Erfahrungsbericht aus dem Safiental GR
Schneeschuhwandern ist das neue Skifahren

Schneeschuhlaufen boomt. Auch dank Corona. Unsere Autorin war im bündnerischen Safiental unterwegs. Und ist sich sicher: Schneeschuhwandern verdrängt bald das Skifahren. Zu schön sind die Orte, zu denen kein Skilift der Welt führt.
Publiziert: 30.01.2022 um 13:54 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2023 um 22:04 Uhr
Rebecca Wyss

Am Gurgler Eisjoch in den Ötztaler Alpen gibt der Gletscher 2003 einen Schatz frei: einen Schneeschuh. Verschüpft liegt er da, aus einem Birkenast zu einem Oval gebogen, mit Strängen bespannt. Als warte er nur darauf, dass sein Besitzer ihn aufhebt. Doch von diesem fehlt jede Spur. Was man weiss: Dieser Schneeschuh trug sein unbekanntes Herrchen (nicht Ötzi!) zwischen 3800 und 3700 v. Chr. über den Ötztaler Schnee. Und Schneeschuhe gehören zu den ältesten Gehilfen der Menschheit.

Der Schneeschuh aus den Ötztaler Alpen.

Daran denke ich im bündnerischen Safiental an einem Sonntag im Januar. Zu neunt sind wir auf solchen unterwegs. Von Mura über die Camaner Hütta nach Safien zur Abzweigung Camana. Der erste Hügel ist störrisch stotzig, Daunenjäckchen und Fleece-Pullover verschwinden schnell im Rucksack, lassen uns Städter entblösst zurück. Doch wir werden belohnt. Der Schnee knirscht unter unseren Alu-Schuhen. Keine müde Wolke hängt über den Bergen, Sonne, einfach nur Sonne. Und irgendwo in der Ferne bewegen sich schwarze Punkte. Menschen, weit weg. Omikron, weit weg.

Unberührt, aber zum Teil ziemlich steil: Der Camana-Schneeschuhtrail im Safiental GR.

Run auf Schneeschuhe

So wie uns geht es vielen. Besonders seit Pandemieausbruch. Sie entdecken alles neu: die hiesigen Wälder, Berge, die ganze Schweiz. Mehr und mehr auch auf Schneeschuhen. Das kostet wenig. Ist für Jung und Alt machbar. Und abseits des Skistock-Hickhacks an den Skiliften möglich. Social Distancing – gar kein Thema. Und so wächst im Schatten der grossen Skigebiete eine stille, langsame Konkurrenz heran. Kurbelt die Umsätze der Sportartikelhändler an. Die Verkaufszahlen behalten sie für sich. SportXX, der zweitgrösste von ihnen, verrät aber: Seit zwei Jahren gibts «einen Boom» bei den Verkäufen von Schneeschuhen, dazugehörigen Stöcken mit grossen Tellern sowie Lawinen-Ausrüstung.

Die Nachfrage treibt auch die Zahl der offiziellen Schneeschuhwanderwege langsam, aber stetig in die Höhe. Auf «Schweiz Mobil», online und auf der App, sind diese abrufbar. Das Netzwerk für Langsamverkehr hat vor vier Jahren angefangen, Schneeschuhrouten aufzuschalten, zuerst 150, mittlerweile ziehen sich 211 Routen wie rosa Wollfäden über die Schweiz.

Die Autorin in Schneeschuhlaune.

Schneeschuhlaufen ist neu für mich. Ich komme woanders her. Ich stand schon auf Stummelski, da konnte ich knapp laufen. Obschon ein Flachlandkind aus dem Solothurnischen. Aber mein Vater verbrachte seine ganze Militärzeit als Gebirgsgrenadier in den Bündner Bergen. Und bretterte so rassig und souverän die frisch präparierten Pisten runter wie der Franz Heinzer 1992 in Kitzbühel. So sah ich das als Siebenjährige. Und so wollte ich auch werden. Jedes Jahr ersehnte ich den Winter. Fuhr die Pisten rauf und runter, bis ich meine Finger vor Kälte nicht mehr spürte. Bald einmal kam das Boarden. Ich wurde ganz gut darin – und hörte auf. Fertig Berge. Fertig Schnee. Spätjugendliche Unlust.

Glotzende Geissen

Jetzt stehe ich an einem steilen Bündner Hang auf Schneeschuhen. Zum vierten Mal überhaupt. Lange wehrte ich mich. Der Birkenstock-Effekt. Auf den ersten Blick albern, danach gewöhnt sich das Auge daran. Menschen auf Schneeschuhen wirkten auf mich wie lahme Störche, die wacklig durchs Wasser staksen. Dieses Bild ist verblasst, überschrieben von Erlebnissen wie jenem im Safiental. Ich gleite, gleite wie ein Kind, das gerade Velo fahren gelernt hat. Euphorisch, dass das so einfach geht, in einer Mir-gehört-die-Welt-Stimmung tapse ich durch das weisse Pulvermeer. Richtung Camanaboda. Dort, in einem Stall, glotzt uns ein Grüppli neugieriger Ziegen entgegen. Stumm fragend, wo diese komischen Käuze mit ihren Funktionskleidern und farbigen Stirnbändern denn jetzt so plötzlich hergekommen sind.

Neugierige Ziegen bei Camanaboda.

Schneeschuhe tragen uns zu Orten, zu denen wir sonst kaum kommen würden. Das war immer schon so. Schneeschuhe sind ein kulturell wichtiger Motor der Menschheitsgeschichte. Das klingt pathetisch. Ist aber wahr. Schon vor 10’000 Jahren bauten unserer Vorfahren aus Fell, Leder und Holz Geräte, mit denen sie ihre Fussfläche im Schnee verbreiterten. Nur so konnten sie jagen, sammeln, kämpfen und fliehen – unsere Gattung erhalten! Davon zeugen Höhlenmalereien. Bis heute haben amerikanische Ureinwohner und Inuit im hohen Norden eigene Modelle. Manche sind tennisschlägerförmig, andere wie jene der Inuit dreieckig oder rund. Weiter südlich werden die Schneeschuhe schmaler und länger – bis zu zwei Meter Länge sind es beim Indianervolk der Cree.

Ganz anders die Schneeschuhe, auf denen wir nun mit unseren Bergschuhen stehen: Tubbs und MSR. Hightech-Geräte. Kurz, schmal und leicht, fast wie Turnschuhe. Anders als die Skischuhe, die aus Menschen tapsige Bären machen. Mit Schneeschuhen kommt man gut fürschi. Wegen der Alurahmen, Riemenbindung sowie Krallen, mit denen man sich fast so mühelos auf Eispartien oder Firnflächen bewegt wie eine Spinne an einer Hauswand.

Die Walser und ihre Spuren

Spinnen gibts in Camanaboda keine, zu kalt, sie schlafen jetzt. Dafür sonnenverbrannte Holzhäuser mit kleinen Fenstern. Sie gehörten einst den Walsern, die dem Safiental seine Gesichtszüge gaben. Die Walser kamen im 14. Jahrhundert, wanderten vom bündnerischen Rheinwald über den Safierberg ein. Keiner hatte auf die fremden Fötzel gewartet. Das beste, fruchtbarste Land gehörte schon den Einheimischen. Ihnen blieben nur die Restposten-Plätze hoch oben. Hier rodeten sie Wald, errichteten Häuser und Ställe. In grossem Abstand zueinander: Der wenig fruchtbare Boden warf wenig ab, sie brauchten viel Land für ihre Wiesen, um ihr Vieh anständig füttern zu können. Und so ist ihr Vermächtnis an die Safier: Streusiedlungen. So schön kurze Namen wie Buchli, Hunger und Zinsli. Und, wie man munkelt: das «Riitbrätt» – die Urgrossmutter des Snowboards.

Vorbei an den Walserhäusern im Safiental GR.

Wir ziehen weiter. Der Alp Camaner Hütta entgegen, die weiten Hänge nach Innercamana hinab. Die Luft ist klar. Und seit Wochen kalt genug, dass sich winzige Wassertropfen aneinander festhalten, miteinander zu klitzekleinen Eiskristallen gefrieren und vom Himmel flocken konnten. Nun liegt er so da, der Schnee, still, freundlich wirkt er, erlaubt uns, auf unseren Schneeschuhen über ihn hinweg zu schlurfen. Manchmal protestiert er ganz leise, verhärtet zu Eis, gibt plötzlich nach, drückt uns einen nassen Kuss auf. Man traut ihm gar nicht zu, dass er auch anders kann.

Jedes Jahr verlieren in der Schweiz zwei Schneeschuhwanderer ihr Leben – vor allem wegen Lawinen. An den offiziellen Routen von «Schweiz Mobil» liegt das nicht. Diese durchlaufen ein strenges Prüfverfahren, nach Kriterien wie Wildschutz, Naturschutz und Sicherheit. Doch manche Berggänger verlassen die pink beschilderten Schneeschuhwege, wollen mehr. Mehr Nervenkitzel. Mehr unberührte Natur. Und kehren nicht mehr zurück.

Das lehrt uns: Die Natur gehorcht eigenen Regeln. Der Mensch ist bloss ihr Gast. Auch wenn er das nicht sehen will. Sie zu beherrschen versucht. So wie der Kanton Graubünden den Wolf. Der ist ganz in der Nähe zu Hause, im Gebiet um den Piz Beverin.

Zum Schluss durch den Wald

Jetzt täte ein Schnaps gut. Noch besser: ein Grog. Gebraut nach der Formel: Rum muss, Zucker darf, Wasser kann rein. Hauptsache warm. Aber Schneeschuhlaufen ist nicht Skihütten-Halligalli. Es bleibt bei der Vorstellung. Wir sind sowieso bald am Ziel. Erst gehts noch durch den Wald. Da sind die niedrigen Tannen, die in Familien zusammenstehen und uns in ihre Mitte lassen. Kein tierischer Laut, kein harziger Geruch, als träten wir in eine verwunschene Parallelwelt, wie bei der Serie «Stranger Things» – nur in lieb. Ich höre mein Herz klopfen, ganz ruhig, obwohl wir gerade Sport machen, und denke, dass dies nun also das sein muss, wovon alle immer sprechen: Ruhe, innere Einkehr. Und ich gehe, gehe im Rhythmus des Winterwald-Gedichts von Robert Frost (1874-1963), das frei übersetzt lautet:

«Der Wald ist lieblich, schwarz und tief,
doch ich muss tun, was ich versprach,
und Meilen gehn, bevor ich schlaf,
und Meilen gehn, bevor ich schlaf.»

Wir gleiten wieder, gleiten weiter zur Abzweigung Camana. Und merken: Der Bus fährt nur alle zwei Stunden. Wie Ausgesetzte stehen wir herum. Wie der alte Schneeschuh am Gurgler Eisjoch. Und ich werde übermütig, kann mir den Gedanken nicht verkneifen: Was, wenn wir hier einen Schneeschuh für die Nachwelt zurückliessen? Sinnlos. Die nächste Schneeräummaschine würde ihn hinfortfegen.

So sind Sie fürs Schneeschuhlaufen gerüstet

Schneeschuhlaufen ist einfach und für Jung und Alt geeignet. Trotzdem sollte man es nicht unterschätzen, auch wegen der Lawinengefahr. Folgende Tipps der Beratungsstelle für Unfallverhütung sind hilfreich: Wandern Sie nur auf offiziell ausgewiesenen Schneeschuhrouten, sie sind in Pink markiert. Planen Sie genug Zeit ein und überfordern Sie sich nicht. Informieren Sie sich vorab über die Schneeverhältnisse und das Wetter. Ziehen Sie nicht alleine los. Informieren Sie vorab andere über die Route und wann Sie wieder zurück sein wollen. Trinken, essen und rasten Sie regelmässig. Informieren Sie sich bei Fachleuten über die richtige Ausrüstung.

Schneeschuhlaufen ist einfach und für Jung und Alt geeignet. Trotzdem sollte man es nicht unterschätzen, auch wegen der Lawinengefahr. Folgende Tipps der Beratungsstelle für Unfallverhütung sind hilfreich: Wandern Sie nur auf offiziell ausgewiesenen Schneeschuhrouten, sie sind in Pink markiert. Planen Sie genug Zeit ein und überfordern Sie sich nicht. Informieren Sie sich vorab über die Schneeverhältnisse und das Wetter. Ziehen Sie nicht alleine los. Informieren Sie vorab andere über die Route und wann Sie wieder zurück sein wollen. Trinken, essen und rasten Sie regelmässig. Informieren Sie sich bei Fachleuten über die richtige Ausrüstung.

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Schneeschuhtrail Camana im Safiental GR

Dieser Schneeschuhtrail ist für Fortgeschrittene. Er führt von der Abzweigung Camana über die Camaner Hütten nach Mura. Anfangs gehts durch den Wald, dann vorbei an idyllischen Weilern, Walserhäusern und -ställen, die wie an einem Silberfaden aufgereiht dastehen. Der Blick schweift immer wieder in die Weite: zum markanten Gipfel Piz Beverin, dem Bruschghorn, dem Glaspass und ganz nach hinten ins Safiental. Die Autorin wanderte in umgekehrter Richtung, fing in Mura an. Der Abstieg ist so weniger steil – und knieschonender.
Kondition: Mittel bis gut. Ausgangspunkt: Mur. Länge: 5 Kilometer. Wanderzeit: rund 3 Stunden. (Quelle: Schweiz Mobil)

Dieser Schneeschuhtrail ist für Fortgeschrittene. Er führt von der Abzweigung Camana über die Camaner Hütten nach Mura. Anfangs gehts durch den Wald, dann vorbei an idyllischen Weilern, Walserhäusern und -ställen, die wie an einem Silberfaden aufgereiht dastehen. Der Blick schweift immer wieder in die Weite: zum markanten Gipfel Piz Beverin, dem Bruschghorn, dem Glaspass und ganz nach hinten ins Safiental. Die Autorin wanderte in umgekehrter Richtung, fing in Mura an. Der Abstieg ist so weniger steil – und knieschonender.
Kondition: Mittel bis gut. Ausgangspunkt: Mur. Länge: 5 Kilometer. Wanderzeit: rund 3 Stunden. (Quelle: Schweiz Mobil)

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Selibüel-Panoramatrail im Kanton Bern

Hoch über dem Berner Mittelland, am Fuss der markanten Gantrischkette liegt das Gurnigelgebiet. Hier wirds hügelig und aussichtsreich: Die Route führt mehrheitlich entlang der Sommerwanderwege, bei klarem Wetter sind Thunersee inklusive Eiger, Mönch und Jungfrau sichtbar. Eindrücklich ist auch die Kulisse mit Nünenenflue und Gantrisch. Gegen Norden reicht die Sicht bei gutem Wetter bis zum Chasseral, der höchsten Erhebung im Berner Jura. Für Jung und Alt gut machbar.
Konditionelle Anforderung: Leicht. Ausgangspunkt: Parkplätze Stierenhütte oder Wasserscheidi. Länge: 4 Kilometer. Wanderzeit: 1 Stunde 50 Minuten (Quelle: Schweiz Mobil).

Hoch über dem Berner Mittelland, am Fuss der markanten Gantrischkette liegt das Gurnigelgebiet. Hier wirds hügelig und aussichtsreich: Die Route führt mehrheitlich entlang der Sommerwanderwege, bei klarem Wetter sind Thunersee inklusive Eiger, Mönch und Jungfrau sichtbar. Eindrücklich ist auch die Kulisse mit Nünenenflue und Gantrisch. Gegen Norden reicht die Sicht bei gutem Wetter bis zum Chasseral, der höchsten Erhebung im Berner Jura. Für Jung und Alt gut machbar.
Konditionelle Anforderung: Leicht. Ausgangspunkt: Parkplätze Stierenhütte oder Wasserscheidi. Länge: 4 Kilometer. Wanderzeit: 1 Stunde 50 Minuten (Quelle: Schweiz Mobil).

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Sparenmoos-Trail im Berner Oberland

Viel Pulverschnee und eine geringe Steigung – hier, oberhalb von Zweisimmen, schlägt das Schneeschuhläufer-Herz höher. Auf diesem Rundweg sollte man sich Zeit lassen und geniessen: die unberührte Moorlandschaft, die Sonne, die Ruhe. Und die freie Sicht auf die Berner Alpen, das Simmental und das Saanenland. Für Jung und Alt geeignet. Am Schluss kann man im Berghaus Sparenmoos eine heisse Schoggi trinken.
Konditionelle Anforderung: Leicht. Ausgangspunkt: Berghaus Sparenmoos. Länge: 3 Kilometer. Wanderzeit: 1 Stunde 30 Minuten (Quelle: Schweiz Mobil).

Viel Pulverschnee und eine geringe Steigung – hier, oberhalb von Zweisimmen, schlägt das Schneeschuhläufer-Herz höher. Auf diesem Rundweg sollte man sich Zeit lassen und geniessen: die unberührte Moorlandschaft, die Sonne, die Ruhe. Und die freie Sicht auf die Berner Alpen, das Simmental und das Saanenland. Für Jung und Alt geeignet. Am Schluss kann man im Berghaus Sparenmoos eine heisse Schoggi trinken.
Konditionelle Anforderung: Leicht. Ausgangspunkt: Berghaus Sparenmoos. Länge: 3 Kilometer. Wanderzeit: 1 Stunde 30 Minuten (Quelle: Schweiz Mobil).

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