Zehntausende gehen für Budget-Schönheitsoperationen ins Ausland
Po, Nase, Haar: made in Istanbul

30'000 Schweizer pro Jahr gehen für eine Schönheits-OP ins Ausland, schätzt der Verband der ästhetischen Chirurgen. Natalie* erzählt im SonntagsBlick, wie es ist, sich in der Türkei die Nase machen zu lassen.
Publiziert: 22.06.2019 um 23:37 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:04 Uhr
Natalie* hat sich in der Türkei die Nase machen lassen.
Foto: Siggi Bucher
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Thomas Schlittler

Dunkle Augen, die vor Lebens­freude strahlen, ein wohlgeformtes Gesicht mit natürlich braunem Teint: Natalie* (28) sieht überdurchschnittlich gut aus. Das tat sie schon immer, wie alte Fotos zeigen. Niemand wäre je auf die Idee gekommen, dass sie an ihrem Körper etwas ändern sollte – ausser ihr selber.

«Ich hasste meine Nase schon immer. Bei jedem Foto oder ­Video habe ich auf den richtigen Winkel geachtet, damit der Höcker nicht allzu stark ins Auge sticht.» Seit einem halben Jahr ist der «Höcker» weg: Natalie war ins Flugzeug nach Istanbul (Türkei) gestiegen. Und als sie zwei Wochen später wieder zurück war, hatte sie eine neue Nase. Mehr noch: ein neues Gesicht.

Den Arbeitskollegen in Zürich bleibt die Veränderung nicht verborgen. «Einige wollten wissen, ob ich erkältet sei. Andere haben direkt gefragt, ob ich die Nase operiert habe. Ich habe Ja gesagt – was hätte ich auch sonst sagen sollen?»

Schweizer sind weniger zurückhaltend als früher

Natalie ist ganz und gar kein Einzelfall: «Pro Jahr reisen schätzungsweise 30'000 Schweizerinnen und Schweizer für eine invasive Schönheitsoperation ins Ausland», sagt Mark Nussberger, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Aesthetische Chirurgie (SGAC). Invasiv bedeutet: ein operativer Eingriff mit Skalpell und Narkose. Botox-Behandlungen, Fadenliftings oder Faltenunterspritzungen sind nicht mit eingerechnet.

Wissenschaftliche Erhebungen zu Schönheitsoperationen von Schweizern im Ausland fehlen. Nicht einmal über die ästhetischen Eingriffe hierzulande führt jemand Buch. «Wir beschäftigen uns nur mit Krankheiten, die ­einen Krankheitswert haben. Schönheitsoperationen gehören nicht dazu, weil sie in den Bereich Lifestyle fallen», so das Bundesamt für Gesundheit auf Anfrage.

Branchenkenner wie Dirk Johannes Schaefer, Chefarzt plastische, rekonstruktive, ästhetische und Handchirurgie am Universitätsspital Basel, wissen aber: «Der Medizintourismus in der Schönheitschirurgie nimmt stark zu.» Schweizer seien bezüglich Operationen im Ausland weniger zurückhaltend als früher. «Vor allem die junge Generation hat kaum Hemmungen. Teilweise reisen ganze Gruppen von jungen ­Frauen nach Osteuropa, um sich gemeinsam operieren zu lassen.» Neben Istanbul seien Belgrad und Prag dafür beliebte Ziele.

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Eine Frage des Preises

Der Grund für die Operation in der Fremde ist klar: der Preis. Das war auch bei Natalie nicht anders: «Ich habe mich zuerst in der Schweiz umgeschaut, doch hier hätte ich mir die gewünschte Operation nicht leisten können.» Ein Chirurg in Zürich verlangte 12'000 Franken, die Klinik am Bodensee 10'000 Franken. In Istanbul bezahlte sie nur 2500 Franken.

Auf die Türkei kam sie durch ­einen Arbeitskollegen. «Er hat sich dort den Bauch straffen lassen und mir seinen Chirurgen empfohlen.» Natalie las im Internet von einer neuen Methode für Nasen-OPs, die in Istanbul bereits breit angewendet werde. Dabei wird der Nasenknochen mit Ultraschallwellen abgetragen und nicht wie früher mit Hammer und Meissel gebrochen und wieder zusammengesetzt.

Natalie informiert sich auch über andere Ärzte, vertraut aber dem Tipp ihres Arbeitskollegen. «Es gibt dir ein besseres Gefühl, wenn du eine direkte Empfehlung hast. Zudem haben mir die Vorher-nachher-Bilder des Chirurgen auf Instagram sehr gefallen. Die neuen Nasen passten ins Gesicht der Leute und waren sehr natürlich.»

Durch Besprechung im Eilzugtempo verunsichert

Per E-Mail und Whatsapp macht Natalie einen Termin mit einer Assistentin. Direkten Kontakt mit dem Chirurgen hat sie erst drei Tage vor der Operation – eine Enttäuschung: «Die Vorbesprechung vor Ort dauerte nur zehn Minuten.»

Der Chirurg untersucht ihre Nase wegen Form und Atmung, will wissen, ob sie eine bestimmte Vorstellung hat. Sie verneint: «Die Nase soll einfach kleiner sein.» Er nickt, mahnt jedoch: «Zu klein darf sie auch nicht sein. Sonst passt sie nicht mehr zum Gesicht.»

Natalie ist von dieser Besprechung im Eilzugtempo verunsichert. Einen Rückzieher macht sie nicht. «Eigentlich hatte ich ja alle Informationen, die ich brauchte.» Meint sie zumindest. Als die Schiene nach der Operation abgenommen wird, folgt der nächste Schock: «Sie haben die Nasenspitze so weit nach oben genäht, dass ich aussah wie Miss Piggy! Ich dachte: Oh nein, was habe ich nur getan?!»

Vermehrt Notfälle wegen Komplikationen in der Schweiz

Die Assistentin bemerkt die Reaktion und versucht zu beruhigen: «No panic, that’s not the result.» Die Nasenspitze werde sich noch senken und die Schwellung zurückgehen. Das endgültige Resultat sehe man erst in einem Jahr. «Ich versuchte optimistisch zu bleiben und Vertrauen zu haben. Aber das war nicht ganz einfach. Denn in den ersten zwei, drei Monaten veränderte sich gar nichts.»

Auch wegen allfälliger Komplikationen macht sie sich Sorgen. «Die Nachversorgung ist der grosse Nachteil bei einer Operation im Ausland. Wenn du zwei Monate später merkst, dass du nicht gut atmen kannst, hast du keinen Ansprechpartner.»

Diese Problematik beschäftigt auch Schweizer Spitäler. «In der Notfallaufnahme sind wir vermehrt mit Komplikationen als Folge einer Schönheitsoperation konfrontiert», sagt der Plastische Chirurg Schaefer aus Basel.

Bezahlt wird von der Krankenkasse

Aber auch solche Zahlen erhebt niemand. Verbandspräsident Nussberger ist dennoch überzeugt: «Nach Operationen im Ausland liegt die Komplikationsrate sicher um etwa 30 Prozent höher als nach Operationen in der Schweiz.» Es gebe zwar auch international viele kompetente Chirurgen, die Nachkontrollen seien aber oft mangelhaft. «Die Folgen davon müssen wir in der Schweiz behandeln – und das wird über die Krankenkassen bezahlt.»

Natalie hat Glück, bei ihr bleiben Komplikationen aus. Und heute, ein halbes Jahr nach der Operation, ist sie mit ihrer neuen Nase zufrieden: «Ich bin happy mit dem Ergebnis. Nach rund vier Monaten begann sich die Nasenspitze zu senken. Und sie wird noch weiter runtergehen.»

Wenn sie in den Spiegel blicke, sehe sie keinen fremden Menschen. «Ich fühle mich nicht anders. Ich kann mich fast nicht mehr erinnern, wie es früher war. Aber ich achte nicht mehr drauf, ob der Winkel ungünstig ist.»

Und was kommt jetzt? Denkt sie schon an die nächste Operation? Natalie zögert: «Ich höre oft, dass man süchtig werden kann. Ich habe mir mal überlegt, meine Oberlippe zu vergrössern. Aber ich glaube, ich will das nicht machen. Man muss immer abwägen, ob es das wirklich wert ist.»

Nötig ist es auf jeden Fall nicht.

*Name geändert

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