Seinen NHL-Traum aufgeben ist keine Option
Tim Berni: «Als Schweizer bist du auch in der AHL privilegiert»

Tim Berni (22) ist eines der grössten Schweizer Verteidigertalente. Doch der Weg in die NHL ist steinig für ihn. Seine aktuelle Welt ist die AHL. Frustriert ist er deswegen nicht – im Gegenteil.
Publiziert: 17.10.2022 um 14:26 Uhr
Marcel Allemann

«Ich sitze gerade draussen und geniesse ein paar Sonnenstrahlen», sagt Tim Berni gut gelaunt, als ihn SonntagsBlick um 14 Uhr Ortszeit in Cleveland erreicht. Der Herbst habe zwar begonnen, aber die Temperatur betrage angenehme 13 Grad, meldet der Zürcher aus der zweitgrössten Stadt in Ohio, die für ihre feuchtheissen Sommer und eiskalten Winter berüchtigt ist.

Gemeinsam mit seinem Teamkollegen, dem Goalie Jet Greaves (21), bewohnt er am Stadtrand ein Zwei-Zimmer-Apartment. «Cleveland ist eine Sportstadt. Hier läuft immer etwas, ich fühle mich wohl hier», sagt Berni. Regelmässig geht er in der Freizeit NBA-Basketball (Cleveland Cavaliers), NFL-Football (Cleveland Browns) oder MLB-Baseball (Cleveland Guardians) schauen. Vor allem ist er aber hocherfreut, dass es an diesem Wochenende auch für ihn mit den Cleveland Monsters in der AHL wieder losgeht. Bei aller Liebe zu Cleveland möchte Berni trotzdem lieber schon heute als erst morgen die Stadt verlassen. Seine Destination der Träume heisst Columbus. Die Hauptstadt Ohios. Und dort die NHL-Mannschaft der Columbus Blue Jackets.

Meister mit 18

Im Frühjahr 2018 sorgte Tim Berni in der Schweiz für Furore. Als er als 18-Jähriger bei den ZSC Lions kurz vor den Playoffs ins kalte Wasser geworfen wurde. Es erwies sich als kluger Entscheid. Das Verteidiger-Talent überzeugte durch eine für sein Alter bemerkenswerte Coolness und biss sich im Team fest. Einige Wochen später stand er mit dem Pokal in der Hand vor den Zürcher Fans und ist ein ZSC-Meisterheld. Welch ein verrückter Frühling für den Teenager!

Tim Berni will sich in der AHL durchbeissen.
Foto: freshfocus
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Doch zuletzt ist es ruhiger geworden um ihn. Fernab des grossen Scheinwerferlichts versucht sich Berni seit mittlerweile einem Jahr bei den Monsters für einen Platz bei den Blue Jackets aufzudrängen. 2018 wurde er von der NHL-Organisation in der sechsten Runde gedraftet, 2020 unterschrieb er einen Einstiegsvertrag über drei Jahre, wobei er dann wegen der Pandemie doch noch eine Saison länger bei den ZSC Lions verharrte. Und so ist er im Herbst 2021 ausgezogen, um sich seinen NHL-Traum zu verwirklichen.

Den Start in der AHL erwartet

Bei den Blue Jackets hat Berni im letzten und in diesem Jahr das Camp bestritten und durfte jeweils auch ein NHL-Vorbereitungsspiel absolvieren. Und doch hiess es für ihn jeweils auch vorzeitig die Koffer packen und bei Farmteam Cleveland ansaugen. Noch scheint er von der NHL somit ein ordentliches Stück entfernt zu sein. Er selbst schätzt seine Lage so ein: «Ich habe erwartet, dass ich die Saison in der AHL beginnen werde. Daher bin ich auch nicht überrascht. Jetzt möchte ich hier einfach jeden Tag alles geben, um der bestmögliche Spieler zu sein. Denn wenn ich eine Chance in der NHL erhalte, dann durch gute Leistungen in der AHL.»

Aufgeben und in den sicheren Hafen der Schweiz zurückzukehren, ist für den Zürcher keine Option: «Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich mir diese zwei Jahre Zeit gebe, und dann eine Bilanz ziehe. Zudem habe das Gefühl, dass ich mich hier weiterhin entwickle, und auch das Feedback im NHL-Camp war positiv.»

Das gesamte Paket stimmt

Die gegenwärtige Situation frustriert ihn nicht, im Gegenteil: «Ich profitiere hier nicht nur als Hockeyspieler, sondern auch als Mensch, der nun sicher zwei Jahre in den USA leben kann. Ich betrachte bei meiner Beurteilung das gesamte Paket.» Zu verlieren habe er nichts, findet Berni: «Sollte es mit der NHL nicht klappen, dann wäre ich als Schweizer in der privilegierten Lage, dass ich vermutlich in der Heimat einen Klub finden würde. Für die vielen Kanadier und Amerikaner in der AHL ist das anders.»

Der Alltag in der AHL mit den unkomfortablen und ewig langen Busreisen zu den Auswärtsspielen war zwar auch für Berni gewöhnungsbedürftig. «In der Schweiz war die längste Busreise dreieinhalb Stunden nach Genf. Hier ist die kürzeste fünf Stunden. Und als Neuling bekommt man keine Doppelreihe zum Sitzen, da verharrt man dann während Stunden auf seinem engen Sitz», erzählt er. Aber mittlerweile habe er sich gut an die Umstände gewöhnt. Und es sei trotz des zum Teil gnadenlosen Konkurrenzkampfes in dieser Liga auch möglich, Freundschaften zu schliessen: «Klar ist das Denken hier egoistischer und der Teamgedanke zweitrangig. Aber trotzdem möchte jeder neben dem Eis eine gute Zeit haben. Ich habe hier Freunde gefunden.» Mit einem von ihnen wohnt er in Cleveland zusammen.

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