Das sagen die Bülacher zum geplanten Atomendlager
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Probebohrungen haben begonnen:Das sagen die Bülacher zum geplanten Atomendlager

Das sagen die Bewohner zum möglichen Endlager in Bülach ZH
«So tief kann der Atommüll keinen Schaden anrichten»

In Bülach ZH wird vielleicht ein Tiefenlager für Atommüll gebaut. Probebohrungen, die zeigen sollen, ob das Land geeignet ist, haben bereits begonnen. BLICK fragte Bülacher, was sie vom Projekt halten.
Publiziert: 15.04.2019 um 23:04 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2019 um 11:23 Uhr
Rachel Hämmerli

Die Schweiz ist auf der Suche nach einem Tiefenlager für ihren Atommüll. In Bülach ZH haben am 15. April die Probebohrungen dafür begonnen. BLICK hat die Bülacher nach ihrer Meinung zu einem möglichen Tiefenlager gefragt. Die einen fürchten um ihre Sicherheit, andere fordern eine Steuersenkung. Doch nicht alle sind gegen ein mögliches Tiefenlager. Der 74-jährige Kurt Suter hat sogar sein Grundstück für die Bohrungen verpachtet und findet ein Tiefenlager eine sichere Lösung.

Kurt Suter (74) aus Tegerfelden AG verpachtet sein Grundstück der Nagra

Der Grund und Boden von Kurt Suter (74) wird vielleicht zum Tiefenlager für strahlende Atomabfälle. Auf seinem Land in Bülach beginnen die Probebohrungen für das mögliche Tiefenlager. Ihm gehört das Areal Herrenwis mit Acker und Fabrikhallen. Dort produzierte er von 1992 bis 2005 unter dem Namen SW Blasting AG Sprengstoffe für Tunnelbau und Steinabbau. Nachdem er sein achtköpfiges Unternehmen aufgab, verpachtete er die leeren Fabrikräume an Künstler, den Acker an einen Landwirt.

«Grundsätzlich habe ich nichts gegen ein Endlager auf meinem Land», sagt der Pensionierte aus Tegerfelden AG. Es sei ja noch Zukunftsmusik. Vorerst werde durch die Probebohrungen geprüft, ob sein Land überhaupt geeignet sei als Endlager. Diese Begutachtung übernimmt die Nagra. Dafür verpachtet Suter seinen Acker. «Der Pachtpreis ist keine horrende Summe», sagt Kurt Suter. Die Nagra zahle ungefähr gleich viel wie der vorherige Pächter. Ein Landwirt, der den Acker zur Landwirtschaft nutzte.
Suter hat keine Bedenken: «Das Land wird nach den Bohrungen wieder in den Urzustand versetzt», sagt Suter. Nach zirka zwei Jahren werden die Bohrmaschinen wieder abziehen, danach sei auf dem Acker nur noch ein Kanaldeckel zu sehen. Er vertraue der Nagra. Zudem könne er als Fachmann die Lage einschätzen. In den Sechzigerjahren beendete Kurt Suter eine Ausbildung in Strahlenschutz. Früher sei die Praxis gewesen, dass atomare Abfälle in Beton gegossen im Meer versenkt wurden. Da sei ein Tiefenlager eine sicherere Lösung. «So tief kann der Atommüll keinen Schaden anrichten», sagt der 74-Jährige.

Kurt Suter (74) besitzt das Land, auf dem die Probebohrungen stattfinden. «Grundsätzlich habe ich nichts gegen ein Endlager auf meinem Land», meint der pensionierte Suter.
Foto: Siggi Bucher siggibucher.com
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Kaj Afolter (23), Studentin

«Wo auch immer das Endlager stehen wird, ich stehe ihm zwiegespalten gegenüber. Ich weiss, irgendwo muss das Material hin. Doch mir ist nicht wohl dabei, den ganzen Müll in ein Tiefenlager zu kippen, den Deckel zu schliessen und das Thema für erledigt zu erklären. Ist damit die Gefahr gebannt? Wir müssen doch die Möglichkeit haben, den Atommüll zurückzuholen. Er ist lebensgefährlich, und ich finde es fahrlässig, wenn wir ihn aus den Augen verlieren. Ich werde nicht gegen ein Endlager in Bülach protestieren. Doch der Sinn oder Unsinn eines Endlagers wird die Menschen bewegen und noch in Bewegung bringen. Die Bohrungen sind noch kein Thema unter meinen Altersgenossen. Weder im Bülacher Fussballverein noch an der Uni haben wir je darüber gesprochen. Auch am Familientisch nicht. Wahrscheinlich weils noch Zukunftsmusik ist. Wird es Realität, verlasse ich mein Zuhause deswegen nicht. Ein Endlager betrifft jede Ecke in der Schweiz.»

Ueli Gantner (68), Bildhauer

«Vis-à-vis vom Bohrturm steht mein Atelier. Schaue ich aus dem Fenster, kann ich die Bohrarbeiten beobachten. Der Lärm der Probebohrungen stört mich nicht – ich bin ja selbst laut. Ein mögliches Endlager in meiner direkten Umgebung auch nicht. Ich habe den Atommüll mitproduziert, und irgendwo muss er hin. Wenn die Spezialisten finden, vor meinem Atelier sei der beste Standort, ist das so. Und wenn der Bund den rechten Preis zahlt – etwa Steuerfreiheit für Bülacher, dann sollen sie das Zeug nach Bülach bringen. Ich mache mir keine Sorgen, durch ein nahes Endlager verstrahlt zu werden. Eher über die noch aktiven AKW. Ich habe noch in Erinnerung, wie in den Sechzigern ein Reaktor in Lucens in der Waadt hopsgegangen ist. Dieser Unfall geriet schnell in Vergessenheit. Jetzt dürfen wir nicht vergessen, wie gefährlich die Atomkraft ist, und müssen aufhören, sie zu erzeugen.»


Hans-Peter Schafflützel (54), Fotograf

«Mit Sicherheit freut sich kein Bülacher über ein nahes Endlager – ich auch nicht. Nicht aus Angst, verstrahlt zu werden. Ganz geheuer wäre mir der Atommüll in meiner Nähe zwar nicht, doch die Geologen haben sicher kein Interesse daran, den Boden zu verseuchen. Ich erkenne Bülachs Verantwortung für ein Endlager einfach nicht. Wir sind schon genug vom Flug- und Strassenverkehr belastet und haben dadurch unsere nationale Pflicht getan. Warum baut man diese Endlager nicht in Berggebieten, zum Beispiel am Gotthard? Dort ist die Bevölkerungsdichte kleiner, und die Region könnte finanziell von diesem Grossprojekt profitieren. Der Bund nimmt ganz einfach den Weg des geringsten Widerstands. In Bülach ist der finanzielle Aufwand geringer als in Berggebieten. Weil Geld die Standortwahl bestimmt, bin ich gegen ein Endlager in Bülach.»

Johanna Wirth Calvo (57), Sekundarlehrerin

«Die Tragödie Tschernobyl machte mich zur Grünen. Ich misstraue der Atomkraft und bin gegen ein Endlager für alle Ewigkeit. Weder in Bülach noch sonst wo. Als Kunsthistorikerin weiss ich: Genauso wenig wie die Baumaterialien der ersten Städte vor tausend Jahren halten die modernen Baumaterialien für die Endlager der Ewigkeit stand. Die Nagra schwört auf ein innovatives Beton-Glas-Gemisch. Jahrtausende soll es überdauern – unmöglich! Die Generationen nach uns müssen dann beten, dass es auch verhebt. Treu dem Optimismus derjenigen, die AKW bauten, ohne sich zu fragen: Wohin eigentlich mit dem Atommüll? Nach uns die Sintflut – dabei brauchen wir endlich eine Geschichte der gemeinsamen Verantwortung für alle Generationen. Statt alles im Endlager zu versenken, das Loch zu verschweissen und sich nach getaner Arbeit die Hände zu reiben, plädiere ich für ein dauerhaftes Zwischenlager. Damit für kommende Generationen offensteht, zeitgemässe Lösungen für den Atommüll zu finden.»

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