Kritik an Bundesrätin Sommarugas Klimaplänen
«Steuergelder für Airlines? Absurd»

Nach dem Nein zum CO₂-Gesetz will die Umweltministerin vorerst auf Abgaben und Verbote verzichten. Wissenschaftler sagen: So lassen sich die Klimaziele nicht erreichen.
Publiziert: 26.09.2021 um 15:50 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2021 um 14:35 Uhr
Camilla Alabor

Einen Vorwurf will sich Bundesrätin Simonetta Sommaruga (60) offensichtlich nicht machen lassen: dass sie das Nein zum CO₂-Gesetz nicht ernst nimmt. Und so präsentierte die Umweltministerin vor Wochenfrist einen auffällig zaghaften Vorschlag, wie es in der Klimapolitik weitergehen soll. Abgaben oder Verbote soll es keine mehr geben, stattdessen setzt die SP-Bundesrätin auf Anreize.

Den Ersatz alter Öl- und Gasheizungen will Sommaruga finanziell unterstützen, ebenso den Ausbau der Infrastruktur für Elektroautos. Die Flugticketabgabe ist vom Tisch, dafür soll für den Flugsektor – in Anlehnung an die EU – eine Beimischquote gelten. Heisst: Airlines müssen einen gewissen Mindestanteil an nachhaltigem Treibstoff tanken, wobei geprüft wird, ob sie für das Erreichen dieses Ziels Steuergelder erhalten sollen.

Wissenschaft enttäuscht vom zögerlichen Vorgehen

In der Wissenschaft zeigt sich manch einer enttäuscht ob Sommarugas zögerlichem Vorgehen. «Die Massnahmen reichen bei weitem nicht aus, um die Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens zu erfüllen», sagt Thomas Stocker (62), Klimaforscher an der Uni Bern. «Das ist keine Politik der kleinen Schritte, das ist leider eine Politik der Mikroschritte.»

Das Nein zum CO₂-Gesetz war eine bittere Niederlage für Bundesrätin Simonetta Sommaruga.
Foto: Keystone
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Zwar hat Stocker Verständnis dafür, dass Sommaruga nach der Abstimmungsniederlage einen Gang runterschaltet. Doch Abgaben seien Teil der Lösung, wenn man die Klimaziele erreichen wolle: «Das Portemonnaie ist ein wichtiger Signalgeber.»

Um Lenkungsabgaben mehrheitsfähig zu machen, schlägt Stocker vor, diese zu differenzieren. «Wer auf dem Land wohnt und wenig verdient, könnte zum Beispiel weniger bezahlen. So wie man auch bei den Steuern die regionalen Gegebenheiten stark berücksichtigt.»

Verbote sind ein sinnvolles Instrument

Klimaforscherin Sonia Seneviratne (46) von der ETH Zürich hält Sommarugas schrittweises Vorgehen für keine schlechte Idee. «Aber man muss relativ rasch überlegen, was danach kommt.» Um die CO₂-Emissionen bis 2030 zu halbieren, brauche es eine Reduktion von etwa sechs Prozent pro Jahr. «Das erreichen wir mit diesen Vorschlägen allein höchstwahrscheinlich nicht.»

Auch sie spricht sich für Abgaben aus – und findet Verbote ein sinnvolles Instrument: «Möglicherweise wäre es schlauer, Benzinautos in Zukunft zu verbieten, statt das Benzin zu verteuern.» Dann gälten für alle dieselben Regeln und wohlhabende Leute könnten sich nicht einfach «freikaufen». Wobei ein solches Verbot natürlich schrittweise eingeführt werden müsste, wie Seneviratne anfügt.

Allerdings gibt es auch Wissenschaftler, die Sommarugas Kurs stützen. So spricht sich Anthony Patt (56), Professor für Klimaschutz an der ETH Zürich, gegen Lenkungsabgaben aus.

58 Prozent wünschen sich ein entschiedeneres Vorgehen

Während sich die Forscher in der Beurteilung der neuen Klimapolitik zurückhaltend geben, äussert sich Grünen-Präsident Balthasar Glättli (49) weniger diplomatisch. Er kritisiert die «Mutlosigkeit» der Landesregierung: «Der Bundesrat reagiert völlig falsch auf das Nein zum CO₂-Gesetz.»

Gemäss der Analyse der Abstimmungsresultate wünschten sich 58 Prozent ein entschiedenes Vorgehen gegen den Klimawandel, führt Glättli aus. «Wir müssen deshalb dort, wo es keine Kritik der Bürger gibt, schneller vorwärtsmachen.»

Zum Beispiel solle der Bundesrat dafür sorgen, dass die Nationalbank nicht länger in Öl, Gas und Kohle investiere. «Unverständlich» findet der Grünen-Präsident, dass der Finanzplatz nicht einbezogen werde, obwohl dieser Punkt im abgelehnten CO₂-Gesetz unbestritten gewesen sei. «Geradezu absurd ist der Vorschlag, Fluggesellschaften zu subventionieren, damit sie die Beimischquote mit nachhaltigen Treibstoffen erfüllen», sagt Glättli. «Statt den Airlines Steuergelder hinterherzuwerfen, braucht es Sanktionen, wenn sie das Ziel nicht erreichen.»

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