«Müssen das Dorf für Durchgangsverkehr unattraktiv machen»
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Gemeindepräsident Zizers GR:«Müssen das Dorf für Durchgangsverkehr unattraktiv machen»

Der Verkehr staut sich durch die Dörfer
Nadelöhr A13

Ewig lange Staus in den Gemeinden entlang der San-Bernardino-Route sorgen zunehmend für Chaos und gefährden die Sicherheit der Anwohner. Lösungen müssen her.
Publiziert: 12.06.2022 um 00:47 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2022 um 10:00 Uhr
Sven Zaugg

«Aigentlich sind miar liabi Siacha», sagt Daniel Bühler auf einer Spazierfahrt durch Bad Ragaz SG. Doch genug sei nun mal genug, findet der Gemeindepräsident . «Mit diesen Blechlawinen Woche für Woche können wir nicht mehr leben.»

Bad Ragaz liegt beiderseits der A13, einer Ausweichroute in den Süden und in den Norden, wenn es am Gotthard stockt. Und am Gotthard stockt es oft. Weil die A13 nicht alles schlucken kann, weichen ungeduldige Automobilisten auf die Kantonsstrassen aus. Und mühen sich durch kleine Ortschaften zum nächsten Autobahnzubringer, in der Hoffnung, ein paar Fahrminuten zu sparen.

Durchgangsverkehr ist nicht mehr akzeptabel

An Pfingsten, aber eigentlich seit Monaten, habe der Durchgangsverkehr ein Niveau erreicht, das nicht mehr akzeptabel sei, so Bühler, der seit zehn Jahren die politischen Geschicke des Kurorts lenkt. Er wischt über selbst gemachte Fotos auf dem Handy – es sind Dutzende – und schüttelt den Kopf. Sie zeigen, wie sich Autoschlangen an Wochenenden und Feiertagen wie eine Lichterkette durch den Ort schlängeln – egal, ob Sommer oder Winter.

Stau und Corona haben eines gemeinsam: Wo sie auftauchen, verpesten sie die Gegend. So wie in Chur GR, als sich Automobilisten am Pfingstwochenende auf Velo-Feldwege verirrten, weil sie von ihren Navigationsgeräten auf die vermeintlich schnellste Route gelockt wurden.
Foto: Thomas Meier
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Bühler spricht vom «neuen Normal», das nicht mehr akzeptabel sei, vom Kollaps, der den Ort abwerte und den Blaulichtorganisationen fast kein Durchkommen mehr erlaube. «Wer haftet, wenn die Feuerwehr nicht rechtzeitig einen Brand löschen kann?»

Stundenlange Wartezeiten

Corona habe alles noch schlimmer gemacht, sagt Bühler. «Wenn die Frequenzen an den Flughäfen sinken, nehmen sie auf den Strassen zu.» Stau und Corona haben eines gemeinsam: Wo sie auftauchen, verpesten sie die Gegend. So wie in Chur GR, wo sich Automobilisten an Pfingsten auf Velo-Feldwege verirrten, weil sie von ihren Navigationsgeräten auf die vermeintlich schnellste Route gelockt wurden.

So etwas habe die Kantonspolizei noch nie gesehen, liessen die Bündner nach dem Pfingstchaos verlauten. Ob Unterländer oder Holländer – zwischen Trimmis GR und Chur landeten alle in einer Sackgasse. Stundenlange Wartezeiten waren die Folge.

Entwicklung bereitet Sorgen

Eine Entwicklung, die sich bereits seit Jahren beobachten lässt: 2021 zählte das Bundesamt für Strassen (Astra) 32'481 Staustunden. Mehr als doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren.

Urs Marti verwirft die Hände: «Wir konnten nur noch reagieren und Autobahnzubringer schliessen, das alles war mit einem enormen Personalaufwand verbunden», sagt der Churer Stadtpräsident auf einem Spaziergang durch die Innenstadt.

Tatsächlich wirkten die Autoschlangen auf der San-Bernardino-Route an Pfingsten monströs. Selbst beim Astra rieb man sich die Augen. «Der Reiseverkehr», sagt Sprecher Thomas Rohrbach, «war auf allen Nord-Süd-Strecken noch höher als vor Corona. Dies hat sich am Pfingstsamstag auf der A 13 exemplarisch gezeigt.»

Allerdings – darauf verweisen das Astra ebenso wie die Kantone St. Gallen und Graubünden – müsse man die Verhältnisse wahren: In der Schweizer Stau-Statistik ist die A13 nicht das grösste Problem. Dennoch bereitet die Entwicklung Sorge.

Wegen Corona mehr Verkehr auf den Strassen

Das Astra hält im aktuellen Verkehrsmonitoring vom Donnerstag fest: «Eine Zunahme der Staustunden erfolgte vor allem auf Nationalstrassen mit einem hohen Anteil an Freizeit- und Ausflugsverkehr. Besonders betroffen waren die A2 (Gotthard), die A13 (San Bernardino).»

Die Gründe dafür, weshalb es in den letzten Monaten fast wöchentlich zu einem Verkehrschaos von Murg SG bis in die Viamala-Schlucht gekommen ist, seien vielfältig, glaubt Urs Marti: «Corona hat das Auto wieder salonfähig gemacht. Man will sich schützen. Viele kalte Betten sind jetzt warm, weil Arbeiten vom Ferienhaus heute möglich ist, und noch immer sind internationale Flugreisen mit Unsicherheiten behaftet.»

Der Churer Stadtpräsident hofft auf das Umdenken der Touristen und spricht von einem Dilemma: «Stundenlang im Stau stehen kann nicht attraktiv sein. Warum nicht auf den ÖV umsteigen?» Tourismus sei ohne Verkehr nicht möglich. Gleichzeitig sorge er schliesslich für Geld und Arbeitsplätze.

«Der Verkehr gehört auf die Autobahn und nicht in die Dörfer.»

Knapp zehn Kilometer nördlich trifft SonntagsBlick Peter Lang zum Gespräch. Er ist Gemeindepräsident im «Strassendörfchen» Zizers GR, wie er es nennt: «Wir haben zwar die gleichen Probleme wie Bad Ragaz, aber wir sind kein Kurort. Unsere Gemeinde muss nicht hübsch sein für die Touristen, aber lebenswert für die Einwohner.»

Doch was sich an Pfingsten abgespielt hat, war auch für Lang aussergewöhnlich: ein stundenlanger Stau auf der Kantonsstrasse zwischen Chur und Zizers. Für den Gemeindepräsidenten ist klar: «Der Verkehr gehört auf die Autobahn und nicht in die Dörfer.»

Pilotprojekt zeigt bereits Erfolg

Der Kanton Graubünden und das Astra haben auf Druck der betroffenen Gemeinden erste Massnahmen eingeleitet. In Bonaduz GR und Rhäzüns GR zum Beispiel wurden an den Ostertagen und über Pfingsten die Durchfahrt auf Anwohner beschränkt.

Die ersten Erfahrungen des Pilotprojekts seien positiv, melden die Gemeinden. Für Bad Ragaz, das auf St. Galler Gebiet liegt, ist das nur ein schwacher Trost: St. Gallen war bislang nicht Teil des Pilotversuchs.

Interkantonale Zusammenarbeit muss verbessert werden

Dies auch deshalb, weil die interkantonale Zusammenarbeit harzt. Der Kanton Graubünden will die St. Galler Gemeinden nur punktuell einbeziehen – und das Astra sieht im Fall von Bad Ragaz erst im Winter Handlungsbedarf, wenn es das Skivolk wieder in die Berge zieht.

Die St. Galler Regierung ihrerseits schob das Problem auf die lange Bank – Bad Ragaz liegt nun mal fernab der Kantonshauptstadt.

Im Herbst sollen erste Resultate der Pilotversuche vorliegen. Dann will das Astra mit den betroffenen Kantonen und Gemeinden «die Abwicklung des Winterverkehrs in Angriff nehmen».

Bis dahin rollen die Blechlawinen weiter durch die Dörfer an der San-Bernardino-Route.

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