Albaniens Trainer Gianni De Biasi über das EM-Duell mit der Schweiz
«Das wollten wir vermeiden»

Seit 2011 ist Gianni De Biasi Albaniens Trainer. Durch die EM-Quali ist der Italiener zum Volkshelden geworden. Er will für die albanische Sache nicht mehr in der Schweiz missionieren.
Publiziert: 16.12.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 23:16 Uhr
Von Alain Kunz (Text) und Toto Marti (Foto) aus Paris

BLICK: Mister, wenn Sie zurückdenken an den Moment, an dem die Kugel mit der Aufschrift «Switzerland» gezogen wurde – waren Sie da elektrisiert wie die ganze Schweiz?
Gianni De Biasi (59):
Nein, ich habe vielmehr gedacht: Oh nein! Weil wir das nicht erwartet hatten. Weil wir noch am Vortag darüber gesprochen hatten, dass dies ein merkwürdiges Spiel sein würde zwischen so vielen Albanern. Es wäre schön gewesen, das zu vermeiden. Aber jetzt ist es so. Ich hoffe, dass beide weiterkommen.

Welche Reaktionen haben Sie aus Albanien gehabt?
Für viele Albaner ist dieses Spiel deshalb speziell, weil auf der Gegenseite viele Spieler einlaufen werden, die hier als «Verräter» angeschaut werden, weil diese sich entschieden haben, für ein anderes Land zu spielen – trotz albanischer Herkunft. Ich habe schon immer betont, dass jemand frei sein soll, jenes Land zu wählen, das gut zu ihm gewesen ist. Das sie aufgenommen hat, ihren Eltern Arbeit gegeben hat. Sie haben ihre Kindheit dort verbracht und haben sich integriert, die Gepflogenheiten angenommen. Sie fühlen sich als Schweizer, nehme ich mal an. Auch wenn sie im Herzen immer Albaner bleiben werden.

Wissen Sie, wie viele Stammspieler Ihrer Mannschaft in der Schweiz aufgewachsen und durch die Juniorenauswahlen unseres Landes gegangen sind?
Vier, fünf, sicher.

Selfie vor dem Eiffelturm: Gianni De Biasi träumt davon, an der EM in Frankreich mit Hilfe von Schweizer Spielern Grosses zu erreichen.
Foto: Toto Marti
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Sieben!
Na ja, es kommt darauf an, welches Team Sie aufstellen.

Die Elf, welche in der aktuellen «Equipe» aufgeführt ist.
Zeigen Sie mal.

Okay, hier.
Gut. Aber zum Glück mache immer noch ich die Aufstellung – und nicht die «Equipe». Also: Ajeti ist kein Stammspieler. Aliji auch nicht. Von denen, die ich an deren Positionen sehe, ist keiner in der Schweiz aufgewachsen. Und ganz vorne auch nicht. Vielleicht Gashi, wenn er denn spielt.

In der Schweiz haben viele gesagt, dass man nun sehen werde, was den Spielern näher sei: der Doppeladler oder das Kreuz!
Fussball muss doch über solchen Dingen stehen. Wenn sich jemand mal entschieden hat, für die Schweiz zu spielen, dann steht er auf dem Feld und will um jeden Preis gewinnen.

Bei uns gibt es aber regelmässig Diskussionen um echte Schweizer und solche mit Migrationshintergrund. Es heisst, dass es einen Graben im Team gebe.
Okay, aber das ist keine albanische Frage. Die Schweiz ist gespickt mit Spielern, die keine Schweizer Wurzeln haben. Ihr habt doch auch einen Südamerikaner, der linke Aussenverteidiger, wie heisst er gleich noch mal? Ach ja, Rodriguez. Oder Inler. Ihr habt die Türen geöffnet. Diese Leute empfangen, diese Familien gesellschaftlich eingebettet. Und die Kinder spielen Fussball und entwickeln dabei mehr Hunger als viele andere.

Polemik gab es auch immer wieder wegen dem Doppeladler-Zeichen auf dem Feld, zum Beispiel bei Granit Xhaka oder Pajtim Kasami.
Die wollen doch damit zeigen, dass sie Albaner sind. Oder zumindest Wurzeln dort haben. Ist doch okay.

Wenn Sie mit einem Spieler sprechen, der sich noch nicht entschieden hat, für welches Land er im A-Nationalteam spielen will – fühlen Sie sich dann wie ein Missionar für die albanische Sache?
(lacht) Sagen wir es so: Wir haben uns um Spieler bemüht, die für uns interessant sein können, aber nicht hundertprozentig für die Schweiz. Wir tun das nur, wenn uns aus der Schweiz keine Feindschaft entgegenschlägt. Auch nicht von der Uefa. So haben wir das geschafft. Aber nochmals: Immer ohne zu stören.

Im Moment gibt es solch einen offenen Fall: Shani Tarashaj.
Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat mir gesagt, dass er im Moment nicht darüber nachdenken will. Damit ist für mich der Fall erledigt. Wenn einer nicht den sofortigen Willen hat, dann interessiert er mich nicht mehr.

Wirklich?
Ja!

Aber die Türe bleibt offen?
Nein!

Nein?
Solange ich da bin: Nein! Da muss zuerst ein neuer Nationaltrainer kommen, der sich für Tarashaj interessiert.

Er spielt in der Schweizer U21. Was, wenn er Sie anruft und fragt: Darf ich bei Ihnen mitmachen?
Als ich vor vier Jahren in Albanien begann, habe ich einige Spieler kontaktiert. Als ich spürte, dass echter Wille da war, habe ich sie sehr gerne genommen. So soll das auch in Zukunft sein. Ich habe eine Gruppe zusammen, die passt. Die will ich nicht weiter vergrössern.

Diese nationalistische Seite, die im Balkan ausgeprägt ist und die beim abgebrochenen Spiel gegen Serbien aufflammte  – verstehen Sie die?
Für uns, die weit weg von diesen Konflikten leben, ist das unmöglich zu verstehen. Vor dem Hintergrund der Realität dieses Kosovo-Kriegs, in welchem auch Fussballer Verwandte verloren, für die Freiheit des Kosovo kämpften, ist es fast ausgeschlossen, daran zu denken, ein Spiel gegen Serbien in ruhigem Rahmen zu spielen so wie gegen die Schweiz.

Und dann wird man zum Volkshelden wie Basels Taulant Xhaka, als er dem Serben Mitrovic die grossalbanische Flagge entriss.
Ja, aber er war ja nicht alleine. Doch es ist besser, die Diskussion um dieses Spiel zu beenden und diese Sache zu vergessen.

Wo wird Ihr Team während der Euro wohnen?
Wir wissen es nicht. Wir wollten die Auslosung abwarten. Nun spielen wir über das ganze Land verteilt. Wir sind am Evaluieren.

Und wo bereitet sich Albanien vor? In der Schweiz?
(lacht) Nein. In Österreich. In der Nähe von Graz.

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