Beifahrer erinnert sich an Horror-Crash
«Ich hörte einen Schrei, dann knallte es»

Dieter von Chamier (73) hatte erst kurz zuvor das Steuer seinem Kollegen (63) überlassen.
Publiziert: 16.10.2018 um 01:09 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2018 um 12:29 Uhr
Myrte Müller

Treffpunkt Kölner Innenstadt. Punkt 22 Uhr schmeisst der Chauffeur (63) den Motor an. Die Reisegruppe murmelt im Chor ein Vaterunser, bittet den Herrn um eine gute Fahrt. Dann setzt sich der weisse Bus in Bewegung gen Süden. 

Die Stimmung an Bord ist ausgelassen. 21 Schüler eines katholischen Gymnasiums in Brühl (D) im Alter zwischen 16 und 23 Jahren freuen sich auf ihre fünftägige Fusswallfahrt im italienischen Assisi. Tageswanderungen von 15 bis 20 Kilometer sowie Übernachtungen auf Campingplatz und Landgasthöfen stehen auf dem Programm. Rund 20 Stunden später will die Reisegruppe in Umbrien losmarschieren. 

Die Pilgerfahrt endet in einer Katastrophe

Doch Assisi werden die Teenager am Sonntag nicht erreichen. Und für ihre Begleiterin Elisa J.* (27) wird es die allerletzte Reise sein. Die Pilgerfahrt endet gegen acht Uhr morgens auf der A2 bei Sigirino TI in einer Katastrophe.

Rettungsmannschaften sind am Sonntagmorgen an der Unfallstelle auf der A2 im Einsatz. Leserreporter Giuseppe war als erster bei der Unfallstelle und half bei der Rettung der ersten PassagiereGrave incidente con coinvolto un pullman sull’A2 a Sigirino: diversi feriti, domenica 14 ottobre 2018, ore 0800
Foto: Zvg
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Ein deutscher Reisecar ist am Sonntag auf der A2 in Sigirino TI in einen Pfosten geprallt. Eine Person kam ums Leben, 13 weitere wurden verletzt.
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Kollision mit einem Signalisationspfosten:Schwerer Car-Unfall auf der A2

Der neue Lion's Coach gerät offenbar auf eine Autobahnausfahrt. Möglicherweise will der Chauffeur den Bus wieder auf die A2 lenken, übersieht die Verkehrsschildanlage und rauscht mit gut 100 km/h in den rechten Pfosten. Die Front des Hochdeckers wird bis zur Unkenntlichkeit eingedrückt. Das Eisen bohrt sich auf der Fahrerseite bis zur dritten Reihe. Dort sitzt die junge Elisa, die Kinderkrankenpflegerin hat keine Chance. Sie stirbt noch vor Ort.

Verteilt auf die Spitäler

Dem Fahrer am Steuer werden beide Beine zertrümmert. Auch ein Pater, der die Reise organisiert hat, und der zweite Fahrer erleiden Knochenbrüche. Sie werden in drei verschiedene Tessiner Spitäler gebracht und dort sofort operiert. Die Kids kommen mit blauen Flecken und dem Schrecken davon. Sie werden über Nacht in einer Zivilschutzanlage untergebracht.

«Wir hatten am Sonntagmorgen noch auf dem Gotthard-Rastplatz in Quinto TI eine Pause gemacht», sagt Dieter von Chamier (73) aus Köln. Er ist der zweite Fahrer auf dem Car. «Ich war vorher gefahren. Wir tranken Kaffee. Mein Kollege löste mich ab, übernahm das Steuer.» Dieter von Chamier habe seinem Kollegen noch zugerufen: «Sag, wenn du müde wirst.» Keine Stunde später der fatale Crash.

Das Gesicht des Fahrers war voller Blut

Von Chamier setzt sich am Gang hinter den Chauffeur, streckt die Beine aus. «Ich hatte grad die Augen geschlossen, war im Dämmerschlaf», sagt der Kölner weiter. «Plötzlich hörte ich einen Schrei, dann knallte es.» Der Beifahrer erinnert sich: «Die Scheiben zersplitterten. Ich spürte einen stechende Schmerz im Arm und wollte nichts wie raus aus dem Bus.» Er taumelt ins Freie: «Ich sah noch zum Kollegen rüber. Das Gesicht auf einer Seite voller Blut.» Dann sei er in Ohnmacht gefallen. 

Das Unfallopfer wird nun im Regionalspital von Bellinzona TI behandelt. Hemd, Wolljacke, Hose wurden aufgeschnitten, um an die Wunden zu kommen. Das Haar  ist voller kleiner Glassplitter. «Mein Gepäck, mein Handy, mein Waschzeug – alles hat noch die Polizei. Ich kann noch nicht einmal die Unterwäsche wechseln.» Während die Schüler gestern Morgen mit dem Zug nach Hause dürfen, müssen Dieter von Chamier und der Unfallverursacher noch im Spital bleiben. Nicht nur wegen der Verletzungen. Die Polizei will sie vernehmen. Es droht ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung.

* Name der Red. bekannt

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