Alim F. tötete seine Ehefrau trotz Kontaktverbot brutal in ihrem Badezimmer
Dieser Femizid geschah mit Ansage

Es gab alle möglichen Warnzeichen. Trotzdem erstach Alim F.* (40) seine Noch-Ehefrau Esma im August 2019 in Dietikon ZH. Am Mittwoch wird der Fall erstmals vor Gericht verhandelt.
Publiziert: 22.03.2022 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 22.03.2022 um 08:35 Uhr
Michael Sahli und Nicolas Lurati

Es war ein Femizid mit Ankündigung: Immer wieder sticht Alim F.* (40) am 26. August 2019 mit einem Messer auf seine Noch-Ehefrau Esma* (†34) ein, lässt sie im Badezimmer sterben. Schon in der Vergangenheit hat der Nordmazedonier die Mutter seiner vier Kinder geschlagen und später, als sie sich trennte, auch gestalkt. Viele im Umfeld der beiden wussten von der Gewalt-Ehe, wie Kollegen später sagen sollten. Die Polizei rückte immer wieder aus, Gerichte verhängten Kontaktverbote, und sogar eine spezielle Gewaltschutz-Abteilung der Kantonspolizei Zürich war involviert. Nichts davon konnte das Leben von Esma F. retten. Am Mittwoch wird ihr Tod vor Bezirksgericht Dietikon ZH verhandelt.

Für die Angehörigen von Esma F. ist seit der Tat kein Tag mehr unbeschwert. Das sagt ein Familienmitglied, das aus Schutz der Identität der Opferfamilie anonym bleibt, zu Blick: «Manche in der Familie können sich bei der Arbeit ablenken. Andere machen sich Vorwürfe: Hätte ich sie schützen können?» Besonders betroffen sind die vier Kinder des Ehepaars – das älteste erreicht bald die Volljährigkeit: «Sie haben natürlich mitbekommen, dass ihr Vater ihre Mutter getötet hat.» Alle seien traumatisiert: «Sie werden ihr ganzes Leben lang mit dieser Tat zu kämpfen haben.»

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Wie hätte man die Tat verhindern können?

Die Familie von Esma F. fühlt sich von den Behörden im Stich gelassen. «Es war ein Behördenversagen. Wir haben vor der Tat Anzeige gegen ihn erstattet, wurden aber nicht richtig ernst genommen. Wenn er das Kontaktverbot ignorierte, hatte das keine Konsequenzen.»

Steht am Mittwoch wegen Mordes an seiner Ehefrau vor Gericht: Der Nordmazedonier Alim F.
Foto: Zvg
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Der brutale Tod von Esma F. löste eine Debatte über schlechten Opferschutz und Echtzeit-Überwachung von Tätern aus. Grüne-Nationalrätin Sibel Arslan (41) sagte zu Blick: «Warum es eine Echtzeitüberwachung braucht, zeigt der Tod von Esma F. Alles, was wir jetzt tun können, ist, den Täter zu bestrafen. Doch wir hätten den Mord verhindern müssen.» Ein Teil der Forderung wurde per 2022 erfüllt. Stalker können in der Schweiz per Fussfessel überwacht werden, allerdings nicht in Echtzeit.

Die Anklageschrift zeigt die Skrupellosigkeit von Alim F. Am Tattag taucht er erneut am Wohnort seiner Noch-Ehefrau in Dietikon ZH auf. Er denkt, sie hat eine Beziehung mit einem anderen.

Als sie die Tür einen Spalt weit öffnet, drückt er sich in die Wohnung. Er schlägt seinem Opfer mehrmals mit der Faust gegen den Kopf. Durch die Wucht wird die Vierfach-Mama ins Bad geschleudert. Dort sticht der Angeklagte mit einem Küchenmesser mindestens fünf Mal auf die bereits regungslose Frau ein. Besonders tragisch: Der fünf Jahre alte Sohn wird Augenzeuge der Bluttat. Und wird danach von seinem Vater auf halsbrecherische Flucht in die Ostschweiz genommen.

Keine Entschuldigung, keine Reue

In der Anklage finden sich neben dem Mord auch andere Vorwürfe: Unter anderem Misswirtschaft und zahlreiche Verkehrsdelikte. Darunter Fahren unter Kokaineinfluss. Und haarsträubende Manöver mit dem fünfjährigen Sohn: Mehrfach soll der Vater den Buben auf den Schoss genommen und ihm das Lenkrad des Fahrzeugs überlassen haben. Bei gegen 180 km/h gibt er dem Kind Wochen vor der Bluttat auf der A1 die Kontrolle über das Steuer «vollständig», hebt beide Arme demonstrativ in die Höhe.

Die Opferfamilie erhofft sich von der Gerichtsverhandlung einen Schuldspruch mit lebenslanger Haftstrafe. «Vom Täter erwarten wir nichts», so das Familienmitglied. «Bisher gab es von ihm keine Entschuldigung, kein Zeichen der Reue.» Und nichts, was der Täter vor Gericht sagen könnte, würde das Leben von Esma F. wieder zurückbringen.

* Namen geändert

Acht Stufen bis zum Femizid

Frauentötungen wie jene an Albina V. (†32) in Rapperswil SG oder der Versuch an Loredana Galeoto (50) werfen die Frage auf, ob man die Tat hätte verhindern können. Für die britische Kriminologin Jane Monckton Smith von der Universität Gloucestershire ist die Antwort klar: Ja!

Sie hat bei 372 Femiziden die Vorgeschichte untersucht und herausgefunden: Es sind keine spontanen Taten. Femizide seien vielmehr vorhersehbar und es gäbe Möglichkeiten, um rechtzeitig einzuschreiten.

Kontrollsucht zeichne die Täter aus. Sie würden teils innert Stunden, teils über Jahre, das folgende Stufenmodell von Monckton Smith durchlaufen:

1. Viele Täter fallen schon in früheren Beziehungen durch Kontrolle, Stalking und Gewalt auf.

2. Gleich am Anfang der Beziehung fordern die Täter von ihrer neuen Partnerin ein hohes Commitment. Sie machen schnell Liebeserklärungen und sagen Besitzergreifendes wie «Du bist mir» oder «Wir werden für immer zusammen sein».

3. In allen untersuchten Beziehungen gab es Risikofaktoren. Gewalt, Stalking, Überwachung, Einschränkung der Kontakte oder die Männer glauben ständig, ihre Partnerin sei untreu. Alkoholsucht und Arbeitslosigkeit verstärken alles. Viele Frauen passen ihren Alltag an. Das kann jahrelang so bleiben.

4. Dann braucht es einen Trigger: Die Frau trennt sich oder zieht sich zurück. Täter geben dies später als Grund für die Tötung an, egal, ob die Trennung angedroht, eingebildet oder real war.

5. Es folgt die Eskalation: Die Täter weinen, betteln, drohen und stalken, um die Kontrolle über die Frau wiederherzustellen.

6. Zum Sinneswandel kommt es, wenn der Mann glaubt, dass er die Kontrolle über die Frau für immer verloren hat. Der Täter trifft nun eine überlegte Entscheidung, dass er töten will.

7. Im Nachhinein werden bei vielen Taten Indizien für eine intensive Planung gefunden. Der Täter googelt Tötungsmethoden und schafft Gelegenheiten, um das Opfer zu treffen.

8. Zur Tat kommt es häufig am Wohn- oder Arbeitsort des Opfers, seltener in der Öffentlichkeit. Manche töten auch die Kinder oder sich selbst. Manche gestehen die Tat sofort, andere verschleiern die Tat.

Loredana Galeoto (50) aus Laufen BL hat einen versuchten Femizid durch ihren Ex-Mann überlebt. Der Täter hat alle Stufen des Modells der britischen Kriminologin Jane Monckton Smith durchlaufen.

Frauentötungen wie jene an Albina V. (†32) in Rapperswil SG oder der Versuch an Loredana Galeoto (50) werfen die Frage auf, ob man die Tat hätte verhindern können. Für die britische Kriminologin Jane Monckton Smith von der Universität Gloucestershire ist die Antwort klar: Ja!

Sie hat bei 372 Femiziden die Vorgeschichte untersucht und herausgefunden: Es sind keine spontanen Taten. Femizide seien vielmehr vorhersehbar und es gäbe Möglichkeiten, um rechtzeitig einzuschreiten.

Kontrollsucht zeichne die Täter aus. Sie würden teils innert Stunden, teils über Jahre, das folgende Stufenmodell von Monckton Smith durchlaufen:

1. Viele Täter fallen schon in früheren Beziehungen durch Kontrolle, Stalking und Gewalt auf.

2. Gleich am Anfang der Beziehung fordern die Täter von ihrer neuen Partnerin ein hohes Commitment. Sie machen schnell Liebeserklärungen und sagen Besitzergreifendes wie «Du bist mir» oder «Wir werden für immer zusammen sein».

3. In allen untersuchten Beziehungen gab es Risikofaktoren. Gewalt, Stalking, Überwachung, Einschränkung der Kontakte oder die Männer glauben ständig, ihre Partnerin sei untreu. Alkoholsucht und Arbeitslosigkeit verstärken alles. Viele Frauen passen ihren Alltag an. Das kann jahrelang so bleiben.

4. Dann braucht es einen Trigger: Die Frau trennt sich oder zieht sich zurück. Täter geben dies später als Grund für die Tötung an, egal, ob die Trennung angedroht, eingebildet oder real war.

5. Es folgt die Eskalation: Die Täter weinen, betteln, drohen und stalken, um die Kontrolle über die Frau wiederherzustellen.

6. Zum Sinneswandel kommt es, wenn der Mann glaubt, dass er die Kontrolle über die Frau für immer verloren hat. Der Täter trifft nun eine überlegte Entscheidung, dass er töten will.

7. Im Nachhinein werden bei vielen Taten Indizien für eine intensive Planung gefunden. Der Täter googelt Tötungsmethoden und schafft Gelegenheiten, um das Opfer zu treffen.

8. Zur Tat kommt es häufig am Wohn- oder Arbeitsort des Opfers, seltener in der Öffentlichkeit. Manche töten auch die Kinder oder sich selbst. Manche gestehen die Tat sofort, andere verschleiern die Tat.

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