Er ist jüngster EM-Torschütze aller Zeiten
Die Lebens-Beichte des Johan Vonlanthen

Johan Vonlanthen (30) war einst das grösste Talent des Schweizer Fussballs. Ist bis heute der jüngste EM-Torschütze aller Zeiten. Doch vieles in seinem Leben ging schief. Hier erzählt er seine Geschichte.
Publiziert: 01.06.2016 um 10:17 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 11:39 Uhr
Andreas Böni, Michel Wettstein (Text) und Toini Lindroos (Fotos)

Johan, bei der EM 2004 trafen Sie gegen Frankreich mit 18 Jahren und 141 Tagen. Das ist bis heute Rekord. Denken Sie oft daran?

Johan Vonlanthen (30): Es war verrückt. Marco Streller brach sich das Bein in der Vorbereitung, und ich kam in die Nati. Im Gruppenspiel gegen England durfte ich 10 Minuten spielen, gegen David Beckham. Köbi Kuhn redete nie mit mir. Gegen Frankreich stand plötzlich mein Name auf dem Aufstellungsblatt. Ich war baff.

Dann lösten Sie Rooney als jüngsten EM-Torschützen aller Zeiten ab.

Vieles im Leben von Johan Vonlanthen lief nicht wunschgemäss.
Foto: Toini Lindroos
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Ich schrieb Geschichte, werde auch diese EM wohl nicht abgelöst. Irgendwie schon komisch.

Zumal danach eigentlich alles in­ ­Ihrer Karriere schieflief.

Es ist so, wie es ist. Nach diesem Tor ist ziemlich viel passiert. Ich hätte viel geduldiger sein sollen. Ich wollte alles zu schnell. Bis ich mit 25 nach Kolumbien wechselte.

Nach Santa Marta an die Karibik-Küste, wo Sie geboren wurden.

Ich wuchs in einem Haus mit vier Zimmern auf, wir wohnten zu zwölft darin. Meinen leiblichen Vater kannte ich damals nicht. Ich wurde geboren, als meine Eltern um die 17, 18 waren. Er war nicht bereit für die Verantwortung.

Wuchsen Sie arm auf?

Ja. Zu essen hatten wir, aber null Luxus. Unser Luxus war der Strand für uns, wo wir kicken konnten. Fussbälle haben wir aus Papier und Plastik gebastelt. Als ich in die Schule kam, war ich schon der Vonlanthen. Ein komischer Name in Kolumbien.

Wie kam das?

Mein Stiefvater Roger Vonlanthen, ein Schweizer, machte Urlaub in Kolumbien, lernte meine Mutter kennen. Sie heirateten, und wir übernahmen den ­Namen. Meine Mutter ging mit ihm 1993 in die Schweiz. Meine Halbschwester, mein Halbbruder und ich blieben noch fünf Jahre bei meiner Grossmutter.

Warum das?

Meine Mutter wollte sich erst in der Schweiz anpassen, kam einmal im Jahr in die Ferien. Es war sehr schwierig für mich. Aber unsere Oma hat super zu uns ­geschaut. Heute mit Skype wäre es einfacher. Damals hatten wir nur ein Telefon.

1998 hat Ihr Stiefvater Sie und Ihre beiden Halbgeschwister adoptiert. Wie war das als Zwölfjähriger?

Wir kamen im März an, und zwei Wochen später durfte ich zur Schule. Alles auf Schweizerdeutsch, ich konnte kein Wort. Nach drei Monaten beherrschte ich Hochdeutsch. Und im Winter sah ich den ersten Schnee, durfte gleich mit ins Skilager. Ich fuhr Snowboard, habe keinen Gedanken an Fussball verschwendet. Das kam erst, als ich mit Kindern auf der Strasse spielte. Ich war, sagen wir mal, ein bisschen besser als alle anderen. Sie wollten, dass ich zum Trainer gehe, zum Herrn Steinmann, das weiss ich noch ganz genau.

Und landeten beim FC Flamatt.

Ja. Dann kam YB, als ich 13 war. Mit 15 spielte ich in der 1. Mannschaft, wurde jüngster Super-League-Torschütze aller Zeiten.

Sie waren vorher nie im Klub?

Doch, in Kolumbien. Aber da war ich Goalie, zwei Jahre lang.

Wie bitte? Dafür sind Sie viel zu klein.

Da waren wir alle noch klein. Ich ging aber oft mit dem Ball aus dem Tor und dribbelte. Man nannte mich Higuita. Der kolumbianische Nati-Goalie machte das oft so.

Mit 17 Jahren, als Sie bei PSV spielten, hörten Sie dann erstmals von ­Ihrem Vater.

Ja, wir spielten Champions League gegen Monaco. Die Partien wurden in Kolumbien live übertragen. Er meldete sich bei meiner Grossmutter, offenbar vorher schon, aber sie hatte es mir nie gesagt. Als ich in den Ferien bei meiner Familie war, habe ich ihn zum ersten Mal getroffen. Es war schon ein wenig speziell. Ich erfuhr dann zum Beispiel, dass ich von seiner Seite noch drei Geschwister mehr habe ... (lacht) Ich lernte sie dann kennen, dachte: Okay ...

Klingt aber ein bisschen so: Mein Sohn spielt Fussball, ich will etwas vom Erfolg abbekommen.

Ich habe mit ihm über solche Dinge gesprochen. Es war so, dass ich 2011 von Zürich nach Kolumbien gewechselt bin, um mein Leben aufzuarbeiten. Ich wollte eine Beziehung zu meinem Vater aufbauen, ich suchte eine Vaterfigur. Ich habe immer allen geholfen, ich brauchte ­jemanden, der mir hilft.

Wie würden Sie heissen, wenn er Ihre Mutter geheiratet hätte?

Johan Rodriguez. Wie James Rodriguez ... (lacht) Ich bin aber nicht der Einzige in Kolumbien, der so eine Geschichte hat. Es ist oft so, dass man Dinge macht und dann wegläuft. Ich finde es aber auch stark von ihm, dass er mich gesucht hat.

Haben Sie Ihren Vater finanziell unterstützt?

Ja. Aber heute steht er auf ­eigenen Füssen.

War er der Einzige?

Nein. Ich habe meine ganze Familie immer finanziell unterstützt. Ob Onkel, Cousin oder wen auch immer. Seit ich mit 16 bei YB war. Ich habe einen Grossteil meines Geldes dafür gebraucht. Irgendjemandem fehlte immer etwas. Es hat mir wehgetan, wenn es jemandem schlecht ging – und dann habe ich Geld überwiesen. An mich selber habe ich eigentlich nie gedacht.

Sie gingen auch wegen Ihres Glaubens nach Kolumbien.

Gott war für mich immer ein Thema in meinem Leben. Ich wollte ihn suchen.

Wo findet man Gott?

In der Bibel. Damit habe ich mich auseinandergesetzt. Und dann Entscheidungen getroffen, wie ich leben will.

Es hiess, Sie seien Mitglied der ­Siebenten-Tags-Adventisten, die als Sekte bezeichnet wird.

Das war so nicht richtig. Ich kannte einen, der dort Mitglied war. Und gab ein Interview in ­einem Magazin der Adventisten. Ab da explodierte das.

Aber von aussen hat man das Gefühl: Diese Glaubensgemeinschaft will doch einfach an Ihr Geld.

Ich kenne keine Glaubensgemeinschaft, die nicht 10 Prozent des Lohns verlangt. Aber ich habe nie einer Kirche Geld bezahlt.

In Kolumbien haben Sie von Freitag abends um 18 Uhr bis Sonntag morgens um 6 Uhr nicht Fussball gespielt. Weil man vom Glauben her dann ruhen soll.

Ja, das wurde mir von Leuten, mit denen ich Kontakt hatte, so gepredigt. Ich wollte herausfinden, ob es wirklich so ist – ich musste tief in mich hineingehen. Ich habe viel in der Bibel gelesen. Und habe dann meine Entscheidung getroffen. Heisst: Seit meiner Rückkehr spiele ich am Samstag wieder.

Gehen Sie in die Kirche?

Nein. Ich glaube für mich selber. Ich habe die Antworten für mich selber gefunden in den zwei Jahren in Kolumbien. Meine Frau – sie ist auch Kolumbianerin – ist auch sehr gläubig, wir haben uns gegenseitig unterstützt. Im Moment ist sie in Kolumbien mit den beiden Kindern, sie kommen aber bald.

Ihre Mutter ist immer noch in Bern?

Ja. Mein Stiefvater und sie ­haben sich getrennt. Und auch meine drei Halbgeschwister wohnen hier.

Wurden Sie in den letzten 15 Jahren oft ausgenutzt?

Ja. Ich wurde viel ausgenutzt, denke ich. Aber es ist Vergangenheit, ich will darum auch keine Namen nennen. Ich lasse das nicht mehr mit mir machen. Aber ich lernte in jener Zeit auch meine wahren Freunde kennen. Zwei davon, Hanspeter Moser und Andy Ladner, holten mich zurück in die Schweiz.

Schauen wir ein wenig nach vorn. Ihr Ziel heisst Aufstieg mit Wil.

Unbedingt. Wir werden uns sicher noch verstärken. Aber klar: Der FC Zürich ist der Favorit. Nur ist das vielleicht gut für uns.

Wie sind Sie mit sich zufrieden?

In dieser Saison lief noch nicht alles so, wie ich es mir erhofft habe. Jetzt bekommen wir einen neuen Trainer, es wird eine neue Situation. Ich will nochmals voll angreifen und allen Leuten zeigen, wie gut ich noch bin. Und das dann am liebsten in der ­Super League.

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Mannschaft
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