Technologieverbot im Pflanzenbau
Bundesrat kappt die Genschere

Crispr/Cas9 gilt als Revolution in der Gentechnik. Doch der Bundesrat möchte die Methode für die Landwirtschaft nicht zulassen.
Publiziert: 14.03.2021 um 17:29 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2022 um 13:16 Uhr
Eliane Eisenring

Sie fasziniert und beunruhigt zugleich: die Gentechnik. Gene werden aus Organismen herausgenommen und in andere eingepflanzt. Oder sie werden zerstört, um so neue Merkmale hervorzubringen. Wie bei der Methode Crispr/Cas9. In der Schweiz ist beides in der Forschung zugelassen, nicht aber im Pflanzenanbau.

Genau genommen wird Gentechnik in der Schweiz sogar aktiv blockiert. Seit 2005 gilt neben dem allgemeinen Gentechnikgesetz ein Moratorium: Es dürfen keine Bewilligungen für den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft erteilt werden. Das Moratorium wurde seit seiner Einführung drei Mal verlängert, aktuell gilt es bis Ende 2021. Der Bundesrat will das Moratorium erneut verlängern – doch es gibt Widerstand aus der Wissenschaft. Im Zentrum der Kritik steht insbesondere der Umstand, dass neue Gentechniken wie Crispr/Cas9 ebenfalls gesperrt sein sollen.

Die Methode Crispr/Cas9 wird auch Genschere genannt. Statt etwas in die DNA einer Pflanze einzufügen, wie es herkömmliche Gentechniken tun, schneidet Crispr/Cas9 die DNA auseinander. Die Pflanze versucht, den Schnitt zu reparieren. Macht sie dabei einen Fehler, entsteht eine Mutation – die Pflanze weist ein neues Merkmal auf.

Der definitive Vorschlag des Bundesrats bezüglich Moratoriumsverlängerung wird fürs Frühjahr erwartet. Im Juni dürfte sich dann das Parlament damit beschäftigten.
Foto: laif
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Das könne man nicht mit anderen Gentechniken in einen Topf werfen, sagt Wilhelm Gruissem, Professor für Pflanzenbiotechnologie an der ETH Zürich. Er forscht seit über 30 Jahren im Bereich der pflanzenbezogenen Gentechnik. «Mit der Genschere kann man den gleichen Vorgang auslösen wie bei einer konventionellen Züchtung», erklärt er. «Dort werden Mutationen zum Beispiel durch die Behandlung mit Chemikalien oder Bestrahlung verursacht. Der Vorteil von Crispr/Cas9 ist, dass die Veränderung präziser und die Folgen deshalb besser abschätzbar sind.»

Gleiches Produkt

Die Mutation, die man mit Crispr/Cas9 auslöst, kann man laut Gruissem also nicht von derjenigen unterscheiden, die der Züchter mit einer chemischen Behandlung bewirkt. Die Methoden unterscheiden sich, doch das Endprodukt ist identisch. «Und wenn die Produkte gleich sind, sollte man keinen Unterschied machen.»

Das gleiche Produkt, egal wie hergestellt, weise auch die gleichen Risiken auf. Als Beispiel nennt Gruissem die braunrote Tomatensorte Kumato, die es auch in Schweizer Läden zu kaufen gibt: «Das ist eine Mutation. Die gibt es schon lange, und es sind keine gesundheitlichen Folgen bekannt. Wenn ich jetzt die gleiche Tomate mit Crispr/Cas9 herstellen kann, wieso soll die dann plötzlich gesundheitsschädlich sein?»

Sowohl der Bundesrat als auch die Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) stehen aber auch dieser neuen Technologie skeptisch gegenüber. Die SAG verweist auf Untersuchungen, die vor möglichen Nebeneffekten warnen. Bei einer 2019 in Heidelberg (D) durchgeführten Studie stellten ein Drittel der vom Cas9-Protein zerschnittenen Gene weiterhin Proteine her, obwohl Crispr/Cas9 das hätte verhindern sollen. Diese Proteine könnten beim Konsum giftig oder allergieauslösend sein. Man müsste also in jedem einzelnen Fall prüfen, ob die ausgeschalteten Gene wirklich keine Proteine mehr produzieren. Bei vielen Experimenten wird das nicht gemacht.

Der Bundesrat stellt sich auf den Standpunkt, weder Konsumenten noch Bauern hätten ein Interesse daran, dass gentechnische Verfahren zugelassen würden. Der Schweizer Bauernverband stimmt dem zu. Er sieht in der Verlängerung des Moratoriums einen grossen Vorteil, weil es die Schweiz als gentechnikfreien Standort stärke.

Die Kritik nimmt zu

Laut einer Umfrage des Bundesamts für Statistik im Jahr 2019 stufen drei von vier Schweizern die Gentechnik zur Herstellung von Lebensmitteln als gefährlich oder sehr gefährlich ein. 2011 lag dieser Wert tiefer – die Anzahl Menschen, die der Gentechnik kritisch gegenüberstehen, ist also gewachsen.

Für den ETH-Biologen Wilhelm Gruissem ist die Aussage jedoch zu kurz gegriffen, weder Konsumenten noch Bauern hätten ein Interesse an einer Anwendung von Gentechnik. «In der Schweiz haben wir ja keine Wahlfreiheit», so der ETH-Professor. «Die Konsumenten haben nicht die Wahl, genveränderte Produkte im Geschäft zu kaufen. Der einzige ehrliche Test wäre, den Anbau und die Produkte in den Läden zuzulassen, sodass der Konsument sich entscheiden kann.»

Gerade in Bezug auf die zur Abstimmung gelangenden Agrar-Initiativen wäre die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen für Bauern wichtig, erklärt Gruissem weiter. Bei beiden Initiativen geht es darum, weniger Pestizide zu verwenden. Mithilfe gentechnischer Verfahren könnten Pflanzen schädlingsresistent gemacht werden. Dann müsste man weniger spritzen.

Statt in Gentechnik solle man in traditionelle Züchtungen investieren, schlägt hingegen die SAG vor. Der Schlüssel zu widerstandsfähigen Pflanzen sei eine grosse Sortenvielfalt. Dann finde sich immer eine Pflanze, die einen bestimmten Schädling, eine Krankheit oder schwierige Umwelteinflüsse überwinden könne.

Der definitive Vorschlag des Bundesrats wird für Frühjahr erwartet. Im Juni dürfte sich dann das Parlament damit beschäftigten.

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