«Einfach brutal!»
Streit verlor seine Eltern innert vier Monaten

Mark Streit (42) hat innerhalb von vier Monaten seine Mutter und den Vater verloren. Bevor der erste Schweizer NHL-All-Star seine Biografie veröffentlicht, spricht er erstmals über die schwerste Zeit in seinem Leben.
Publiziert: 23.04.2020 um 23:56 Uhr
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Aktualisiert: 24.04.2020 um 07:26 Uhr
Marcel W. Perren

Mark, wie schwer fällt einem Bewegungsmenschen wie Ihnen das Leben in der Corona-Isolation?
Mark Streit: Ich war in den letzten Jahren enorm viel unterwegs. Deshalb ist es einerseits sehr schön, dass ich nun sehr viel Zeit mit meiner Frau und den beiden Kindern verbringen kann. Ich geniesse es, wenn wir zusammen ein Thai-Curry oder ein Fischgericht zubereiten können. Natürlich fällt mir derzeit der Verzicht auf Golf und Tennis sehr schwer. Aber der Bundesrat hat ja angekündigt, dass Sportarten ohne Körperkontakt im Mai wieder möglich sein sollten. Das macht mir Hoffnung.

Sie haben als NHL-Profi zwölf Jahre in Nordamerika gelebt. Nach ihrem Karriereende vor zweieinhalb Jahren haben Sie sich vor allem darauf gefreut, viel Zeit mit Ihren Eltern zu verbringen. Im letzten Jahr haben Sie aber Mutter und Vater innerhalb von vier Monaten verloren.
Ja, es begann vor gut einem Jahr. Von heute auf morgen wurde meine Mutter schwer krank. Es ist schwer zu beschreiben, was man in diesem Jahr alles durchmachte. Es ist einfach brutal. Ich lebe in zwei Welten. Einerseits sehe ich mein Fami­lienglück, wir bauen ja zurzeit auch ein sehr schönes Haus. Andererseits sind meine Eltern nicht mehr da. Und da habe ich extrem Mühe und bin noch immer im Prozess, das irgendwie zu akzeptieren.

Zumal Ihre Mutter bis zu ihrer Erkrankung einen kerngesunden Eindruck hinterlassen hat, oder?
Ja, sie war voller Energie und Lebensfreude. Sie war dreimal pro Woche bei uns, ging mit den Kindern spazieren. Sie hatte eine Riesenfreude an den beiden Mädchen. Wir waren noch zusammen in Italien in den Ferien, in einem Tenniscamp. Alles war gut. Plötzlich, morgens um 7 Uhr, kam dann ein Anruf meiner Schwester Priska. Und von da an war ich in einem anderen Film. Ich litt. Sonst war ich im Leben immer eher optimistisch unterwegs. Ich dachte immer: Irgendwie wirds gehen. Und da ging es einfach nicht mehr. Da spürte ich eine Hilflosigkeit, die mir bis anhin unbekannt war.

Mark Streit hat schwierige Momente hinter sich.
Foto: TOTO MARTI
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Wenige Wochen nach dem Tod Ihrer Mutter erhielt Ihr Vater eine niederschmetternde Diagnose. Glauben Sie, dass er auch durch das grosse Leiden mit seiner Frau erkrankt ist?
Mein Vater war enorm stark in der Zeit, als meine Mutter schwer krank wurde. Er war auch schon 75. Er hat Enormes geleistet. Er war zweimal täglich im Spital bei ihr, über Monate. Wir haben alle gehofft. Und dann starb sie. Und einen Monat später kam die nächste Hiobsbotschaft. Wie er mit dieser Situation umging, finde ich bemerkenswert. Er wollte kämpfen. Sie wären am 27. September 2019 fünfzig Jahre verheiratet gewesen. An dem Tag ging ich noch einmal mit ihm in die Kirche, in welcher sie geheiratet hatten. Wenn du so lange mit jemandem zusammenlebst und durch dick und dünn gehst, ist es einfach sehr schwer, sich aufzufangen. Meine Schwester und ich haben ihn unterstützt, so gut es ging. Am Ende war auch er letztlich alleine, abends oder in der Nacht. Er hat seine Silvia sehr vermisst.

Am Schluss starb er kurz vor Weihnachten an einer Lungenentzündung. Können Sie sich vorstellen, dass Ihrem Vater letztendlich das Coronavirus zum Verhängnis wurde?
Meine Schwester Priska und ich haben uns die Frage auch gestellt. Unser Vater sprach sehr gut auf seine Therapie an. Dann befiel ihn eine Infektion. Ich persönlich – und das ist wirklich nur meine Meinung – habe schon das Gefühl, dass das Coronavirus schon länger hier ist. Meine Schwester war während der Sportwoche in Österreich auch eine Woche lang krank, hatte alle Symptome. Sie hatte eine Woche Fieber, Husten, Geschmacksverlust. Deshalb glaube ich, dass unsere Familie dem Virus möglicherweise schon früh begegnet ist. Man müsste sich natürlich testen lassen, um es zu wissen. Aber ich habe das Gefühl, dass viele es bereits hatten und nun hoffentlich immun sind.

Sie hatten also auch Symptome?
Ich hatte einen Tag, an dem ich zwar kein Fieber hatte, aber eine Müdigkeit verspürte, die ich so noch nie erlebt hatte. Mir ging es einen Tag später wieder besser. Es ist eine reine Mutmassung, aber ich habe das Gefühl, dass ich das Virus hatte.

Nun bringen Sie Ihre Biografie auf den Markt. War der Tod Ihrer Eltern beziehungsweise deren Erkrankung für Sie der Grund, den ersten Teil Ihres Lebens zu Papier zu bringen?
Nein, das Buch war zuvor schon geplant. Und ich freue mich extrem, dass ich es nun druckfrisch in den Händen halten kann. Aber es entstand tatsächlich in der Phase, als es vor allem meiner Mutter so schlecht ging. Ich erzähle über meinen Weg, meine Karriere – und gleichzeitig kämpft meine Mutter, der ich so viel zu verdanken habe, um ihr Leben. Das war für mich extrem schwierig. Meine Eltern hätten sich sicher sehr über das Buch gefreut und wären stolz. Sie kennen meinen Weg am besten. Es ist ein Buch, in dem ich meine Geschichte erzähle. Es ist aber auch ein Dankeschön an meine Eltern, die mir alles ermöglicht haben.

Im September 2018 wurden Sie in den Verwaltungsrat von Swiss Ice Hockey gewählt. Gerüchten zufolge sollen Sie kurz darauf auch ein Angebot des SC Bern als Assistent des damaligen Cheftrainers Kari Jalonen erhalten haben. Stimmt das?
Es war mal ein Thema. Ich liess es mir auch durch den Kopf gehen. Ich habe damals im November aufgehört, und im Mai wäre es bereits weitergegangen. Von daher war es klar, dass es noch zu früh kam, Trainer zu sein oder sonst operativ in einem Klub tätig zu sein. Zudem hatte ich da schon das Commitment beim Hockey-Verband abgegeben. Aber beim SCB wär es eine reizvolle Aufgabe gewesen und eine Riesenherausforderung.

Gerade mit Kari Jalonen, der als Perfektionist bekannt ist.
Ja, ich hatte ihn im Sommer kennen gelernt, als ich mit dem SCB auf dem Eis war. Ich habe auch schon gehört, wie er arbeitet, wie akribisch. Er ist fast zwölf Stunden täglich im Stadion und mit Leib und Seele dabei. Er überlässt nichts dem Zufall. Er hat überall, wo er war, gewonnen. Und bei so einem Trainer im Staff mitzuarbeiten, wäre sehr lehrreich gewesen.

Konnten Sie es trotzdem nachvollziehen, dass der SCB Jalonen im letzten Winter entlassen hat?
Diese Frage kann ich als Aussenstehender nicht seriös beantworten. Du weisst nicht, wie es in der Kabine aussieht. In Zürich hat man den Schritt mit Hans Kossmann gewagt und ist Meister geworden, beim SCB hats nicht geklappt mit den Playoffs. Es hängt von der Mannschaft ab. Und wie sie lebt, spürst du nur, wenn du im Umfeld des Klubs bist. Grundsätzlich habe ich Kari sehr geschätzt, als ich im Sommer mit dem SCB auf dem Eis war. Ich habe auch Ville Peltonen geschätzt, der Assistenztrainer war. Das sind sehr fähige, kompetente Leute, die jede Faser ihres Körpers dem Hockey widmen.

Wie gut kennen Sie die neue SCB-Sportchefin Florence Schelling?
Ich kenne Florence, habe sie auch zwei, drei Mal an Olympischen Spielen getroffen, zuletzt an der Jugend-Olympiade, wo wir beide als Athlete Role Model des IOC im Einsatz waren. Sie war sehr engagiert und transparent. Sie hat grosse Erfahrung und eine gute akademische Ausbildung. Der SCB hat nun das Eis gebrochen für eine Frau in einer solchen Position. Generell wird man nur am Erfolg gemessen, egal ob Frau oder Mann. Es steht nirgendwo geschrieben, dass ein guter Sportchef oder Trainer ein ehemaliger Spieler sein muss. Ex-ZSC-Meistermacher Bob Hartley war Fliessbandarbeiter und später Stanley-Cup-Sieger. Es gibt kein Patentrezept für einen solchen Posten. Florence freut sich wahnsinnig auf die Herausforderung und sie hat sicher die ganze Unterstützung des Umfelds und von Alex Chatelain. Es ist sicher ein spannendes Projekt.


Ein spannendes Projekt ist auch die Uhrenmarke Norqain, die Sie­ zu Beginn des letzten Jahres mitbegründet haben. Wie stark wirkt sich die Corona-Krise auf Ihr Geschäft aus?
Die Uhrenindustrie wird immer unmittelbar getroffen, im Gegensatz zu anderen Sektoren, welche die Krisen nicht sofort spüren. Wir hatten ein sehr erfreuliches erstes Jahr, haben schöne Uhren produziert, ein gutes Feedback bekommen und gut verkauft. Mit dem Spengler Cup konnten wir eine tolle Geschichte landen. Die Geburt unserer Uhrenmarke und der Einstieg in den Markt sind uns geglückt. Und dann kam von heute auf morgen diese Corona-Krise. Weil zurzeit weltweit alle Verkaufsstellen geschlossen sind, haben auch wir Kurzarbeit angemeldet. Dank der Partnerschaft mit der Spielergewerkschaft der National Hockey League (NHLPA) und der Lancierung unseres neuen Manufakturwerks schauen wir trotz der momentan schwierigen Situa­tion positiv in die Zukunft.

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