Plastik plättet Umwelt
Vinyl-Boom macht dem Planeten zu schaffen

In der Schweiz werden wieder Schallplatten hergestellt. Doch das Comeback der Plastikscheiben ist Gift für die Umwelt. Gefragt sind jetzt grüne Alternativen.
Publiziert: 12.06.2022 um 12:15 Uhr
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Aktualisiert: 13.06.2022 um 22:29 Uhr
Peter Aeschlimann

Im aargauischen Neuenhof rattert und zischt eine Maschine. Für Audiophile klingt das wie Musik in den Ohren: Nach 20 Jahren Stillstand werden in der Schweiz endlich wieder Schallplatten hergestellt. «Die Presse läuft Tag und Nacht», sagt Andreas Krüsi (53), Chef der Firma Adon. Den Anfang machte am vergangenen Dienstag der Blueser Philipp Fankhauser (58), jetzt stehen die Künstlerinnen und Künstler vor dem Werk Schlange. Man habe weit über hundert Aufträge, sagt Krüsi. «Die nächsten Monate sind wir komplett ausgebucht.»

Vinyl feiert sein Comeback

Auch im Musikbusiness gilt: Totgesagte leben länger. Während auf Konzertbühnen und in Hitparaden plötzlich wieder Bands aus den Neunzigern auftauchen, feiert Vinyl weltweit ein Comeback. In der Schweiz zeigen die Zahlen ebenso steil nach oben. 2021 wurde mit Langspielplatten hierzulande 4,8 Millionen Franken Umsatz erzielt. Das ist ein Plus von 18 Prozent und so viel wie seit 1991 nicht mehr. Ohne den Produktionsstau in den Presswerken wäre sogar das Doppelte möglich gewesen, glaubt Ivo Sacchi, der Präsident des Branchenverbands.

Schlecht für die Umwelt

Das Vinyl-Revival bringt aber längst nicht alle in Jubelstimmung. Umweltschützer sind alarmiert: Die Produktion einer Schallplatte benötigt sehr viel Energie, der dafür verwendete Rohstoff, das PVC, stammt oft aus Fabriken, die regelrechte Dreckschleudern sind. Vinyl ist ein Erdölprodukt. Gepresst wird auf denselben Maschinen wie vor 50 Jahren, mit denselben Materialien. Es ist, als ob plötzlich alle wieder Trabi fahren wollten – ohne Katalysator.

Plattentaufe in der Fabrik: In Neuenhof AG werden seit dieser Woche wieder Schallplatten gepresst. Adon-Chef Andreas Krüsi (links) mit dem Schweizer Musiker Philipp Fankhauser.
Foto: zvg
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Gegen den Klimawandel singen – und dennoch Schallplatten verkaufen. Viele Musikerinnen und Musiker sind sich des Widerspruchs bewusst. Auch der Zürcher Sängerin Evelinn Trouble (33) ist nicht ganz wohl dabei. Sie sagt: «Ökologisch mag es keinen Sinn machen, aber für mich als Indie-Künstlerin ist Vinyl gerade an Konzerten eine wichtige Einnahmequelle.» Ihre neuste EP («Live at Moods») erschien Ende Mai trotzdem nicht im Plattenformat. Auch wenn Trouble damit ihr Publikum enttäuschen würde, könnte sie sich vorstellen, künftig ganz auf Vinyl zu verzichten. «Es sei denn, es gäbe eine grüne Alternative.»

Vinyl-LPs aus Bioplastik

Tatsächlich wirkt die gesteigerte Nachfrage als Innovationstreiber. In England etwa tüftelt Marc Carey von der Firma Evolution Music an einem Rohstoff aus Bioplastik, der schon bald das PVC in der Schallplattenproduktion ablösen soll. «Wir müssen ein neues System kreieren, weil das alte System für den Menschen und den Planeten schädlich ist», sagt Carey. Sein Bioplastik ist komplett organisch und kompostierbar. Und es lässt sich mit den bestehenden Maschinen zu LP verarbeiten. Noch höre man bei Testpressungen leise Störgeräusche. Diesen Mangel zu beheben, sei das letzte Puzzleteil. Schon im September sollen die ersten grünen Platten in den Handel kommen.Bereits einen Schritt weiter ist der Holländer Harm Theunisse von Green Vinyl Records. Er produziert in seiner Fabrik Platten aus PET. Das Verfahren benötigt 90 Prozent weniger Strom, der CO2-Fussabdruck von Eco-Vinyl-Platten ist halb so gross wie jener einer Beatles-Scheibe aus den Sechzigerjahren. Theunisse ist überzeugt, dass sich grünes Vinyl als neuer Standard durchsetzen wird: «Es fühlt sich an wie eine Platte, sieht aus wie eine Platte, klingt wie eine Platte.»

In der Schweiz ist Eco-Vinyl mehr als bloss Zukunftsmusik. Bei der Firma Adon im Aargau wartet man gespannt auf die neue Technologie. «Bioplastik ist absolut ein Thema», sagt CEO Andreas Krüsi. «Wenn es klanglich passt, werden wir mitziehen.»


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