HCD-Captain Andres Ambühl (35) über Nationalstürmerin Phoebe Stänz (24)
«Sie lebt fürs Hockey, nicht vom Hockey»

HCD-Leaderfigur Andres Ambühl ist das Vorbild von Nationalspielerin Phoebe Stänz. Im Interview unterhalten sich die beiden Stürmer über die Unterschiedes des Männer- und Frauen-Hockeys, dessen Stellenwert, die Löhne und ihren Alltag.
Publiziert: 25.12.2018 um 10:49 Uhr
Die beiden Stürmer Andres Ambühl und Phoebe Stänz im Interview.
Foto: Nicola Pitaro
1/13
Nicole Vandenbrouck (Interview) und Nicola Pitaro (Fotos)

BLICK: Sie spielen die gleiche Sportart – und doch nicht. Andres ­Ambühl, was denken Sie über Frauen-Hockey?

Phoebe Stänz: Ui, was kommt jetzt? (lacht)
Andres Ambühl: Als ich 2006 nach Turin erstmals an Olympische Spiele durfte, kam Frauen-Hockey so langsam auf. Mit den Jahren habe ich gesehen, wie es sich weiterentwickelt hat. Viele Spielerinnen gehen mittlerweile auch ins Ausland. Es ist professioneller geworden. Und es ist schön, dass unsere Nati auch mit guten Resultaten aufhorchen lässt. Es ist wie bei uns Männern: Hoffen wir, dass ­diese Entwicklung anhält.

Dass das physische Element fehlt, ändert für Sie nichts an der Sportart?

Ambühl: Sicher ist es ein anderes Spiel, wenn man zuschaut. Klar ist das Männer-Hockey physischer, aber mit den neuen Regeln wird das Läuferische und Technische immer wichtiger. Klar dürfen wir checken, aber das kommt weniger vor als auch schon.

Warum darf im Frauen-Hockey ­eigentlich nicht gecheckt werden?

Stänz: Keine Ahnung, das hat der Internationale Verband mal entschieden, und ich weiss nicht, wie viele Spielerinnen bei diesem Entscheid dabei waren. Ich denke, es geht um unsere ­Sicherheit. Bei den Männern werden auch immer mehr Regeln eingeführt, die einen positiven Einfluss auf die Gesundheit und Sicherheit der Spieler haben sollen. Aber ich weiss nicht, wieso wir nicht auch checken dürfen.

Phoebe Stänz, mit welchen Vorurteilen werden Sie denn regelmässig konfrontiert?

Stänz: Wenn ich jemanden neu kennenlerne und erzähle, dass ich Hockey spiele, ist die Verwunderung meistens gross. Man stellt sich Hockeyspielerinnen anders vor, vermutlich grösser und breiter. Die Kanadierinnen und Amerikanerinnen sind im Schnitt 1,75 Meter gross, bei unserer Nati ist die Durchschnittsgrösse zirka 1,60 Meter.

Und damals, als Sie mit Jungs ­Junioren-Hockey spielten?

Stänz: Da gab es auch Vorurteile (schmunzelt).

Das nervigste?

Stänz: Dass wir alle lesbisch sein sollen. Da gibt es wie überall beides, aber das macht uns als Hockeyspielerinnen ja nicht aus. Das stört mich am meisten, dass wir so definiert werden. Am liebsten hätte ich, dass man uns auch als Athletinnen sieht.

Warum denken Sie, wird Frauen-Hockey nicht überall gleich ernst genommen?

Ambühl: Für junge Frauen ist es schwierig, nach der Junioren-Zeit, in der sie noch mit den Jungs spielen dürfen, ein Team zu finden. Zum Beispiel, wenn hier in Davos Mädchen spielen, die Potenzial haben, müssen sie spätestens im Novizen-Alter von hier weg, wenn sie sich sportlich weiterentwickeln wollen.
Stänz: Zu Hause wurde ich mit den Werten erzogen, dass Mädchen und Jungs gleichgestellt sind. Ich habe drei Brüder, meine Mutter spielte früher Fussball und dies in ihrer Jugend auch immer bei den Jungs. Für sie war es selbstverständlich, dass ich auch mit Buben spiele.

Sie spielen beide in der höchsten Spielklasse, dennoch ist der Stellenwert unterschiedlich.

Stänz: Ja, wir bekommen viel weniger Aufmerksamkeit. Wieso dies so ist, kann ich nicht ­beurteilen. Aber es wäre schön, würde es sich ändern und ich könnte eines Tages auch vom Hockey leben. Es gibt aber ­immer mehr positive Zeichen, zum Beispiel, dass unser Playoff-Final seit letzter Saison im Fernsehen übertragen wird. Auch der Verband kommt uns entgegen, dies auch mit einer vollamtlichen Trainerin. Ich wünschte mir einfach, es würde schneller gehen.

Hat sich die Wahrnehmung in den letzten Jahren gewandelt?

Ambühl: Die Frauen bekommen nicht so viel Aufmerksamkeit wie wir, aber es hat sich diesbezüglich schon etwas getan. Ihre Erfolge der letzten Jahre hat das Frauen-Hockey attraktiver und populärer gemacht.

Auf dem Eis sind die Unterschiede klar reglementiert. Wie siehts ­neben dem Eis aus, was beschäftigt Sie da?

Stänz: Ich weiss gar nicht, wie dein Tag so aussieht?
Ambühl: An einem Trainingstag während der Saison bin ich ­spätestens um 8.45 Uhr in der Halle. Bis am Mittag trainiere ich, dann gehe ich essen, nach Hause und mit dem Hund spazieren.

Wie stellen Sie sich den Alltag von Phoebe vor?

Ambühl: Ich nehme mal an, sie trainiert am Abend und ist tagsüber an der Uni?
Stänz: Das stimmt so ungefähr. Heute hätten meine Vorlesungen von 8.30 bis 12.15 Uhr gedauert, dann wäre ich in den Kraftraum für eineinhalb Stunden. Danach hätte ich zu Hause gelernt und am Abend um 20.00 Uhr habe ich Training bis 21.30 Uhr. Danach hätte ich dann nochmals ein bisschen gelernt.

Und die Unterschiede im Mannschafts-Betrieb?

Stänz: In Lugano sind wir für ­alles verantwortlich. Das Material, die Pucks, wir machen für die Trainings alles parat. Wir waschen unsere Leibchen und die Trinkflaschen selber. Das war am College in den USA oder in Schweden schon ganz anders. Da wurde alles für uns organisiert.

Wenn Sie das so hören?

Ambühl: Das sind vermutlich auch Budgetfragen. Will man ­einen Materialwart, muss man ihn auch entlöhnen. Und wenn das Budget klein ist, muss man sich überlegen, wie man es investieren will. Aber es ist sicher lässiger, wenn man sich als ­Spieler nur auf den Sport konzentrieren kann und die anderen Dinge geregelt sind.

Könnten Sie sich vorstellen, neben dem Sport zu studieren oder zu ­arbeiten?

Ambühl: Das kann ich mir. Früher oder später kommt bei jedem Spieler der Zeitpunkt, an dem er sich überlegen muss, was er nach der Karriere machen will.

Ihre Gedanken dazu?

Ambühl: Seit ich 30 bin, überlege ich mir das automatisch schon ein bisschen mehr, was danach kommt. Ich belege Trainerkurse und will mich auch schulisch noch weiterbilden. Aber ich geniesse auch die Jahre, in denen ich mich voll auf den Sport konzentrieren kann.
Stänz: Das würde ich auch gerne, Profi sein. Obwohl ich es schön finde, mit dem Studium den Ausgleich zum Sport zu ­haben. Diese Balance mag ich. Ich bin ein Mensch, der die ­ganze Zeit etwas tun muss. Aber ich kenne es nicht anders. Ich konnte noch nie einfach nach Hause gehen und aufs nächste Training warten.

Aktuell ist die krasse Lohnspirale in der National League ein grosses Thema. Was denken Sie, wenn 
Sie diese Summen von 750'000 Franken lesen?

Stänz: Die würde ich auch nehmen (lacht). Ich diskutiere oft mit meinem Vater darüber, dass einige Spieler so viel ­verdienen. Das Salär stimmt ­irgendwie, wenn ich an den Aufwand denke, den diese Spieler betreiben. Dafür werden sie im Nachwuchs bis zur Elite-Stufe ja nicht entlöhnt. Würde ich so spielen, würde ich auch gerne einen entsprechenden Lohn haben. Krass ­finde ich es, wenn ich es mit meiner Situation vergleiche. Wenn ich den Sommer über ein Praktikum mache, verdiene ich ja praktisch nichts im Vergleich zu den Spieler-Löhnen.

Haben Sie einen Vertrag mit einem Fixum?

Stänz: Nein, das gibt es nicht. Ich spiele aus Leidenschaft 
und der Liebe zum Spiel. Ich habe in den Sommermonaten gearbeitet und Geld gespart, damit ich jetzt Hockey spielen kann.
Ambühl: Aber es gibt schon Spielerinnen, die damit Geld verdienen?
Stänz: Meistens nur die Ausländerinnen der Teams.
Ambühl: Aber das sind dann Profis?
Stänz: Ja, deren Kosten sind ­gedeckt, und dann verdienen sie noch ein Sackgeld.

Erstaunt Sie das auch?

Ambühl: Ich hätte schon gedacht, dass die Spielerinnen zumindest einen kleinen Betrag bekommen, um zum Beispiel die Schule finan­zieren zu können.
Stänz: Oder das Essen. Hockeyspieler sind bekannt für ihre grossen Portionen, das ist bei uns Frauen nicht anders (lacht).

Dann erübrigt sich die Frage bei ­Ihnen, ob Sie vom Hockey leben können.

Stänz: Genau.
Ambühl: Sie lebt fürs Hockey, nicht vom Hockey.
Stänz: Diesen Sommer absolvierte ich ein Praktikum als ­Finanz-Analystin von Mai bis Mitte September. So habe ich etwas angespart und werde noch von meinen Eltern, denen ich unendlich dankbar bin ­dafür, unterstützt.

Sie beide haben im Ausland ­gespielt, was hat Ihnen die Zeit 
in Nordamerika gebracht?

Ambühl: Ich war zwar schon ziemlich selbständig, aber dort musste ich wirklich alles alleine machen. Das hat mir als Mensch nicht geschadet. Auch die Tatsache nicht, dass ich 
die Saison dort durchgebissen habe. Für mich war klar, dass ich es durchziehen möchte. Das hat mich abgehärtet.

Bei den Männern sind es sportliche Gründe, und bei Ihnen das Studium?

Stänz: Ja, Yale habe ich aus akademischen Gründen ausgewählt. Es hätte auch andere Unis gegeben, die sich mehr auf den Sport spezialisiert haben. Aber ich habe auch immer im Hinterkopf, dass ich mit Hockey ja nicht meinen Lebensunterhalt verdiene. In den vier Jahren bin ich selbständiger geworden und habe viel über mich ­gelernt. Was ich kann, was ich will und was ich nicht mag.

Zum Beispiel?

Stänz: Vor allem aufs Schulische bezogen. Was ich brauche, um das Beste aus mir rauszuholen, egal in welcher Situation. Im Hockey konnte ich es schon auch umsetzen, aber der Sport war nicht der primäre Fokus. Ich würde es wieder so machen. Eine solche Chance sollte jede Spielerin nutzen, wenn sie kann.
Ambühl: Ins Ausland wechseln zu können, sollte ein Ansporn für jeden Spieler sein.

Sie sind beide auch für die Schweizer Nati im Einsatz. Was bedeutet Ihnen dies?

Stänz: Ich spiele unglaublich gerne für die Nati. Es ist immer eine neue Herausforderung, ­gegen andere Nationen anzutreten. Es ist eine Ehre für mich.
Ambühl: Es ist eine Ehre. Seit ich ein kleiner Bub war, habe ich darauf hingearbeitet. Auch schon die Junioren-Auswahlen waren ein Ziel von mir. Habe ich zu den besten der Jahrgänge ­gehört, war das ein Antrieb für mich. Es ist etwas vom Grössten, für die Nati zu spielen. Es ist ein Zeichen, dass man etwas richtig gemacht hat, und macht mich stolz.
Stänz: Was kam bei dir zuerst? Das Ziel, es in die National League zu schaffen, in die Nati oder sogar in die NHL?
Ambühl: Bei mir kam das Schritt für Schritt mit den jeweiligen Auswahlen. Als ich für die U18 spielte, war mein Ziel, es beim HC Davos in die erste Mannschaft zu schaffen. Und sobald ich es in die U20 geschafft hatte, wollte ich in die A-Nati. Das mit Amerika fing an, als ich 
die internationalen Junioren-Turniere gespielt habe und viele Scouts anwesend waren. Da träumte man davon, gedraftet 
zu werden. Die NHL war ein übergeordnetes Ziel. Zuerst mussten die anderen Schritte stimmen.

Und Sie?

Stänz: Ich sagte schon als kleines Mädchen, dass ich in die NHL möchte.

Wer waren Ihre Vorbilder?

Stänz: Er sitzt neben mir, Andres Ambühl. Und das ist immer noch so.
Ambühl: Das freut mich!

Und Ihr Idol, Andres?

Stänz: Phoebe? (lacht)
Ambühl: Als ich klein war, wars Pavel Bure.
Stänz: Spielte er so wie du jetzt? Oder ähnlich?
Ambühl: Er war schon noch ­besser (lacht). Ein schneller, technisch guter Russe, der viele Tore geschossen hat. Das hat mir gefallen.

Sie schauen sich Dinge bei Männern ab?

Stänz: Ich achte mich auf Qualitäten, die mir in meinem Spiel helfen werden. Beim Schlittschuhlaufen oder Schiessen. Wenn ich in unserer Liga herausstechen will, muss ich mir von den Besten etwas abschauen und in mein Spiel einbauen. Das hat schon angefangen, 
als ich mit Jungs zusammenspielte. Und Männer-Hockey sieht man einfach noch mehr am Fernsehen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?