tweets. Ich sass in Moskau im Hotel und erfuhr es aus den Nachrichten. Ich bin ziemlich zusammengezuckt. Ich denke, man wollte damals nach aussen ein Zeichen setzen.

Und?
Das Verfahren wurde eingestellt.

Was sind das für Menschen, die Sie im Netz derart beschimpfen?
Ich weiss es nicht. Ich habe oft den Eindruck, dass einer seine Meinung äussert und diese stets multipliziert wird. Im realen Leben erlebe ich so etwas nicht. Das Benimmverhalten ist anders, die Menschen wägen genauer ab, wie sie einem gegenübertreten. Seit diesem Netz-Bashing bin ich erheblich mehr im Austausch mit Fans, und ich erinnere mich an keine einzige Kommunikation, die mies war. Dieser Hass ist eine Netz-Charakteristik.

Sie kriegen aber auch viel Lob und Support. Moderatoren tragen Ihr Konterfei auf Shirts, Kollegen nehmen Sie öffentlich in Schutz, und der Chef lobt Ihr Durchhaltevermögen.
Das tut sehr, sehr gut. Aber mir wäre lieber, ich hätte diese Art der Aufmerksamkeit nicht nötig. Ich stehe nicht so gerne in der Öffentlichkeit. Ich will einfach meinen Job machen.

Sie schreiben, dass Sie als Frau in die letzte Männerbastion eingetreten sind und die Männer überfordern. Interviewen und moderieren, okay. Aber live ein Männerfussballspiel kommentieren? Das geht zu weit.
Offensichtlich haben diese Hater im Fussballrefugium grössere Probleme mit Frauen als in anderen Bereichen. Sie sagen sich: Jetzt dringen sie auch noch in diesen Bereich ein. Ein hoher Politiker schrieb mir dazu: Jedes erste Mal ist schwierig.

Welcher Politiker?
Sigmar Gabriel. Da war er noch Vizekanzler.

Ich möchte Sie noch einmal zitieren: «Eine Frau, die Männern ein Männerspiel deutet, zerstört das Weltbild.»
Ich verstehe ja, dass eine Frauenstimme, die Männerfussball kommentiert, ungewohnt ist. Auch ich finde einige Stimmen toller als andere. Aber das ist geschmäcklerisch. Ein Rentner schrieb mir: Er habe ein Problem mit einer Frauenstimme; inhaltlich sei alles prima, und es tue ihm auch leid, was mir da alles widerfahre. Das ist dann ja auch okay.

Ihre Stimme ist immer wieder Thema.
Bei einer emotionalen Torszene überschlägt sich die Frauenstimme mehr als die der Männer. Also habe ich gelernt, darauf zu achten. Ansonsten trainiere ich mir keine andere Art des Sprechens an, um den Leuten entgegenzukommen. Das wäre nicht authentisch.

Sie haben ja eine tiefe Stimme.
Anscheinend, ich werde oft mit «Herr Neumann» am Telefon angesprochen. Ich habe keine hohe, schrille Stimme. Aber es ist eine Frauenstimme, und das soll sie auch bleiben.

Kommentatoren polarisieren generell. Sie sagen, dass Sie als Frau dem ganzen nur noch die Krone aufsetzen und immer Zielscheibe bleiben. Haben Sie keine Hoffnung?
Das habe ich vor der Coronakrise geschrieben (lacht). Auch aus Selbstschutz, damit ich mir keine Hoffnung mache, sondern weiter lerne, damit umzugehen. Ich hoffe, dass sich nach der Coronakrise das gesellschaftliche Miteinander verändert.

Sie wollten sich anfangs nicht mit dem Gender-Thema auseinandersetzen.
Ich hab mich nie im Gleichberechtigungskampf engagiert. Ich fand dieses Frauenthema immer überhöht. Ich wurde mit Fussball genau gleich sozialisiert wie die Männer. Aber ich weiss heute, es macht keinen Sinn, sich wegzuducken. Ich zeige mein Gesicht. Dieser Verantwortung will ich mich stellen und Kolleginnen und jungen Frauen Mut machen. Die Menschen werden sich daran gewöhnen müssen, dass Frauen irgendwann alles machen können.

Männer sehen Sie also als Exotin. Wie sehen Frauen Sie?
Ich weiss nicht, wie viele Frauen an Hasskommentaren beteiligt sind. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass nicht alle Frauen angetan sind, wenn das Bild der Frau sich derart verändert.

Am Ende des Buches schreiben Sie, dass Ihre negative Erfahrung positive Folgen hat.
Wenn ich mit meiner Geschichte einen Teil dazu beitragen kann, die gesellschaftlichen Weichen ein klein wenig zu verrücken, dann bedeutet mir das was.

Dachten Sie schon mal ans Aufhören?
Nicht wirklich. Ich habe männliche Kollegen, deren Kinder in der Schule gehänselt werden. Ich habe keine Kinder. Solange es nur mich betrifft, kann ich es aushalten.

Sie schrieben einem Kollegen nach der EM 2016 ein SMS mit den Worten «Ich weiss nicht, ob es das wert war».
Ja, da sass ich in Toulouse am Flughafen, und mir gingen sentimentale Gedanken durch den Kopf.

Eine grassierende Erregungskultur gibt es nicht nur im Netz, sondern auch im Stadion. Zuletzt die Drohungen gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp. Und Transparente wie «Hopp bleibt ein Hurensohn». Da läuft einiges aus dem Ruder.
Absolut. Mich haben diese Transparente unter der Gürtellinie und der aggressive Ton der Fans schon immer abgeschreckt. Ich kann mit der These «Zum Fussball gehört Aggressionsabbau» nichts anfangen. Man kann gegen den Fussballkommerz protestieren, aber bitte auf eine andere Weise. Stadionatmosphäre ist wichtig, die Geisterspiele, die wir zuletzt hatten, waren furchtbar. Aber mir gefällt ein WM-Publikum besser als das der Bundesliga. Männer, Frauen und Kinder angemalt im Gesicht – dieses Eventpublikum ist weniger fanatisch als das im Vereinsfussball.

Sind diese Chaoten in den Kurven dieselben Typen, die Sie im Netz fertigmachen?
Ich glaube, da ist die Schnittmenge eher gering. Das eine sind Menschen, die das Netz als Ventil entdeckt haben, das andere Fussballfans, die schon reflektierter sind. Aber bei beiden gibt es eine grosse Menge an Mitläufern – und die sind am gefährlichsten.

Das Milliarden-Business Fussball steht still. Kann es nachher im selben Stil weitergehen?
Darüber denken gerade viele Menschen nach. Das Wort Solidarität fällt an jeder Ecke. Aber im Fussball geht es um Angebot und Nachfrage. Er ist Volkssport Nummer 1 und hat das Potenzial, sich zu einem Geschäft hochzuschaukeln. Jeder will das Bestmögliche rausholen, niemandem ist das vorzuwerfen. Das würden wir alle tun. Niemand würde sagen: Ich verzichte, weil ich das für unethisch halte. Und dennoch wünsche ich mir, dass alles eine Stufe runtergefahren wird.

Der Ruf wurde laut, dass grosse Klubs die kleinen unterstützen sollen.
Ja, aber sie wollen nicht dazu gedrängt werden. Ich glaube, dass der Mensch in schwierigen Zeiten hilft, wenn er kann. Das tun gerade viele Sportler. Das wunderbare Video der Schweizer Nationalmannschaft, die das Pflegepersonal unterstützen will, geht ja gerade viral. Yann Sommer zum Beispiel ist der Wahnsinn. Der singt richtig gut!

Claudia Neumann «Hat die überhaupt ’ne Erlaubnis, sich ausserhalb der Küche aufzuhalten?», Harper Collins Verlag

Frau unter Männern

Die 1964 geborene Claudia Neumann wuchs in Neunkirchen in Nordrhein-Westfalen auf. Sie verbrachte ihre Kindheit vor allem auf dem Fussballplatz. Mit dem Traum, Sportreporterin zu werden, studierte sie Germanistik und Sport. Ihre Karriere startete sie bei Sat.1. 1999 wechselte sie zum ZDF. 2011 kommentierte sie das erste Mal die Frauenfussballweltmeisterschaft. Seit 2016 sitzt sie auch bei den Turnieren der Männer am Mikrofon. Das löste im Netz eine Flut von sexistischen Kommentaren aus, die eine weitreichende Debatte nach sich zog. Bei der EM 2018 dasselbe. In diesen Tagen veröffentlicht sie ihr erstes Buch. Neumann lebt in Wiesbaden. Über ihren Beziehungsstatus will sie keine Auskunft geben.

Die 1964 geborene Claudia Neumann wuchs in Neunkirchen in Nordrhein-Westfalen auf. Sie verbrachte ihre Kindheit vor allem auf dem Fussballplatz. Mit dem Traum, Sportreporterin zu werden, studierte sie Germanistik und Sport. Ihre Karriere startete sie bei Sat.1. 1999 wechselte sie zum ZDF. 2011 kommentierte sie das erste Mal die Frauenfussballweltmeisterschaft. Seit 2016 sitzt sie auch bei den Turnieren der Männer am Mikrofon. Das löste im Netz eine Flut von sexistischen Kommentaren aus, die eine weitreichende Debatte nach sich zog. Bei der EM 2018 dasselbe. In diesen Tagen veröffentlicht sie ihr erstes Buch. Neumann lebt in Wiesbaden. Über ihren Beziehungsstatus will sie keine Auskunft geben.

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