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USA wollen sie dingfest machen
Jetzt redet die meistgesuchte Hackerin der Schweiz

Der Luzerner Hackerin Tillie drohen in den USA mehr als 20 Jahre Haft. In einem Interview erzählt sie, warum sie Computernetzwerke angreift und was ihre sexuelle Ausrichtung damit zu tun hat.
Publiziert: 21.04.2021 um 12:28 Uhr
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Aktualisiert: 22.04.2021 um 11:38 Uhr

Tillie Kottmann (21) gehört zu den meistgesuchten Hackern der Welt. Das US-Justizministerium will der Luzernerin unter anderem wegen elektronischem Betrug («Wire Fraud») und Identitätsdiebstahls den Prozess machen. Bei einer Verurteilung in den USA drohen ihr zwischen zwei und zwanzig Jahre Haft.

Die US-Justiz wirft ihr vor, sich seit 2019 elektronisch Zugang zu verschiedenen Firmen verschafft, dort Daten gestohlen und diese via Twitter und ihrer Website publiziert zu haben. Schwerwiegendster Vorwurf ist ein Hack bei der Firma Intel, wo im Sommer 2020 zwanzig Gigabyte Daten, etwa Bauanleitungen für Computerprozessoren, gestohlen wurden.

Kottmann bestreitet die Vorwürfe nicht, sie scheint stolz darauf zu sein. «Diese ganzen Rechten» würden sie ständig nach ihren Motiven fragen, sagt sie in einem Gespräch mit der «Republik». Denen würde sie sagen: «Be gay, do crime.»

Tillie Kottmann drohen in den USA mehr als 20 Jahre Knast.
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«Queer sein ist wichtiger Teil meiner politischen Radikalisierung»

Tillie hiess ursprünglich Till, politisiert am anarchistischen Rand der Juso und hat sich entschieden, momentan als Frau zu leben, beziehungsweise, sich als non-binär zu bezeichnen. Ihre sexuelle Orientierung publik zu machen, ist ihr wichtig, wie sie im Interview festhält: «Dass ich queer bin, war schliesslich auch ein wichtiger Teil meiner politischen Radikalisierung».

«Da erfährst du am eigenen Leib, dass rechte Menschen nicht wollen, dass du existierst. Und so hast du natürlich umso mehr Gründe, auf das System wütend zu sein.»

Jetzt redet die meistgesuchte Hackerin der Schweiz
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USA wollen sie dingfest machen:Jetzt redet die meistgesuchte Hackerin der Schweiz

Tesla und Schulen ausspioniert

Dabei wird sie für ihren bekanntesten Hack bisher noch gar nicht angeklagt. Im März knackte das Hacker-Kollektiv «Advanced Persistent Threat 69420» die Server der Firma Verkada, die Überwachungssysteme an andere Firmen verkauft. Die Hacker erhielten Zugriff auf rund 150'000 Überwachungskameras, konnten in Gefängnisse, Schulen, Privathäuser und eine Tesla-Fabrik schauen – und gaben das Material den Medien. Kottmann fungierte als Sprecherin der Gruppe.

«Wir arbeiten nicht gezielt», sagte Kottmann damals in der «Washington Post». «Wir alle leiden an ADHS und haben nicht viel Geduld.» Gegenüber «Bloomberg» sagte sie «grosse Neugier, der Kampf um Informationsfreiheit und gegen geistiges Eigentum, eine grosse Dosis Antikapitalismus sowie eine Prise Anarchismus» seien der Grund für die Aktion gewesen. «Und schliesslich macht es einfach viel zu viel Spass, um es nicht zu tun».

«Hat die Behörden wohl provoziert»

Am 12. März durchsuchte die Luzerner Polizei auf Wunsch der US-Amerikaner ihre Wohnung und diejenige ihrer Eltern, beschlagnahmte ihren Computer.

«Ich habe die Daten auf meiner Website und meinem Twitter-Kanal publiziert oder direkt mit Journalisten zusammengearbeitet, und das hat die Strafverfolgungsbehörden wohl provoziert: Da greift jemand unser System an – und steht auch noch dazu», sagt Kottmann der «Republik».

«Wir werden jeden Tag mehr überwacht»

Artikel über ihre Aktionen seien häufig positiv, was «ein Problem für die Amerikaner oder das kapitalistische System» sei. Sie würde Missstände aufzeigen oder einen Einblick geben, wie diese Computersysteme überhaupt funktionieren. «Wir werden mit jedem Tag von diesen Systemen abhängiger, wir werden jeden Tag mehr überwacht, und wir wissen praktisch nichts über das Innenleben der Systeme.»

Kottmann führt aus: «Nehmen wir Verkada: Wir haben gezeigt, wie krass selbstüberwacht wir inzwischen sind. Und wie schlecht die Dinge geschützt sind. Jeder Experte wird das bestätigen: Ausser einer hohen Risikotoleranz brauchte man keine besonderen Kenntnisse, um in diese Systeme zu gelangen.» Sie kämpfe darum für Open Source und Transparenz.

Sie kämpft gegen ihre Auslieferung

In der Schweiz liegt bisher kein Vergehen gegen Kottmann vor. Sie kämpft dagegen, an die USA ausgeliefert zu werden. Das dürfte machbar sein: IT-Anwalt Martin Steiger schreibt in seinem Blog, dass die Schweiz keine eigenen Staatsbürger ausliefere, auch wenn der bestehende Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und den USA das nicht grundsätzlich verhindere.

Der «Republik» sagt er, dass das grössere Problem für Kottmann die Verteidigung in den USA sei. Was dort passieren werde. Welche Strafzumessung gefordert werde. Es könnte passieren, dass Kottmann nie mehr die Schweiz verlassen könnte.

Account suspendiert

Sie sammelt deshalb Geld. Beim Stand von fünftausend Dollar wurde ihr Go-Fund-Me-Account suspendiert. Auf Twitter macht sie weiter Werbung für sich und ihre Anliegen. Allerdings werden ihre Accounts in regelmässigen Abständen deaktiviert. Das US-Justizdepartement wirft Kottmann vor, gegen Twitter-Geschäftsbedingungen verstossen zu haben und möchte dies als Bundesverbrechen qualifizieren.

Dazu sagt die Hackerin: «Das wäre ja ein krasser Präzedenzfall. Tatsächlich ist es ja auch so: Wenn man in den USA Leute erreichen will, braucht man Twitter.» Sie und ihre Kollegen wollen «einfach den Kapitalismus überwinden». Und bis dahin «zumindest für ein bisschen mehr Transparenz sorgen. Ich denke, das ist uns gelungen.» (vof)

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