Foto: Nathalie Taiana

Henri Cammiade (31) verspielte an einem Abend 1,5 Mio im Casino Zürich
«Wenn ich mich an den Tisch setze, gibt es Krieg»

Henri Cammiade (31) verspielt 1,5 Millionen Franken – und fordert 1 Million vom Casino zurück. Warum? Der Brite packt im BLICK über seine glitzernde Welt von Jetons, Glücksspiel und Roulette aus.
Publiziert: 14.10.2020 um 22:46 Uhr
|
Aktualisiert: 15.10.2020 um 13:35 Uhr
Henri Cammiade (31) verspielte 1,5 Millionen Franken im Casino Zürich.
Foto: Nathalie Taiana
1/13
Roman Neumann

Wer am Roulettetisch 100 Franken auf Rot setzt, spürt ein leichtes Kribbeln. Henri Cammiade (31) setzt 10’000 Franken auf Schwarz – und spürt nichts. «Wenn ich spiele, bin ich emotionslos», sagt er.

Cammiade ist ein Profi, ein sogenannter Highroller. Er verzockt oder gewinnt Zehntausende von Franken in wenigen Minuten. «Ich bin nicht nervös, ich zeige keine Freude, ich zeige keinen Ärger», sagt er BLICK.

Er will 1 Million Franken zurück

Jetzt ärgert er sich trotzdem. Es geht um 1,5 Millionen Franken. Cammiade hat sie in einer Nacht im Casino Zürich verloren, wie die «NZZ am Sonntag» berichtete. Und er beschuldigt das Casino, ihn nicht daran gehindert zu haben – Spielerschutz sei ihre Pflicht. Es stehe gar im Gesetz! Er fordert 1 Million zurück. Das Casino widerspricht: Cammiade habe mit zuvor gewonnenem Geld gespielt, habe gar noch 200'000 Franken Gewinn gemacht.

BLICK trifft Cammiade in Zürich im Seefeld, es ist ein kalter Montag, der Engländer ist aufgebracht. Einen schlechten Verlierer habe man ihn in den Kommentarspalten der Medien genannt, ausgerechnet ihn – «Bullshit!» Und ein «Rich Kid» aus London sei er, ein verwöhnter Jüngling. Er zischt: «I’m a self-made man!» Alles selbst erarbeitet.

Cammiade ist ein Mann, der analytisch denkt, Zahlen liegen ihm, komplexe Zusammenhänge schlüsselt er in Kürze auf. Seine Sprache ist präzis, er füllt Pausen nie mit «Ähs». Sein Geld hat der Schlaks in London verdient, er investierte, entwickelte Apps, irgendwann lagen Millionen auf seinem Konto.

Bei 500'000 Franken Gewinn ist Schluss

Highroller sind beliebte Gäste. Sie gewinnen hoch – fallen genauso tief. Sie müssen ihre Vermögensverhältnisse offenlegen, bevor sie über die Limiten der gewöhnlichen Gäste setzen können. Danach stehen ihnen die Türen offen. Cammiade sagt, in Liechtenstein nächtige er auf Kosten des Casinos im Fünfsternehotel, in Zürich habe man ihm schon Nachtessen oder Limousinen bezahlt – sogar einen Flug nach Südkorea. Ein Sprecher dementiert den Flug, spricht aber von Annehmlichkeiten für Stammgäste.

Cammiade zahlt es zurück, indem er immer wieder zurückkommt. Über 30-mal spielte er im Jahr 2019 in Zürich. Er kündigt seinen Besuch an, wird persönlich empfangen, setzt sich an seinen Privattisch, erhält Chips von seinem persönlichen Jetonkonto («Ich hatte darauf bis zu 4 Millionen»).

Doch die fragile Beziehung zwischen Gast und Casino hat Grenzen: Gewinnt der Gast an einem Abend mehr als 500’000 Franken, muss er aufhören. Sofort. Cammiade hat es selbst erlebt. «Sie beobachten dich, rechnen aus, was du mit dem nächsten Einsatz gewinnen könntest. Dann heisst es plötzlich, das Spiel sei vorbei.»

Auf diese Zahl setzt er nie

Und wie verzockt man 1,5 Millionen Franken in einer Nacht? Cammiade beginnt mit einem banalen Satz: «Manchmal gewinnst du, manchmal verlierst du.» Hinter der Banalität versteckt sich eine goldene Regel: Jage nie deinen Verlusten nach. Es ist der Moment, in dem Familienväter ihre Ersparnisse aufbrauchen, die Rücklagen für die Kinder plündern – nur noch ein Spiel, ein einziger Gewinn, ein rettender Strohhalm, dann geht es wieder aufwärts. Diese Panikreaktion geht selten gut aus.

Ein Profi weiss das. Cammiade kann verlieren. Er gerät nicht in Panik, er spielt nach seinen eigenen Regeln. Er will das Casino besiegen, es ist für ihn eine Herausforderung: «Wenn ich mich an den Tisch setze, gibt es Krieg.»

Natürlich hat auch ein Profi Marotten. Im Roulette setzt er nie auf die schwarze 6. Er hasst die Zahl. Zu viele schlechte Erfahrungen. Er setzt dafür Tausende Franken auf die schwarze 29, einige Kolonnen, andere Spielfelder – bis 100’000 Franken auf dem Tisch liegen.

Für andere ist es ein Jahreslohn, für ihn nur eine Wette.

«Ich setzte acht Mal hintereinander 100'000 Franken»

Cammiade spielt seit zwölf Jahren, mittlerweile verdient er sich so seinen Lebensunterhalt. Spielsüchtig sei er nicht, sagt er. Er möge das Ambiente, die Teppiche, das Klicken der Chips, die gedämpften Stimmen. Vom gewonnenen Geld kauft er sich nichts. Keine Luxusautos, keine Uhren.
Er investiert lieber.

«Die Leute behaupten jetzt, dass ich nicht verlieren könne. Im Januar habe ich 900’000 Franken verloren und nicht darüber gesprochen.» Damals geriet er in einen Rausch, durchs Spiel, aber auch durch Alkohol. Er setzte und setzte, war längst nicht mehr Herr seiner Sinne, holte neues Geld – und verlor. «Dem Casino mache ich keinen Vorwurf», sagt er. «Sie hatten mich gewarnt, aber ich wollte weiterspielen.»

Danach war er diszipliniert, blieb nüchtern, nur noch Wasser am Tisch, hielt sich an seine Regeln. Bis zu jenem fatalen Dienstag im August. Cammiade setzt sich an den Roulette-Tisch. Und alles geht schief. «An diesem Abend war ich laut, fluchte, war ausser mir.» Er, der sonst Emotionslose, ist ausser Kontrolle. Als er schon Hunderttausende verloren hat, setzt er acht Mal hintereinander 100’000 Franken – und verliert.

Swiss Casino hat ihn gesperrt

Und warum sollte ihn das Casino davon abhalten? Darüber streiten sich nun die Anwälte. Laut Cammiade habe er den Verantwortlichen gesagt, seine persönliche Limite sei 500’000 Franken. Man solle ihn am Weiterspielen hindern. Das Casino will davon nichts wissen. Man hätte eingegriffen, wenn er um seine Existenz gespielt hätte. Aber Cammiade habe mit bereits gewonnenem Geld aus seinem Jetonkonto gespielt, prall gefüllt mit 1,7 Millionen. Ein Sprecher: «Seine Existenz war zu keinem Zeitpunkt gefährdet.» Er sei am Schluss gar noch mit 200'000 Franken im Plus gewesen.

Der Brite schwört, dass er gesagt habe: «Bitte bringt mir keine Chips mehr!» Er verlangt die Herausgabe der Audioaufnahmen am Tisch. Diese Aufnahmen gibt es, bestätigt das Casino dem BLICK, die könnten aus Datenschutzgründen aber nicht veröffentlicht werden. Cammiade: «Ich war alleine, da gibts niemanden zu schützen.»

Mittlerweile ist Cammiade von Swiss Casinos gesperrt. Warum? Geld hat er genug. Ein Sprecher sagt, er selbst habe die Sperre gewollt. Der Brite widerspricht auch da, verlangt nach Gründen für seine Sperre. Seit einem Jahr streiten sich die Parteien. Der Ausgang ist offen.

Herr Cammiade, macht es Ihnen eigentlich noch Spass zu spielen? Er überlegt kurz, lächelt. «Nun ja, mittlerweile ist es mein Job. Einer, der mir gefällt.»


Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?