Ein deutsches Geschäftsmodell und Ex-Ref Urs Meier mittendrin
Die schamlose Rentenabzocke der ehemaligen Sportstars

In Deutschland kassieren viele Ex-Sportstars auch Jahre nach ihrem Rücktritt Rentengelder für Verletzungen von anno dazumal. Das Magazin «Spiegel» nennt das «schamlos». Mittendrin: Der ehemalige Spitzen-Schiri Urs Meier.
Publiziert: 14.01.2021 um 22:11 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2021 um 07:18 Uhr
Alain Kunz

Trainiert? Gekämpft? Verletzt? Wir erstreiten deine Rente! Lasst euch das Ende eures Leistungssport-Daseins etwas versüssen!

So aggressiv wirbt Alpha Sports für Kunden. Die Berliner Firma ist die Nummer eins unter mittlerweile mehreren Firmen, welche ehemaligen Profis oder Halbprofis zu Renten verhelfen, von deren Anspruch sie nicht mal zu träumen gewagt hätten. Das hat unlängst der «Spiegel» aufgedeckt.

Die Ansprüche bestehen dann, wenn mindestens eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von zwanzig Prozent auf dem all­gemeinen Arbeitsmarkt erreicht wird. Das heisst, dass aufgrund der erlittenen Unfälle eine bleibende Beeinträchtigung entstanden ist, welche die Ausübung von 20 Prozent (auch 2-mal 10 Prozent) aller Berufe verhindert. Der tatsächlich ausgeübte Beruf ist hiervon nicht betroffen.

Ex-Spitzenref Urs Meier ist einer der drei Managing Directors und Teilhaber der Firma SportCare.
Foto: zVg
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Profisportler hat 2,7 Berufsunfälle pro Jahr

Konkret: Wenn es einem ehemaligen Fussballer nach Beendigung seiner Karriere aufgrund ­einer während seines Jobs erlittenen Verletzung nicht mehr möglich ist, sagen wir mal, als Polier oder Hochtrapez-Akrobat zu arbeiten, besteht dieser Anspruch. Also eigentlich immer! Denn ein Profisportler hat in seinem Berufsleben im Schnitt 2,7 Berufsunfälle pro Jahr. Ein normaler Arbeitnehmer einen in seinem ganzen Berufsleben! Und die ­Ansprüche verjähren nicht.

Wozu das führt, zeigt ein Blick in die Kader der deutschen Fussball-Weltmeisterteams von 1974, 1990 und 2014. Für die 67 Kicker sind 632 Arbeitsunfälle und fünf Berufskrankheiten registriert. Von den Weltmeistern 1990 zum Beispiel bekam deshalb die Hälfte eine oder gar mehrere Renten. Häufige Beschwerden der Kicker: instabile Gelenke und kaputte Menisken.

Sinn und Zweck der Unfallversicherung?

Bis heute haben die Weltmeister knapp fünf Millionen Euro an Renten und Abfindungen erhalten. Alles zwar legal. Aber nun ist eine Diskussion entbrannt, ob solche Zahlungen für diesen besonderen Personenkreis Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung sein sollen. Denn am Ursprung dieses Renten-Schlupflochs steht die gesetzliche Unfallversicherung, die vor 136 Jahren ins Leben gerufen wurde, weil es im Zuge der Industrialisierung zu schlimmen Unfällen in den Fabriken kam.

Zu den Firmen, die den ehemaligen Sportlern zu ihrem Recht verhelfen, gehört die SportCare von Ex-Bundesliga-Spieler Andreas Buck. Einer der drei Managing Directors und Teilhaber ist Ex-Spitzenschiedsrichter Urs Meier (61).

«Wir haben das System nicht gemacht»

«Der Eindruck, der erweckt wird, dass bloss Millionäre sich noch mehr Geld abholen, ist völlig falsch», verteidigt Meier das Geschäftsmodell. «Die ehemaligen Sportler, die Anspruch auf eine Rente haben, sind zum grossen Teil solche, die zum Beispiel im Fussball einst bis in die 4. Liga ­hinunter spielten. Für wenig Geld. Die Prämien sind einst ­einbezahlt worden. Und nun ­entstehen daraus rechtlich vollkommen legitime Ansprüche. Soll einer keinen Anspruch haben, nur weil er Profisportler war?», fragt Meier rhetorisch. «Wir haben das System nicht gemacht.» Viele Sportler, die nicht so viel verdienten, hätten sich damals nicht abgesichert. Nun würde ihnen die Firma zu ihrer Rente verhelfen. Dabei reichte es, monatlich mindestens 250 Euro mit Sport verdient zu haben. Das geht also faktisch weit in den Amateurbereich runter.

Meier weiter: «Das ist bei SportCare nicht die Haupt-Einnahmequelle. Das sind ganz ­andere Projekte.» Dann weist Meier darauf hin, dass erstens die Schweizer Unfallversicherung Selbiges nicht zulasse, sondern nur diejenige in Deutschland und Österreich.

Grosse Namen

Dass Ex-Profis in den Dunstkreis von Raffzähnen geraten, liegt natürlich an den grossen Namen. Bei SportCare heissen diese Giovane Elber oder Guido Buchwald. Bei Alpha Sports ­Lothar Matthäus oder Mehmet Scholl. Auch bei ihnen können theoretisch monatlich ein paar Tausend Euro fliessen oder eine einmalige Auszahlung, die im Fall einer Schulterverletzung bis zu 300'000 Euro betragen kann. Die deutsche Absicherung hat sich mittlerweile herumgesprochen. So freuen sich Überseer nach kurzen Gastspielen in deutschen Eishockeyhallen riesig über die unerwarteten ­Zustupfe made in Germany.

Beispiel HSV-Präsident Jansen

Ein besonders krasses Beispiel zum Schluss. Es ist jenes des jungen HSV-Präsidenten Marcell Jansen (35). Der ehemalige Nationalspieler, WM- und EM-Teilnehmer und mit Bayern Meister und Pokalsieger, erhält, alles gemäss Spiegel, seit kurzem eine Verletztenrente. Die erhalten Arbeitnehmer, deren Erwerbsfähigkeit durch einen Arbeitsunfall stark eingeschränkt ist. Jansen verletzte sich vor acht Jahren an der Schulter. Die Nachwehen belasteten ihn heute noch, bestätigte ein Orthopäde. Zudem verletzte sich Jansen 2006, 2007 und 2014. Was zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 Prozent geführt habe. Mit so viel wird üblicherweise nach der Amputation eines Beins gerechnet.

Wenn es Jansens knapp bemessene Freizeit zulässt, kickt der HSV-Boss laut «Spiegel» noch heute mit der dritten Mannschaft des HSV, die in der Oberliga spielt…

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