Die grösste Eishockey-Sensation Europas
Fischtown Pinguins greifen trotz Mini-Budget nach Titel

Sie haben ein No-Name-Team mit je vier Slowenen und Dänen. Dazu einen 70-jährigen Sportmanager mit einer grossartigen Spürnase. Die Fischtown Pinguins aus Bremerhaven sind die Eishockey-Sensation Europas.
Publiziert: 11.04.2024 um 15:49 Uhr
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Marcel AllemannReporter Eishockey

Das 60 Kilometer von Bremen entfernt liegende Bremerhaven mit seinen knapp 115'000 Einwohnern ist eine Hafenstadt an der Nordsee. Hier dreht sich fast alles um das Meer, Schiffe, Fische – und in diesen Tagen auch um Eishockey. Denn die lokalen Fischtown Pinguins sind die Hockey-Sensation Europas und der grosse Stolz der Stadt. Völlig überraschend hat die Mannschaft die Regular Season in der DEL gewonnen und setzt ihr Märchen nun auch in den Playoffs fort.

Nach einem souveränen 4:1-Triumph in der Halbfinal-Serie gegen den von Ex-SCB-Trainer Toni Söderholm gecoachten amtierenden Meister RB München greifen die Hockeyaner aus der Fischstadt sogar nach dem Titel. «Wir verdienen es, dort zu stehen, wo wir sind – jetzt wollen wir auch den Meisterpokal», sagt Captain Jan Urbas. Im ersten Playoff-Final der Vereinsgeschichte trifft Bremerhaven auf die Eisbären Berlin.

Skandal-Slowene als Schlüsselspieler

Der 35-jährige Urbas ist als Topskorer der Motor der Mannschaft und widerspiegelt das Konzept der Fischtown Pinguins. Er ist einer von vier Slowenen im Team. Ein Zweiter ist mit seinem Sturmpartner Ziga Jeglic (36) einer, den wir in der Schweiz nicht gern haben. Er sorgte an der WM 2017 in Paris für einen Skandal, als er im Spiel gegen die Nati Thomas Rüfenacht mit der Kufe attackierte. Nur mit Glück blieb Rüfenacht von einer lebensgefährlichen Verletzung verschont. Dass Jeglic anschliessend nur für zwei Spiele gesperrt wurde, war damals der zweite Skandal.

Die Fischtown Pinguins mit Alex Friesen (l.) Goalie Kristers Gudlevskis und Felix Scheel brachten das grosse RB München zu Fall.
Foto: imago/Eibner
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Schlittschuh von Jeglic landet an Rüfenachts Kehle
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Schrecksekunde an der Bande:Schlittschuh von Jeglic landet an Rüfenachts Kehle

Doch zurück zur Gegenwart und nach Bremerhaven. Neben den vier Slowenen Urbas, Jeglic, Miha Verlic (32), Blaz Gregorc (34) sind mit Phillip Bruggisser (32), Nicholas Jensen (35), Christian Wejse (25) und Felix Scheel (31), der letzte Saison noch für Visp in der Swiss League spielte, auch noch vier Dänen am Start. Dies entspricht der Vorgehensweise von Manager Alfred Prey: Er fischt nach Juwelen auf dem Exoten-Markt. Auch der Norweger Markus Vikingstad (24) gehört zu dieser Kategorie, in früheren Jahren zog der im Februar 70 Jahre alt gewordene Prey auch schon talentierte Spieler aus Polen an Land. Und erhielt den Übernahmen «die Spürnase des deutschen Eishockeys».

Vom Berufssoldaten zur Sportmanager-Ikone

Es ist Fischtowns Weg, mit einem Budget von rund 5 Mio. Euro operieren zu können. Der Etat der renommierten Teams aus Berlin, München oder Mannheim dürfte mindestens dreimal so hoch sein. Ein weiteres Erfolgsgeheimnis ist Kontinuität. Manager Prey ist seit 1992 im Verein, damals hiess dieser noch REV Bremerhaven. Zunächst war der ehemalige Marine-Berufssoldat Pressesprecher, übernahm dann auch andere Funktionen und wurde schliesslich zum sportlichen Verantwortlichen.

Erfolgstrainer Thomas Popiesch (58) ist seit 2016 im Amt, damals spielten die Pinguins noch in der DEL2. Captain Urbas kam ein Jahr später, im Schatten der Topclubs wurde in einem familiären Umfeld ein Team entwickelt, das selbst zur Spitzenequipe reifte. «Wir haben kontinuierlich etwas aufgebaut und schon im Herbst gespürt, dass mit dieser Mannschaft etwas Besonderes möglich ist», sagt Prey.

Die Chance packen – danach kommt der Umbruch

Es dürfte eine einmalige Chance sein und womöglich auch bleiben, nun als Riesentöter auch noch den Titel zu holen. Denn ein grosser Umbruch steht in Bremerhaven unmittelbar bevor und ist unausweichlich. Zahlreiche Schlüsselspieler sind über 30 und im Herbst ihrer Karriere, dazu soll Trainer Popiesch nach dieser Saison aufhören und auch Manager-Ikone Prey tritt altersbedingt kürzer. Doch Prey wäre nicht Prey, wenn er im Hintergrund nicht bereits nachhaltige Nachfolgekonzepte nach Fischtown-Werten aufgleisen würde. Ex-Nationalspieler Sebastian Furchner (41) wird bereits als Sportmanager eingearbeitet und Popiesch soll von dessen hochgeschätzten Assistenten, dem Ex-NHL-Spieler Alexander Sulzer (39) beerbt werden.

Vorerst gilt es jedoch, auf der aktuellen Erfolgswelle weiterzusurfen und die derzeitige Euphorie auszukosten. Nach dem feststehenden Final-Einzug standen die Fans in der kleinen Eisarena Bremerhaven kopf, es wurde stimmungsvoll und laut. So laut, dass Experte und Ex-Profi Kai Hospelt (38) bei seiner Analyse auf MagentaTV ins Mikrofon schrie: «Entschuldigung, dass ich so brülle, aber ich kann nicht mal mehr meine Gedanken hören.» Dieses Hockey-Märchen an der Nordsee ist in jeder Hinsicht etwas ganz Besonderes.

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