Schweizer sass fünf Jahre im Gefängnis – jetzt erzählt er Blick seine Geschichte
«Ich bin pädophil und möchte anderen helfen, nicht zur Tat zu schreiten»

Er sass im Gefängnis, weil er online Fotos seiner Kinder ausgetauscht hatte. Seither wurde er nie wieder rückfällig. Ein Pädophiler aus der Romandie erzählt, wie er mit seinen Trieben umgeht und warum es wichtig ist, Menschen wie ihm zu helfen.
Publiziert: 20.06.2022 um 21:00 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2023 um 17:39 Uhr
Aufgezeichnet von Amit Juillard

Blick veröffentlicht diesen Bericht – der verstörend wirken kann – mit dem Ziel, pädokriminelle Handlungen und die daraus resultierenden menschlichen Dramen zu verhindern. Es geht auch um den Versuch, die sexuelle Anziehung zu Minderjährigen, die manche Menschen in unserer Gesellschaft empfinden, besser zu verstehen.

Wenn du solche Impulse verspürst, kannst du dir Hilfe holen und so verhindern, dass du eine rote Linie überschreitest. Organisationen in der Schweiz sind beispielsweise «DIS NO» oder «Kein Täter werden».

«Wenn meine Erzählung auch nur ein einziges Drama verhindern könnte ...»

«Ich werde nur von Mädchen auf Fotos sexuell erregt, nie von Mädchen, die physisch vor mir stehen. Ich habe noch nie ein Kind sexuell berührt. Aber ich habe etwas Falsches gemacht. Die Pädophilie bringt einen dazu, abscheuliche Dinge zu tun. Man wird nie davon geheilt, aber man kann lernen, damit zu leben.

«Vielleicht wäre es nie so weit gekommen, wenn ich ein Ohr gefunden hätte, das mir zuhört. Mit sich selbst allein zu sein, ist nie gut.»
Foto: Amit Juillard

Ich erzähle das, um Menschen, denen es gleich geht wie mir, zu sagen, dass sie Hilfe finden können, damit sie die Tat gar nicht erst begehen. Mit ausgebildeten Personen über seinen Zustand zu sprechen, hilft wirklich. Wenn meine Erzählung auch nur ein einziges Drama verhindern kann, hat sie schon etwas bewirkt. Deshalb bin ich heute bereit, dieses Risiko einzugehen. Wir müssen die Kinder in unserer Gesellschaft schützen. Ich selbst bin auch ein Vater.

Sie fragen sich wahrscheinlich, warum und wie man pädophil wird. Woher kommt das? Meine Antwort lautet: Das weiss ich nicht. Es ist eine sexuelle Orientierung (Anm. d. Red.: Fachleute bestätigen diese Ausdrucksweise, aber der psychiatrische Begriff lautet «paraphilische Störung»), die leider sehr problematisch ist. Ich hatte eine normale Kindheit, ohne Gewalt und ohne grosse persönliche und schulische Probleme. Mit meinen Eltern, die auch heute noch zusammen sind, hatte ich ebenfalls ein gutes Verhältnis. Als ich dann später plötzlich meine Anziehung zu jugendlichen Frauenkörpern entdeckte, dachte ich nur noch: Scheisse.

Ich erinnere mich, dass das in der Pubertät war. Meine Freunde und ich kauften uns die ersten Erotikmagazine. Mir wurde klar, dass ich nicht wie meine Kumpels über die grossen Brüste von Samantha Fox fantasierte. Mir gefiel die junge, flachere Jane Birkin besser. Damals gab es noch kein Internet, um diese Triebe zu befriedigen oder zu erforschen. Es gab nur diese Magazine. In den 1980er-Jahren waren es vor allem die Bilder des Fotografen David Hamilton von sehr jungen Mädchen, die für Aufsehen sorgten.

«Fühle mich auch angezogen von Personen in meinem Alter»

In pornografischen und sogar erotischen Zeitschriften gab es damals seitenlange Werbung für die Bestellung von Kinderpornos in den Niederlanden oder in Nordeuropa. Und nichts war versteckt! Man sah nackte Mädchen mit gespreizten Beinen. Das war es, was mich an diesen Zeitschriften interessierte. Es ist schrecklich und abscheulich, aber sie waren frei verkäuflich! Ich erinnere mich, dass ich diese Werbeseiten für kinderpornografische Zeitschriften ausgeschnitten habe. Das hat lange Zeit Fantasien in mir ausgelöst.

Ich merkte also, dass ich mich zu jüngeren Kindern und Jugendlichen hingezogen fühlte. Als Teenager hatte ich, wie auch mein ganzes Leben lang, nie den Drang zu einem Kind verspürt, das mir gegenüberstand. Ich wusste aber, dass ich ein Problem hatte, und fragte mich, woher es kommen könnte. Und ich litt darunter.

Das heisst, eigentlich litt ich nur teilweise. Denn ich konnte mich mit Freundinnen in meinem Alter befriedigen. Im Gegensatz zu anderen Menschen bin ich nämlich nicht ausschliesslich pädophil, sondern habe das «Glück», dass ich mich auch zu Menschen in meinem Alter hingezogen fühle. Ich habe übrigens wieder geheiratet und bin heute in meiner Ehe glücklich.

Sammelte Bilder in pädokriminellen Foren im Internet

Gemeinsam mit meiner ersten Frau habe ich meine Kinder grossgezogen. Ich habe für sie aber nie ein sexuelles Verlangen empfunden. Für mich war Pädophilie immer mit Bildern verbunden, in der Fantasie. Doch irgendwann begann die Sache aus dem Ruder zu laufen.

Mit den Anfängen des Internets begannen meine Probleme zu wachsen. Wenn meine Frau jeweils fernsah, sagte ich ihr, dass ich jetzt am Computer spielen würde. Das Internet begann mich schnell zu interessieren, weil es allgemein bekannt war, dass man dort verbotene Bilder, insbesondere Kinderpornografie, finden konnte.

Das alles war noch vor Windows 95! Es dauerte also gut und gern zehn Minuten, bis man ein Bild heruntergeladen hatte. Ich ging in Foren, in denen hauptsächlich Bilder und Geschichten ausgetauscht wurden. Am Anfang hatte ich vor allem das Bedürfnis, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Mit seinem nächsten Umfeld kann man nicht über so etwas sprechen, das ist unmöglich. Damals gab es noch eine sehr wirksame Anonymität, weil die Polizei noch nicht mit Computern ausgestattet war. Es gab ein Gefühl der völligen Straflosigkeit. Glücklicherweise ist das schon lange nicht mehr der Fall.

Ungesund und niederträchtig

Online habe ich Menschen kennengelernt, denen es in unterschiedlichem Ausmass ähnlich ging wie mir. Es gab Personen, die weniger triebgesteuert waren als ich, und andere, die mehr geplagt wurden. Es gab auch Menschen, die keine Hemmungen gegenüber ihren Kindern hatten und dies offen zur Schau stellten. Menschen, die Pädophilie propagierten, die wollten, dass es normal und legal ist – wie damals im alten Griechenland. Ich war nie mit diesem Diskurs einverstanden. Ich stiess auf schockierende Dinge. Ab und zu kam es sogar zu Konfrontationen.

«Die ganze Zeit über litt ich unter meiner sexuellen Orientierung.»
Foto: Amit Juillard

Als Vater von Kindern kam mir der Gedanke, dass sie eine Beziehung zu einem Erwachsenen haben könnten, absurd vor. Mir war klar, dass das nicht normal wäre. Das wäre ungesund und niederträchtig! Trotzdem habe ich mich in den Onlineforen beteiligt. Zwar verurteilte ich die Förderung oder das Ausführen von pädophilen Handlungen. Das hat mich immer schockiert. Andererseits war ich auf der Suche nach Bildern aller Art.

Wir fingen an, Bilder unserer Kinder auszutauschen. Ich machte Fotos von ihnen, wenn sie aus der Dusche kamen, um sie den anderen zu schicken – und umgekehrt. Ich möchte aber betonen, dass mich die Bilder meiner eigenen Kinder nie erregt haben. Ich machte die Aufnahmen jeweils am Samstagnachmittag, wenn meine Frau nicht zu Hause war. Nach und nach baute ich mir eine Bilderdatenbank auf einer Diskette auf.

«Es ist wie eine Droge»

Während dieser ganzen Zeit litt ich unter meiner sexuellen Orientierung. Wenn ich einen Zauberstab gehabt hätte, um dieses Problem zu lösen, hätte ich das sofort gemacht. Aber es half nichts. Diese Gefühle lassen sich nicht einfach wegzaubern, das ist einfach so. Es ist wie eine Droge. Es ist wie Rauchen. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr gewöhnt man sich daran, und desto mehr will man. Es war für mich zu einer echten Sucht geworden, die mein Leben auffrass. Auch meine Ehe litt darunter.

Ich habe schliesslich an dem Tag damit aufgehört, als ich bei meinen Kindern eine gewisse Schamhaftigkeit spürte. Zwei Jahre später wurde ich dann verhaftet. Anfang der 2000er-Jahre stiess die Polizei im Rahmen einer riesigen internationalen Ermittlung auf das Forum, in dem ich aktiv gewesen war. Seit zwei Jahren war ich nicht mehr dort gewesen. Aber der Schaden war angerichtet und die Straftat nicht zu leugnen. Die Polizei kam um 5 Uhr morgens und weckte alle auf. Bereits am Abend schlief ich im Gefängnis.

Für die Familie war es ein riesiger Schock, alles fiel auseinander. Meine Frau fand heraus, was für schändliche Dinge ich getan hatte. Die Kinder hatten ihr nie davon erzählt. Wahrscheinlich, weil sie mein Verhalten nicht als bösartig empfunden hatten. Mein Familienleben, aber auch mein Berufsleben waren ruiniert.

Fünf Jahre Gefängnis

Bei der Urteilsverkündung wurde ich zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Was mich allerdings erstaunte war, dass ich nicht verpflichtet wurde, eine Behandlung anzutreten. Zum Glück ist das heute immer seltener der Fall. Letztendlich hatte ich gegen Ende meiner Strafe, als diese angepasst wurde, dennoch eine medizinische Betreuung.

Um entlassen zu werden, musste ich eine Behandlungspflicht akzeptieren. Pädophilie ist nicht heilbar, es gibt kein Wundermittel, aber man kann lernen, damit zu leben. Ich empfehle jedem, der fühlt, dass er eine pädophile Tat begehen könnte, sich Hilfe zu holen, bevor er in Onlineforen geht oder einem Kind etwas antut. Therapien können helfen, ein einigermassen normales Leben zu führen. Ich habe damals versucht, Hilfe zu finden, aber es gab keine Anlaufstelle. Heute gibt es Vereine und staatliche Organisationen, die helfen können.

«Die Psychiater haben mir geholfen, einen Werkzeugkasten zu bauen, mit dem ich erkennen kann, wann ein Rückfall droht.»
Foto: Amit Juillard

Therapeutische Gesprächsgruppen oder eine psychologische Betreuung waren Sachen, die mir damals gefehlt haben. Vielleicht wäre es nie so weit gekommen, wenn ich ein Ohr gefunden hätte, das mir zuhört. Mit sich selbst allein zu sein, ist nie gut. Wenn man das, was man erlebt, in Worte fassen und darüber sprechen kann, tut das unheimlich gut und befreit einen von der Last.

Psychologen haben mir sehr geholfen

Als ich das erste Mal mit einer Psychologin gesprochen habe, war das für mich eine riesige Erleichterung. Die Psychologen haben mir sehr geholfen, einen Werkzeugkasten zusammenzustellen, mit dem ich erkennen kann, wann ein Rückfall droht und wie ich einen solchen vermeiden kann. Ich habe jetzt kleine Warnsignale. Wenn ich einen Impuls spüre, gehe ich zum Beispiel in die Berge und mache eine Wanderung.

Heute habe ich aber viel weniger Impulse als früher. Es ist ähnlich, wie wenn man mit dem Rauchen aufhört. In den ersten Wochen ist es sehr schwierig, aber irgendwann lässt es nach. Allerdings ist es nie ganz auszuschliessen, dass das Verlangen einige Zeit später wieder aufkommen kann. Aber die Versuchung ist viel geringer. Heute bin ich seit Jahren nicht mehr rückfällig geworden.

Natürlich sollte man nie sagen: Ich werde nie wieder rückfällig. Denn es kann durchaus passieren. Beispielsweise können eine Trennung oder der Verlust des Arbeitsplatzes einen Rückfall verursachen. Ich gehe aber immer zu meiner Therapeutin, wenn ich es brauche.

Meine heutige Frau weiss Bescheid

Sie fragen sich sicher, ob meine jetzige Frau von diesem Teil meiner Persönlichkeit weiss. Die Antwort lautet: Ja. Wir haben uns in der Zeit zwischen meiner Untersuchungshaft und dem Urteil kennengelernt. Anschliessend hat sie meine gesamte Haftzeit miterlebt, und unsere Ehe hat trotzdem gehalten. Für sie bin ich ein Mensch, der Fehler gemacht hat. Aber sie sieht auch den ganzen Rest meiner Persönlichkeit. Sie kennt meine guten Seiten und weiss, dass ich heute imstande bin, mich zu kontrollieren.

Ich habe riesiges Glück. Sie hilft mir sehr. Da sie mein Problem kennt, wird sie mich nicht einfach an den Computer lassen, während sie in einem anderen Raum fernsieht. Vielleicht ist das auch eine Form der Kontrolle, die ich gesucht habe. Sie ist aufmerksam. Wenn sie merkt, dass es mir nicht so gut geht, stellt sie mir Fragen. Wir reden viel miteinander.

Weihnachten feiere ich mit meiner Familie

Wie das Verhältnis zu meiner ersten Frau aussieht? Nun, wir verstehen uns gut. Wir treffen uns regelmässig zu den Geburtstagen der Kinder und zu Weihnachten. Sie hat ihre Beziehung, ich habe meine. Unsere Beziehung hat sich inzwischen völlig beruhigt.

Sie hat auch verstanden, dass ich die Kinder nie angefasst habe. Also war es für sie einfacher, die ganze Sache zu verarbeiten. Ich wurde verhaftet, als sie etwa zehn Jahre alt waren. Ich komme auch mit ihnen gut aus. Es geht ihnen gut, sie sind inzwischen erwachsen, leben ihr eigenes Leben und sind auf die Uni gegangen. Wir konnten uns darüber unterhalten, was passiert ist. Das ermöglicht uns, nicht in der Vergangenheit zu leben. Sie reduzieren mich nicht auf meine Taten, die ich begangen habe und haben auch gute Erinnerungen an mich.

Helfen wir den Menschen, die diese Impulse haben!

Ich verstehe die Heftigkeit der Debatte über Pädophilie und Pädokriminalität. Das ist normal, schliesslich ist es ein furchtbares Thema. Obwohl ich selbst mit dieser Problematik lebe und viele Fehler gemacht habe, würde ich denjenigen töten wollen, der meine Kinder sexuell berührt hätte, als sie noch minderjährig waren. Ich bin ein Vater. Da ist es normal, dass man seine Kinder schützen will.

Aber einfach zu rufen ‹Tötet sie alle› oder «Verbrennt sie alle› wird das Problem der Pädophilie nicht aus der Welt schaffen. Viel eher müssen wir im Vorfeld daran arbeiten, dass es so wenig Probleme wie möglich gibt. Wir müssen Kinder und ihre Eltern darin schulen, vorsichtig zu sein, und versuchen zu verhindern, dass Pädophile zur Tat schreiten. Wir müssen aber auch den Menschen mit solchen Trieben helfen, wenn wir verhindern wollen, dass Kinder sexuell missbraucht werden.»

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