Foto: Lukas Gorys

Lewis Hamilton im Interview
«Ferrari ist für mich keine Option!»

Er ist der einzige Jetsetter der Formel 1. Ein Mode-Freak und Botschafter für Tommy Hilfiger. Ein Liebhaber von Hollywood, Musik, Hunden und Tattoos. Ein veganer Dauerverliebter. Und der beste GP-Pilot.
Publiziert: 29.09.2019 um 01:04 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2019 um 09:36 Uhr
Roger Benoit

Ferrari hat Ihnen jetzt dreimal in die Suppe gespuckt – müssen Sie in den letzten sechs Rennen noch um Ihren sechsten WM-Titel zittern?
Lewis Hamilton: Soweit möchte ich noch nicht gehen. Aber entspannt ist bei Mercedes sicher keiner mehr. Die Lage ist ernst – und wer bei uns in den letzten Rennen keinen Schmerz verspürte, der hat in diesem Business keinen Platz.

Warum kam diese sensationelle Wende von Ferrari nach der Sommerpause? Bei ihrem letzten Sieg in Ungarn lagen die Roten noch eine Minute zurück...
Das fragen wir uns auch. Vielleicht hatten sie schon immer ein gutes Auto. Doch jetzt kommt es mit den Reifen ins richtige Arbeitsfenster. Im Moment ist Ferrari einfach besser! Wir haben zu Beginn der Saison einen tollen Job gemacht, zehn von zwölf Rennen gewonnen. Jetzt ist es enger geworden. Das ist zwar gut für den Sport, aber nicht für unsere hohen Ansprüche. Jetzt müssen alle nochmals über die Bücher und noch härter arbeiten.

Braucht es bei Ihnen nach 81 GP-Siegen eine neue Motivation?
Ich muss mich nicht motivieren. Wenn ich von Donnerstag bis Sonntag für Mercedes arbeite, bin ich immer motiviert. Der Gemütszustand hängt nur vom Auto ab. Es ist wie bei einer Geliebten. Manchmal ist sie cool, manchmal süss und reibungslos – und dann macht sie es dir wieder verdammt schwer. Aber meistens ist sie gut zu mir.

Lewis Hamilton ist einer der grössten Formel-1-Fahrer aller Zeiten.
Foto: keystone-sda.ch
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Sie kratzten zu Beginn der Saison an der Perfektion...
Es ist nie alles perfekt. Es gibt immer ein Detail, das man verbessern kann. Ich liebe die Arbeit mit meinen Jungs, wenn wir in einem Raum stundenlang diskutieren. Und wer nicht gut drauf ist, der wird von allen wieder aufgestellt. Dieses Teamwork ist einmalig.

In Monza wurden Sie von einigen Fans gefragt, wann Sie mal für Ferrari fahren. Auf dem Podest wurden Sie dann ausgepfiffen. Das könnte Ihnen dort als Ferrari-Pilot nicht mehr passieren...
Okay, für viele ist Ferrari der letzte Traum einer Karriere. Ich ticke nicht so. Seit ich 13 Jahre alt bin, gehöre ich zur Mercedes-Familie. Das wird sich kaum ändern.

Ist Ferrari ab 2021, wenn Sie bereits 36 Jahre alt sind, also keine Option für Sie?
Nicht wirklich. Ich habe zwar keine Zweifel, dass ich auch dort einige Dinge zum Besseren verändern könnte. Aber das ist nicht mein Ziel. Es brauchte jetzt sechs Jahre, um aus Mercedes ein Siegerteam zu formen und es an der Spitze zu halten. Jetzt haben wir eine Atmosphäre voller Liebe, Anerkennung, Bewunderung und Hochachtung. Das gibt man nicht einfach auf.

Sie wechselten Ende 2012 von McLaren-Mercedes als Nachfolger von Michael Schumacher zu Mercedes.
Das war der richtige Schritt. Ich verliess das zweiterfolgreichste Team der Geschichte zu einem Neuling mit weniger Leuten und fast keinem Erfolg. Ich wollte etwas Neues aufbauen. Diesen Wunsch habe ich nun kaum mehr!

Was denkt der WM-Leader, wenn sein grosser Rivale Sebastian Vettel in ein Tief gerät – und dann wieder als Sieger vom Podest grüsst?
Ich habe mich in Singapur für ihn gefreut. Über seine Situation bei Ferrari würde ich mir nie eine öffentliche Meinung erlauben. Er fühlte sich bestimmt monatelang nicht wohl, wenn neben ihm ein neuer starker Mann auftaucht. Ferrari hatte immer die Philosophie, mit einer Nummer 1 und einer Nummer 2 anzutreten. Ich glaube, das ist keine gute Philosophie.

Und wie steht das mit der Hierarchie bei den Silberpfeilen?
Als ich 2013 zu Mercedes kam, sagte ich sofort, ich will nicht die Nummer 1 sein. Ich will nur das gleiche Material und die gleichen Chancen haben wie mein Teamkollege. Ich wusste, wenn ich hart arbeite und den besseren Job mache, gewinne ich. Das ist noch heute meine gedankliche Ausrichtung.

Sie sprechen vom Teamgeist. Haben Sie den immer noch, wenn bei einem Doppelsieg Valtteri Bottas vor Ihnen gewinnt?Ein 1-2-Erfolg ist stets gut für alle. Mein Job ist immer, Leistung abzuliefern. Und das heisst nicht immer siegen. Das muss man akzeptieren...

Wie 2018 in Sotschi, als der Kommandostand dem führenden Bottas befahl, Sie an die Spitze zu lassen.
Solche Siege machen auch mir keinen Spass, aber sie helfen, Titel zu gewinnen. Und da regiert nur der Toto bei uns. Überhaupt gehört das Vertrauen dazu, wenn sie dir von den Boxen zu einer Strategie raten, die du eigentlich gar nicht verstehst.

Ihr Verhältnis zu Bottas?
Sehr gut, wenn ich da etwas zurückdenke.

Sie meinen Nico Rosberg?
Kein Thema für mich. Der hat sich als Weltmeister sofort verabschiedet und gibt jetzt manchmal Kommentare ab, die ich zwar übermittelt bekomme, aber nicht erwidere.

Sie haben schon in Ihrer ersten Saison 2007 mit Alonso und Räikkönen um den Titel gefightet. Jetzt stehen neben Ihnen auch Leclerc und Verstappen im Rampenlicht. Mit Talent kann man also relativ schnell siegen?
Nun, die besten Fahrer werden es immer schaffen. Es gibt Leute, die sprechen mehr über das Team als den Fahrer. Aber am Ende brauchst du einen verdammt cleveren Piloten, um den Job gut zu machen. Es gibt einen grossen Unterschied zwischen einem guten Fahrer, was die meisten sind, und einem aussergewöhnlichen Fahrer. Dieser Umstand wird für mich zu selten erwähnt. Der Pilot ist der Katalysator – und er ist auch für die Zündkerzen verantwortlich.

Sie tanzen nicht mehr so oft in den digitalen Medien herum. Warum?
Da kam der Moment, wo ich am Morgen nicht mehr sofort am Handy herumhänge und meine Followers beglücken will. Jetzt ist auch mal ein Buch über das Leben angesagt.

Weil Kimi mit 40 Jahren der älteste Pilot ist, müssen Sie mit bald 35 nicht mit dem Senioren-Titel leben.
(lacht) Egal, wie alt ich bin. Ich fühle mich noch immer jung, wachsam und mental sehr stark. Kurz: Ich fühlte mich in meiner Formel-1-Karriere noch nie besser! In zehn Jahren werde ich das kaum noch sagen. Aber wenn ich früher gewusst hätte, was ich jetzt weiss, hätte ich schon mehr WM-Titel gewonnen. Sicher 2007 und 2011. Aber ich bin mit dem zufrieden, was ich habe.

Sie nannten einst die sieben WM-Kronen von Schumi den Mount Everest. Wo stehen Sie?
Ich bin froh, dass ich noch in der Wand hänge und um diesen Titel mitkämpfen kann. Das ist ein grosses Privileg. Du weisst nie, was dich in der nächsten Saison erwartet.

Kommen wir zur immer härteren Fahrweise von einigen Piloten. Wie Leclerc in Monza.
Mit dem muss ich leben können, auch wenn mir einige Manöver von Piloten nicht passen. Heute ist es plötzlich Mode, dass in der Bremszone noch die Spur gewechselt wird. Das ist jetzt normal und erlaubt. Früher wurde das sofort bestraft. Nun gibts dafür die schwarzweisse Flagge für eine Verwarnung. Diese habe ich in meiner Vergangenheit noch gar nie gesehen. Zuletzt wurde diese zu meinen Kart-Zeiten geschwenkt.

Macht Ihnen die härtere Gangart vielleicht Angst?
Das ist ein Wort, das ich nicht in meinem Herzen trage. Wenn es härter wird, bin ich dabei. Wenn ich mit Vettel, Kimi oder Valtteri fighte, ist es immer respektvoll und fair. Die jungen Wilden sind anders. Aber ich bin für alle bereit.

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Haben die Jungen die Angst und den Respekt vor den Gefahren verloren?
Das könnte sein. Der Tod des Formel-2-Piloten Anthoine Hubert in Spa war sicher ein Weckruf für die jungen Fahrer. Die vielen Auslaufzonen, viele jetzt auch mit dem Asphalt, haben etwas den Schrecken vor der Gefahr genommen. Vor allem in den Kurven sind wir früher immer am Limit gewesen – und ein Grasstreifen war oft das Ende. Jetzt fahren die jüngeren Piloten viel unbekümmerter, weil sich auch die Sicherheit der Autos unheimlich verbessert hat. Doch ein Restrisiko wird für alle immer bleiben.

Auch Ihre Lieblingsstrecke in Suzuka hat jetzt viel mehr Auslaufzonen.
Aber es ist immer noch eine der geilsten Rennstrecken der Welt. Wenn du in Kurve 8 zu tief eintauchst, dann ist das verdammt Hardcore – und ich liebe es. So muss Rennsport sein.

Ein Geschicklichkeitsspiel zwischen Freude, Glück und eben einem Crash?
So kann man es nennen. Deshalb bin ich auch ein grosser Anhänger der Stadtkurse wie Monte Carlo und Singapur.

Sind Sie ein Hooligan?
(Staunt.) Ich war noch nie ein Hooligan. Warum?

Weil Sie Sir Frank Williams in Silverstone so genannt hat, als Sie in einem privaten Mercedes um den Kurs chauffierten.
Er nannte mich einen Holligan? (Lacht.) Dabei bin ich sehr anständig gefahren und er sagte: «Go for it!» Ich weiss, dass er diese Runde so genossen hat wie ich. Es war für mich vielleicht die emotionalste Runde des Jahres, weil ich Frank immer verehrt habe. Er ist einer der nettesten Leute im GP-Zirkus. Und er lebt seit 33 Jahren mit der Tetraplegie. Das ist ein Wahnsinn. Diese Runde war eine Ehre für mich.

Wir haben dieses Jahr schon den langjährigen FIA-Rennleiter Charlie Whiting, das fünfjährige Krebskind Harry, das Sie und Mercedes unterstützten, Niki Lauda und jetzt Hubert verloren. Wie geht ein Weltstar damit um?
Da kommen für mich noch andere Schicksalsschläge dazu. Es ist definitiv nicht einfach damit zu leben. Doch die Welt dreht sich weiter. Das ist die traurige Wirklichkeit. Bei Hubert sind wir am nächsten Tag alle wieder gefahren. Es geht immer weiter. Wenn ich oder sie sterben, dann sind es nur die engsten Verwandten, die immer an dich denken werden.

Zu Niki Lauda hatten Sie ein besonderes Verhältnis...
Ja, er animierte mich zum Wechsel zu Mercedes. Und dort hat er immer alle Mitarbeiter mit seiner speziellen Art motiviert. Er duldete keine Nachlässigkeiten und würde uns nach drei Niederlagen in Serie bestimmt den Tarif bekanntgeben und uns anspornen.

Was machen Sie eigentlich nach Sotschi?
Da komme ich wieder einmal nach Zürich. Ans Filmfestival. Darauf freue ich mich jetzt schon.

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1. Juan Manuel Fangio (†, Arg, Bild)
5 WM-Titel: 1951, 1954, 1955, 1956, 1957

2. Ayrton Senna (†, Br)
3 WM-Titel: 1988, 1990, 1991

3. Alain Prost (Fr)
4 WM-Titel: 1985, 1986, 1989, 1993

4. Michael Schumacher (De)
7 WM-Titel: 1994, 1995, 2000, 2001, 2002, 2003, 2004

5. Lewis Hamilton (Gb)
5 WM-Titel: 2008, 2014, 2015, 2017, 2018

6. Jim Clark (†, Gb)
2 WM-Titel: 1963, 1965

7. Fernando Alonso (Sp)
2 WM-Titel: 2005, 2006

8. Sebastian Vettel (De)
4 WM-Titel: 2010, 2011, 2012, 2013

9. Stirling Moss (Gb)
4x WM-Zweiter: 1955, 1956, 1957, 1958

10. Jackie Stewart (Gb)
3 WM-Titel: 1969, 1971, 1973

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