Zur Feier des Bundesstaates
Imark ruft den Mob

Am Dienstag drohte SVP-Nationalrat Christian Imark dem Bundesrat mit einem Volksaufstand. Der Zeitpunkt ist kein Zufall.
Publiziert: 18.09.2022 um 10:36 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2022 um 10:58 Uhr
Danny Schlumpf

Wussten Sie, dass die Schweiz am Montag 174 Jahre Bundesstaat feierte? Womöglich nicht. Aber sicher haben Sie mitgekriegt, dass SVP-Nationalrat Christian Imark tags darauf Bundesrätin Simonetta Sommaruga mit einem Volksaufstand drohte.

Auch wenn der Dienstag lärmiger war – er hat etwas mit dem Montag zu tun. 1848 hatten Kantone, Parlament und Wirtschaft das Sagen. Die Schweiz war ein Bundesstaat mit schwacher Zentralgewalt. Das Gesicht dieses Staates war kein Bundesrat, sondern Alfred Escher – ein Zürcher Unternehmer im Nationalrat.

An der dezentralen Machtverteilung änderte sich im 20. Jahrhundert wenig. Am Ende zog sich der Zentralstaat unter dem Druck des Neoliberalismus sogar noch weiter zurück. Doch 2008 drehte der Wind. In der Finanzkrise übernahmen Bundesrat und Nationalbank das Zepter.

Am Dienstag griff SVP-Nationalrat Christian Imark Bundesrätin Simonetta Sommaruga frontal an.
Foto: keystone-sda.ch
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Erst in der Pandemie meldeten sich die Kantone zurück – und produzierten ein Föderalismus-Desaster. Das Parlament winkte Kurzarbeit und Covid-Kredite des Bundes durch, ansonsten hatte es wenig zu melden. Das Gesicht des Staates war ein Magistrat: Alain Berset.

Heute verstärkt die Energiekrise den Trend. Wirtschaftsvertreter und Parlamentarier fordern Hilfspakete. Einig werden sie sich nicht. Sie agieren orientierungslos. Zum Beispiel beim Rettungsschirm für die Stromkonzerne, den der Nationalrat noch im Sommer nicht für dringlich hielt. Peinlich ist die Geschichte auch für die Kantone, die dem Bund die Rettung ihrer eigenen Energieunternehmen überlassen.

Heute ist Simonetta Sommaruga das Gesicht des Staates. Alle wollen etwas von ihr. Und einige machen sie auch gleich noch für all das verantwortlich, was sie selbst nicht auf die Reihe kriegen. Wie Kinder, die ihre Mutter dafür beschimpfen, dass sie noch nicht gross sind. Weil niemand mehr weiss, was der Staat eigentlich muss, kann und darf – und wer überhaupt Staat machen soll: der Bundesrat, das Parlament, die Kantone?

174 Jahre nach Gründung des Bundesstaates ist die Verständigung über seine Definition am Tiefpunkt – und halbwegs glaubwürdig nur noch die Landesregierung. Das wissen auch die Wirtschaftsvertreter und die Kantone, die Parlamentarier und ihre Parteien – zuvorderst die SVP, die in all den Krisen die Deutungshoheit verloren hat. Nachdem ihr Präsident vor einer «Öko-Diktatur» samt «Hunger und Tod» warnte, ruft Christian Imark nun den Mob.

Höchste Zeit, dass wir uns wieder über die Rollenverteilung im Bundesstaat einigen. Damit wir das grosse Jubiläum im nächsten Jahr mit Anstand und Würde über die Bühne bringen.

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