«Angst ist wie ein Geschmacksverstärker»
Experte erklärt den Hypnose-Raub von Zürich

Eine raffinierte Gaunerin hat einen kleinen Laden in Zürich um 750 Franken erleichtert. Das Besondere daran: Die Verkäuferin händigte die Summe wie benommen aus, obwohl sie nicht bedroht wurde. Wie ist das möglich?
Publiziert: 24.05.2016 um 17:52 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 04:37 Uhr
Georg Nopper

Lara Hauser (25) ist am Samstag allein in ihrem Taschenladen im Zürcher Kreis 4, als sie mit einer Art Hypnose willenlos gemacht wird. Eine vermeintliche Kundin lässt sich den Weg zu einem Esoterikshop erklären, macht ihr Komplimente und liest aus den Händen der Verkäuferin. Schliesslich will die Frau bei ihrem Opfer eine Blockade in der Brust und Gift im Bauch festgestellt haben und dreht Hauser eine sogenannte Haschkawurzel aus Lourdes an. Die Verkäuferin gibt dafür 750 Franken her – alles Geld, das sie gerade finden kann.

Wie ist es möglich, jemanden so zu übertölpeln? BLICK sprach mit dem Berner Hypnose-Experten und Präsidenten des Verbandes Schweizer Hypnosetherapeuten (VSH), Gabriel Palacios (26), über die aussergewöhnliche Klau-Attacke. «Hypnose kann man auf verschiedene Weisen erklären. Neurowissenschaftlich durch veränderte Hirnströmung und beispielsweise durch verminderte Aktivität des Thalamus, dem Kontrollzentrum des Gehirns.»

Psychologisch sei das Phänomen durch das verminderte kritische Denken zu erklären. «Wir wissen, dass eine Person, die sich in hypnotischer Trance befindet, weniger hinterfragt und die Suggestionen, die vermittelt werden, annimmt.» Im Rahmen hypnotischer Prozesse würden Vorstellungen und Gefühle herbeigeführt, aus denen das Gegenüber Willen, Glaube und Vertrauen schöpft.

Hypnose-Experte Gabriel Palacios (26): «Wer hypnotisiert wird, der will glauben, was man ihm sagt.»
Foto: ZVG
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Wie bei Diktatoren und Sektenführern

Die Weltgeschichte zeige, dass hypnotische Prozesse nicht immer nur mit geschlossenen Augen stattfinden. So hätten beispielsweise auch schon Sektenführer und Diktatoren mit ihrer Propaganda derart Angst geschürt, um bestimmte Lösungen herbeizuführen. Palacios: «Angst ist wie ein Geschmacksverstärker – wie Zucker und Fett: Sie schürt Aufmerksamkeit, um den Willen, den Glauben und das Vertrauen zu entwickeln, diese Angst zu lösen, sie zu umgehen.» 

Leere Kasse: Lara Hauser (25, Mitte) mit ihren Geschäftspartnerinnen Janine (23, links) und Vera Cathrein (26).
Foto: Siggi Bucher

Die Einstiegsfrage nach dem nächsten Esoterikladen habe die Betrügerin möglicherweise gestellt, um herauszufinden, ob die Verkäuferin für die Hypnose empfänglich war. «Wenn die Betrügerin auf eine sensible, vielleicht sogar spirituell denkende Person zugeht, ihr scheinbar in die Seele blicken kann und diese Fähigkeit beweist, indem sie ihr eine Angst oder Blockade aufzeigt, mit der sie schon lange zu kämpfen hat, so entwickelt diese Person den Willen, aufgezeigt zu bekommen, wie sie diese Angst umgehen kann.»

«Plötzlich so, als würde man sich schon lange kennen»

So entstehe der Glaube und das Vertrauen in die Worte der Fremden, erklärt der Hypnose-Experte. «Die Frau wirkt plötzlich so, als würde man sie schon lange kennen.» Der Glaube an ihre «Lösung» könne so weit gehen, dass letztendlich sogar viel Geld ausgehändigt wird – egal, ob es eine exotische Wurzel sei, die die Angst angeblich lösen könne, oder sonst etwas. Palacios: «Wer hypnotisiert wird, der will glauben, was man ihm sagt. Er lässt die Vorstellungen wahr werden, die suggeriert werden.»

Die hypnotische Kraft unseres Unterbewusstseins könne man ebenso in positiver, therapeutischer Richtung nutzen, betont Palacios. «Doch der Wille und der Glaube der Verkäuferin scheinen über das Aufzeigen ihrer Ängste und Blockaden derart gross gemacht worden zu sein, dass sie plötzlich nicht mehr kritisch hinterfragte, und nur noch eine Frage zählte: ‹Wie werde ich meine Angst endlich los?›»

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