Lewis Hamilton im grossen Blick-Interview
«Es gab noch nie einen Fahrer wie mich»

Auf seinem linken Unterarm steht «Loyalty» tätowiert. Und loyal bleibt Sir Lewis Hamilton (37) auch 2023, wenn er wieder mit Mercedes-Power unterwegs sein wird. Wie seit 2007. Das grosse Interview mit dem exzentrischen Briten, der seit Jahren die Fanlager spaltet.
Publiziert: 08.10.2022 um 16:34 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2022 um 16:38 Uhr
Roger Benoit

Seit der GP-Premiere vor 15 Jahren haben Sie jede Saison mindestens eine Poleposition und einen Sieg geholt. Jetzt sind beide Statistiken auf der Rekordzahl von 103 eingefroren.
Lewis Hamilton: Noch habe ich fünf Rennen Zeit. Ich bin an beiden Zielen nahe dran. Du arbeitest hart, musst daran glauben, bis du eben keine Möglichkeiten mehr hast. Und für mich ist Mercedes längst eine Frage der Loyalität.

Sie haben jetzt über 300 WM-Läufe – und mit so vielen Rennen hat noch nie ein Fahrer einen Grand Prix gewonnen …
Nun, es gab auch noch nie einen Fahrer wie mich.

Wann hat also dieses Ausnahmetalent nach acht goldenen Jahren gemerkt, dass der Mercedes W13 nicht mehr das unschlagbare Auto ist?
Seit meiner ersten Testrunde in Barcelona irgendwann im Februar.

Sir Lewis Hamilton im grossen Blick-Interview mit Formel-1-Experte Roger Benoit.
Foto: Lukas Gorys
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Kaum zu glauben…
Aber so ist es. Wenn du so lange Rennen fährst, hast du bei jeder Fahrt mit einem neuen Auto eine Art Fenster vor dir, das dich sofort mit Vertrauen anlächelt – oder eben auch nicht. Und als ich an einigen Stellen die Leistung abrufen wollte, passierte nichts. Kein Lächeln. Ich dachte sofort an die Budgetobergrenze und die Bremse in der Entwicklung. Auch im Windkanal. Früher war ein neuer Unterboden sofort da, jetzt dauert es Wochen.

Und das Fazit nach 17 Rennen?
Die Hoffnung und der Zufall begleiten uns weiter. Am Ende weisst du nur, es wird ein langer und steiniger Weg.

Die Weltmeister seit 2000 | Michael Schumacher feiert im Jahr 2000 im Ferrari nach 1994 und 1995 seinen dritten Weltmeistertitel. Er verweist die beiden McLaren-Piloten Mika Häkkinen und David Coulthard auf die Ehrenplätze.
Foto: imago
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Kommt da Frustration auf?
Nein. Ich erinnere mich an 2009, als der McLaren-Mercedes seine Tücken hatte. Es war das dritte Jahr respektive das Jahr nach meinem ersten Titel. Die Ingenieure sagten mir, wir segeln in ruhigen Gewässern. Dann sagte ich, dann haben wir die Ziele diesmal nicht sehr hochgesteckt. Damals hatte ich das gleiche Gefühl wie jetzt, auch wenn ich 2009 in Budapest und Singapur siegte. Aber eben: Ich wusste in Spanien sofort, mit diesem Auto kämpfst du nicht um die WM. Da verdrängt die Realität jeden Frust.

Haben Sie Ihren Ärger über das verlorene WM-Finale in Abu Dhabi 2021 jetzt verdrängt?
Nicht zu 100 Prozent. Doch du musst im Leben immer nach vorne schauen. Klar ist das nicht einfach. Aber wenn du ein gutes Privatleben und viele Freunde sowie eine intakte Familie hast, geht das bestimmt leichter.

Und wie ist Ihr Verhältnis zu Max Verstappen?
Da gibt es keine Probleme. Wenigstens nicht von meiner Seite. Er hat 2021 alles gemacht, was er auf der Strecke machen musste. Warum sollte ich also ein Problem mit ihm haben? Das Gleiche gilt für dieses Jahr, er liefert sehr gute Resultate ab. Diese kann ihm keiner nehmen. Wir müssen über die Stärke von Red Bull gar nicht diskutieren. Ich respektiere deren Leistung.

Vermissen Sie die harten Duelle mit Verstappen?
Nein, aber ich vermisse es, dass ich nicht mehr fähig bin, ganz vorne zu kämpfen. Das gilt natürlich für sehr viele Piloten. Wie schön wäre es, wenn wir alle ein Auto für den Titelkampf hätten.

Niki Lauda sagte einmal, dass er aus Niederlagen mehr gelernt habe als von Siegen.
Dem stimme ich zu. Ich habe in meiner Karriere mehr Niederlagen eingesteckt als Siege gefeiert. Ich habe auch mehr Fehler gemacht als Polepositions erreicht. Wir alle versuchen zu gewinnen. Die Ingenieure, die Mechaniker, das ganze Team. Aber am Ende gibt es eben nur einen Sieger.

Sie haben also 2022 mehr gelernt als je zuvor?
Nun, jedes Jahr ist ein neuer Lernprozess. Das kann man nicht vergleichen. Du entwickelst dich ständig, rufst neue Projekte ins Leben und verbringst gern die Zeit mit der Familie und Freunden. Du wirst ein besserer Mensch – und ich bin jetzt auch ein besserer Teamplayer als je zuvor. Das zeigt, wie du in jedem Alter noch wachsen kannst.

Das Leben ist für Sie also keine Einbahnstrasse?
Richtig. Ich kann und will auf vielen Hochzeiten tanzen. Im Mode- und Filmbusiness. Dazu fördere ich überall Talente, wo ich helfen kann – und versuche, Mitmenschen zu mehr Kreativität zu bewegen. Daneben gehöre ich natürlich weiter zu den besten Fahrern.

Da brauchen Sie ja kaum Schlaf…
Mehr als sechs Stunden sind es nie. Ich will den Tag voll ausnützen. Zudem habe ich ein treues Umfeld, das es mir sogar erlaubt, irgendwann auch mal ein Nickerchen zu machen.

Sie sind also richtig hungrig auf neue Dinge im Leben?
Genau, ich strebe überall Wechsel an. Im eigenen Geschäft oder in den Schulen. Stellen Sie sich vor, es gibt auf dieser Welt weit über 100 Millionen Kinder, die keinen Zugang zu Bildung haben. Ich bin auch in dieser Beziehung hungrig, um eine Veränderung für eine bessere Welt voranzutreiben. Und genauso hungrig bin ich, um mit dem Mercedes-Team wieder Erfolg zu haben.

Sir Lewis Carl Davidson Hamilton persönlich

Hamilton wurde am 7. Januar 1985 in Stevenage (Hertfordshire) geboren. Vater Anthony kommt aus der Karibikinsel Grenada, Mutter Carmen aus Birmingham. Bereits 1998 wurde er in die Driver Academy von McLaren aufgenommen! 2006 gewann er im ersten Anlauf die GP2-Serie. 2007 startete er die Formel-1-Karriere bei McLaren-Mercedes, wurde 2008 Weltmeister. 2013 wechselte er zu Mercedes, holte 2014, 2015, 2017, 2018, 2019 und 2020 den Titel. Seine Bilanz: 305 Rennen, 103 Siege, 103 Polepositions und 188 Podestplätze. 173-mal startete er aus der ersten Reihe. Im Dezember 2021 wurde Lewis Hamilton zum Sir geadelt. Aktuell liegt er auf dem 6. WM-Rang.

Hamilton wurde am 7. Januar 1985 in Stevenage (Hertfordshire) geboren. Vater Anthony kommt aus der Karibikinsel Grenada, Mutter Carmen aus Birmingham. Bereits 1998 wurde er in die Driver Academy von McLaren aufgenommen! 2006 gewann er im ersten Anlauf die GP2-Serie. 2007 startete er die Formel-1-Karriere bei McLaren-Mercedes, wurde 2008 Weltmeister. 2013 wechselte er zu Mercedes, holte 2014, 2015, 2017, 2018, 2019 und 2020 den Titel. Seine Bilanz: 305 Rennen, 103 Siege, 103 Polepositions und 188 Podestplätze. 173-mal startete er aus der ersten Reihe. Im Dezember 2021 wurde Lewis Hamilton zum Sir geadelt. Aktuell liegt er auf dem 6. WM-Rang.

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Sie waren kürzlich in Afrika, in Somalia.
Ja, ich wollte das Elend dort einmal näher kennenlernen und helfen. Denn ich bin auch hungrig nach Wissen. Und ich möchte viele Erinnerungen aufsammeln. Liegen wir auf dem Sterbebett, dann gibt es nur eine Sache, die wir mitnehmen können. Das sind die Erinnerungen. Dann zählen das Haus, das Geld und alle anderen materiellen Dinge nicht mehr. Deshalb ist ein geliebtes Umfeld für alle Menschen so wichtig. Das sind die wahren Werte im Leben, die am Ende zählen.

Und dann müssen wir uns seit bald acht Monaten mit einem Krieg in der Ukraine herumschlagen.
Es gab eine Zeit, in der ich sehr oft vor dem Fernseher sass. Zuletzt bei den US-Wahlen. Doch jetzt ist alles so verheerend. Es gibt kaum noch eine positive Meldung. Manchmal lese ich über diesen Krieg. Und wenn ich zufällig auf CNN oder der BBC bin, dann muss ich schauen, dass mich die News nicht herunterziehen. Es ist alles so negativ.

Etwas genauer bitte.
Nun, du siehst neben den Kriegsverbrechen auch viele Tote nach Anschlägen. Die Hungersnot liefert dir Bilder, die bewegen, und die Filme aus Flüchtlingslagern beschäftigen dich auch. Dazu kommen die Umweltkatastrophen. Es gibt mehr Orkane als je zuvor. Der Klimawandel ist ein echtes Problem. Ich versuche, all meine Energien in Dinge zu investieren, die ich kontrollieren kann. Ich kann den Krieg nicht beenden, aber ich kann jungen Leuten auf dem Weg nach oben helfen, die dafür sehr dankbar sind.

Die letzten Wochen mit der Beerdigung der Queen waren auch für Sie als geadelter Brite sehr emotional.
Richtig. Diese Trauerfeierlichkeiten haben mich gewaltig berührt. Auch wenn ich nicht vor Ort war.

Und dann stand London mit dem Abschied von Roger Federer gleich nochmals im weltweiten TV-Rampenlicht.
Ich musste vor dem TV mit ihm weinen. Was für Emotionen. Was für ein Sportsmann. So demütig, eine Inspiration für alle Athleten auf dieser Welt. Ich war richtig in Roger verliebt. Er kam 2022 zum Glück nach Silverstone. So konnte ich seine Familie und Kinder treffen.

Die erste Erinnerung?
Ich traf Roger 2007 erstmals in St. Petersburg beim Laureus Award. Ich erinnere mich genau. Ich wollte ein Foto von ihm. Dann sind wir irgendwo zusammengestossen – und er verlangte ein Foto von mir. Ich war einfach nur sprachlos.


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