Eklat statt Ecstasy
Erbitterter Revierkampf überschattet die Street Parade

Street-Parade-Chef Joel Meier lobbyierte gegen einen Anlass im Zürcher HB und drohte sogar mit Übungsabbruch – wegen der Sicherheit, sagt er. Wegen des Getränkeumsatzes, sagen seine Gegner. Die wollen ihre Niederlage anfechten.
Publiziert: 26.06.2022 um 10:35 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2023 um 11:30 Uhr
Reza Rafi

Am 13. August endet für viele Raver eine Durststrecke. Dann werden sich nach zweijähriger Stille wieder Hunderttausende an der Zürcher Street Parade dem wummernden Viervierteltakt hingeben.

Offiziell nennt sich der grösste Anlass der Schweiz – bisheriger Besucherrekord: 1,1 Millionen im Jahr 2018 – «Tanzdemonstration für Liebe, Frieden, Freiheit und Toleranz».
Doch im Gegensatz zur Euphorie der Techno-Fans herrscht hinter den Kulissen dicke Luft. Es tobt ein Revierkampf zwischen Veranstaltern, der bezeichnend ist für die Entwicklung vom unbeschwerten Happening in den Neunzigern zum kommerziellen Popanz.

Zankapfel ist die Halle des Zürcher Hauptbahnhofs, der grösste überdachte Raum des Landes. Im Sommer 2021 traf bei den SBB, der Eigentümerin der Lokalität, ein Gesuch ein. Der Zürcher Event-Profi Thomas Bischofberger (52) und seine Firma Glamourama S. à. r. l. hatten mit einem weiteren Geschäftspartner Interesse für eine Veranstaltung bekundet.
Der «Parade Market» sollte gemäss Antrag ein «niederschwelliges Unterhaltungsangebot» für das eintreffende und abreisende Partyvolk bieten. Zum Konzept gehören eine «Styling Lounge», Verpflegungs- und Getränkestände, «Influencer Stages» – man geht mit der Zeit – sowie, natürlich, eine Bühne für DJs und Shows. Nicht mehr als 2000 Personen dürften gleichzeitig vor Ort sein, der Eintritt wäre gratis.

Am 13. August soll Zürich wieder so aussehen: Aufnahme von der Street Parade 2018.
Foto: Keystone
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Bischofberger ist in der Szene ein alter Hase. Gemeinsam mit «Techno-Papst» Arnold Meyer (54) und Event-Pionier Hans-Jürg «Schoscho» Rufener (58) führte er in den Tagen des unbekümmerten Hedonismus die Energy Raves im Hallenstadion durch. Man stand mit der Street Parade in einem symbiotischen Verhältnis: ohne Parade keine Energy, ohne Energy keine Parade.

Phasenweise übertrumpfte die Fete in Oerlikon gemessen an Besuchern den Umzug, zeitweilig soll die Energy gar die Parade finanziert haben.

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Hallenstadion schon besetzt

Dass Bischofberger und seine Compagnons nun den HB anvisieren, hat einen nüchternen Grund: Im August wird im Hallenstadion das Eisfeld abgetragen, weil der Hockeyklub ZSC zu seiner neuen Bleibe zieht, der Swiss Life Arena in Altstetten.

Von den angefragten Stellen kamen positive Signale – die SBB-Immobilienabteilung gab nach Prüfung durch Transport- und Feuerpolizei grünes Licht. Am 23. März traf der vom Bahnunternehmen signierte Vertrag bei Glamourama ein.

Auch die Kantonspolizei Zürich zeigte sich offen. Man sei mit einem Zusatzaufgebot «gut aufgestellt» und sollte «dieser Aufgabe gewachsen sein», vorausgesetzt, die Organisatoren könnten ein einwandfreies Crowd Management garantieren, also die sichere Steuerung der Menschenmassen, wie ein Kapo-Vertreter an einer Konferenz am 22. März sagte. Das Protokoll liegt SonntagsBlick vor.

Am 13. Mai wurde das Gesuch bei der Stadtpolizei Zürich eingereicht. Das Amt für Baubewilligung gab sein Plazet («keine Einwände zur geplanten Veranstaltung»), und am 19. Mai hiess es in einem internen Mail der Behörden: «Aus Sicht des Polizeipostens Hauptbahnhof der Kantonspolizei Zürich ist der Anlass durchführbar.»

Dann kippte plötzlich die Stimmung. Die Stapo schickte den Antrag in die Vernehmlassung bei den betroffenen Ämtern. Die polizeiliche Fachstelle Crowd Management – sie ist nicht für das Privatareal im HB zuständig – riet allen Seiten «unbedingt» vor der Durchführung ab. «Was geschieht, wenn ein Unwetter über die Stadt Zürich zieht?», fragte der Leiter in einem E-Mail. Er befürchtete offenbar, dass die Horden in einem solchen Fall ins Trockene fliehen.

Angst vor echtem Rave

Zudem wurde der Verdacht gestreut, dass die Organisatoren unter falschem Etikett einen klassischen Rave nach dem Muster der einstigen «Mainstation»-Partys anstrebten, den man im Hauptbahnhof nicht mehr will.

Das Resultat: Die Beamten schwenkten um. Am 1. Juni schmetterte das Büro für Veranstaltungen der Stapo Zürich das Gesuch ab.

Wie kam es zu diesem Gesinnungswandel? Eine Schlüsselrolle spielt Joel Meier (49), der umtriebige Präsident des Vereins Street Parade. In der coronabedingten Partypause organisierte er Impfzentren für den Kanton Zürich.

Vor ihrem Entscheid zum August-Anlass hörten die Behörden auch Meier an. Bei dieser Gelegenheit lobbyierte er eifrig gegen die Pläne im HB. Und drohte sogar damit, das Ganze abzublasen, falls die Stadt den «Parade Market» bewilligen sollte.

Auf Anfrage sagt Meier: «Wir führten im Rahmen der Vernehmlassung ein Gespräch mit diversen Behördenvertretern. Dort habe ich meine Sicherheitsbedenken deponiert.» Das Risiko, dass das Publikum bei einem Hagelsturm in die bereits volle Bahnhofshalle drängt, sei ihm zu gross. Er bürge schliesslich persönlich für eine sichere Durchführung der Street Parade.

Auf das Hickhack angesprochen, redet Meier von einem «Missverständnis»: Die SBB wären sich zunächst einfach nicht bewusst gewesen, dass der Anlass zeitgleich mit dem Techno-Ereignis stattfinde.

So plausibel seine Ausführungen tönen – wie ist es möglich, dass die Sicherheitseinschätzungen erfahrener Fachleute derart auseinanderklaffen?

Im Umfeld von Meiers Gegnern kursiert eine Theorie: Es gehe ums Geld.

Organisatoren kontrollieren Getränkehandel

Tatsächlich ist Meier neu mit 35 Prozent an der Firma Rock-it Event GmbH beteiligt, die laut Eigenangabe bislang den «exklusiven Betrieb aller Getränkestände und Bars» an der Parade managte – kein schlechter Deal an einem Anlass, an dem bis zu einer Million Leute erwartet werden. Weil es Rock-it aber an Personal fehlt, springt dieses Jahr der Verein Street Parade ein; die Organisatoren werden damit also gleichzeitig Getränkehändler.

Würde da eine Konkurrenz, die Besucher schon bei der Ankunft mit Flüssigem versorgt, nicht bloss stören? Beteiligte berichten, dass Meier gegenüber Bahn- und Behördenvertretern die drohenden Umsatzeinbussen erwähnt habe.

Meier streitet dies ab – und relativiert: «Wir verkaufen eines von zehn Getränken an der Street Parade, die restlichen neun vertreiben Gastronomie und Einzelhandel der Stadt.» Überdies hätte man damals auch die «Mainstation»-Party bestens verkraftet.

Mit dem amtlichen Njet ist die Sache indes nicht vorbei: Die Gesuchsteller wollen den Entscheid anfechten, wie Bischofbergers Anwalt gegenüber SonntagsBlick bestätigt. Der Ball liegt nun beim Stadtrat.

Derweil wartet man auf das diesjährige Motto der Parade. Das letzte lautete «Colours of Unity», «Farben der Einheit».

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