Tödliches Überholmanöver auf A4
Sechs Jahre Freiheitsstrafe für rücksichtslosen Tiago R. (26)?

Bei einem riskanten Überholmanöver auf der A4 verursachte ein Mann einen tödlichen Unfall. Die Staatsanwaltschaft sieht darin kein Fahrlässigkeitsdelikt, sondern eventualvorsätzliche Tötung.
Publiziert: 22.03.2024 um 10:59 Uhr
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Aktualisiert: 22.03.2024 um 13:42 Uhr

Am Obergericht des Kantons Zürich hat der Staatsanwalt am Freitag erklärt, der Beschuldigte habe im November 2017 auf der A4 bei Andelfingen ZH eventualvorsätzlich einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht. Die erste Instanz hatte Fahrlässigkeit erkannt.

Das Bezirksgericht Andelfingen ZH hatte den heute knapp 26-jährigen Schweizer Tiago R.* im Juli 2021 der mehrfachen Gefährdung des Lebens, fahrlässigen Tötung, fahrlässigen schweren Körperverletzung sowie verschiedener Verkehrsdelikte schuldig gesprochen. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten.

Vor dem Obergericht sagte der Beschuldigte, mit der Berufung wolle er eine Strafreduktion erreichen. Er habe «schon genug Strafe erlitten», sei doch bei dem Unfall sein bester Kollege ums Leben gekommen. Das mache ihn zu schaffen.

Chauffeur Tiago R.* (23) crashte bei einem haarsträubenden Überholmanöver in einen Lastwagen, ein Mann auf dem Rücksitz kam beim Unfall ums Leben. (Archivbild)
Foto: Thomas Meier
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Ist Tiago R. «intellektuell eingeschränkt»?

Bei Detailfragen zum Unfallablauf machte er von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch. Dass er das Risiko eines schweren Unfalls in Kauf genommen habe, hatte er nie anerkannt.

Der Verteidiger schilderte seinen Mandanten, einen gelernten Lastwagenchauffeur, am Freitag vor Gericht als «intellektuell zu eingeschränkt», als dass er den Zusammenhang zwischen seinem Fahrmanöver und den möglichen Folgen hätte erkennen können.

Todesopfer auf der A4

Er habe die Gefahr nicht voraussehen können. Es liege deshalb unbewusste Fahrlässigkeit vor. Der junge Mann sei durch die Unfallfolgen «lebenslang bestraft», auf eine weitere Strafe sei deshalb zu verzichten.

Vom Vorwurf der Gefährdung des Lebens von allfälligen Personen auf dem Rastplatz sei er freizusprechen. Die Verkehrsdelikte seien mit einer bedingten Geldstrafe und einer Busse zu ahnden.

Laut Staatsanwalt kann von Fahrlässigkeit nicht gesprochen werden. Der Beschuldigte habe mit seinem «Wahnsinnsritt», mit dem er via einen Rastplatz einen Sattelschlepper auf der A4 überholen wollte, jegliches Verantwortungsbewusstsein vermissen lassen und eine «enorme Gleichgültigkeit» gegenüber seinen Mitmenschen an den Tag gelegt.

Er habe eventualvorsätzlich gehandelt: Zwar habe er das Ergebnis des Manövers – ein Todesopfer, mehrere teils schwer Verletzte – nicht gewünscht, aber in Kauf genommen. Angemessen sei eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Es möge sein, dass der Beschuldigte unterdurchschnittlich intelligent sei, sagte der Ankläger. Aber immerhin fahre er Auto, spiele Eishockey – was viele rasche Entscheide bedinge – und nehme am öffentliche Leben teil. Er leide gewiss am Verlust des Freundes und habe eine Schuld zu tragen. Dies rechtfertige aber bei weitem keine Strafbefreiung. 

Urteil weitergezogen

Am 4. November 2017 war der damals 19-Jährige gegen 5 Uhr morgens übermüdet und alkoholisiert mit seinem Auto vom Ausgang in Zürich zurück nach Schaffhausen unterwegs. Mit ihm im Auto sassen ein Freund und zwei junge Frauen.

Auf der A4 bei Humlikon ZH kam das Auto hinter einen Sattelschlepper zu fahren, der mit Tempo 80 unterwegs war. Reguläres Überholen war verboten, der ortskundige 19-jährige gelernte Lastwagenchauffeur wollte deshalb via einen Rastplatz vor den Laster kommen.

Beim Wiedereinbiegen in die A4 touchierte er aber dessen Heck, schlingerte auf die Gegenfahrbahn und kollidierte mit einem korrekt entgegenkommenden Auto. Dessen Lenker, der Beschuldigte selbst und eine Mitfahrerin wurden mittelschwer, der Freund des Lenkers tödlich verletzt. Die zweite Mitfahrerin erlitt schwere Verletzungen mit bleibenden Folgen.

Das Bezirksgericht Andelfingen ZH hatte den Mann im Juli 2021 wegen mehrfacher Gefährdung des Lebens, fahrlässiger Tötung, fahrlässiger schwerer Körperverletzung sowie verschiedener Verkehrsdelikte zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt. Beide Parteien zogen das Urteil jedoch weiter.

Tiago R. betrank sich im Ausgang

Der Vertreter der damals schwer verletzten Frau nannte das Verhalten des Lenkers am Freitag «planendes Handeln eines intellektuell limitierten Täters». Er sei aber doch nicht so eingeschränkt, dass er den Einfluss von Alkohol nicht gekannt hätte.

Der Beschuldigte habe eine ganze Reihe von Fehlentscheiden getroffen: Er fuhr mit dem Auto nach Zürich in den Ausgang, trank viel Alkohol und fuhr gegen Morgen mit weiteren Personen zurück. Alle Entscheide hätte er korrigieren können, so der Anwalt. Er tat es nicht, und am Ende führte dies zur Tragödie. Das Urteil wird voraussichtlich kommende Woche schriftlich eröffnet. (SDA)

* Name geändert

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