Ex-Boxer Stefan Angehrn (57) über sein Multilevel-Marketing
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Im Video-Interview:Ex-Boxer Angehrn (57) über sein Multilevel-Marketing

Stefan Angehrn lebt von umstrittener Multilevel-Marketing-Firma – gegenüber Blick räumt er nun ein
«90 Prozent der Teilnehmer verdienen nichts»

Es verspricht ein hohes Einkommen – und sorgt dann oft für Enttäuschung. Multilevel-Marketing hält sich seit Jahrzehnten im Schweizer Markt. Ein Überblick.
Publiziert: 02.10.2022 um 12:34 Uhr
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Aktualisiert: 02.10.2022 um 22:54 Uhr
Michael Sahli

Quälen Sie sich noch jeden Tag zur Arbeit? Dann sind Sie ziemlich blöd, glaubt man Tausenden von Inseraten im Internet. «Am Strand liegen und dabei Geld verdienen», wird da versprochen. Privatjet, Bentley: Ein Luxusleben ist nur ein paar Klicks entfernt! Multilevel- (MLM) oder Netzwerkmarketing heisst die Branche mit den verlockenden Versprechungen. Und diese Woche ist eine besonders populäre Vertreterin der Zunft in Zürich: Das US-Unternehmen IM Academy lädt ins Hallenstadion.

Die IM Academy bringt den Kunden den Devisen- und Kryptohandel näher, gegen eine Monatsgebühr von bis zu 275 Dollar. Und ist dabei sehr umstritten. Denn statt hohen Gewinnen gab es für viele der oft jungen Trader Verluste. Manche haben auch noch ihr Umfeld in den Schlamassel gezogen: Wer der IM Academy Neukunden bringt, kassiert Provisionen.

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Schweizer Promis werben für MLMs

Multilevel-Marketing-Firmen wie die IM Academy gibt es in der Schweiz in diversen Varianten. Nicht alle der «MLMs» handeln mit Trading-Tipps, manche verkaufen Nahrungsergänzung, Küchengeräte oder CBD-Hanf. Was sie verbindet: Jeder kann Vertriebspartner werden und gegen Provision mit den Produkten handeln. Und jeder soll neue Vertriebspartner anwerben, die einen dann an ihrem Umsatz beteiligen. Ältere Mitglieder verdienen dann an den Verkäufen von Neueinsteigern. So bildet sich eine Kaskade, wo das Geld von unten nach oben fliesst. Kritiker sagen: eine Pyramide.

Ex-Boxer Stefan Angehrn ist ein Veteran der MLM-Branche. Und tendiert auch zu grossen Versprechen, wenn man nur bei ihm einsteigt.
Foto: Screenshot
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Die MLM-Firmen selber meiden den Begriff, denn Pyramidensysteme sind vielerorts illegal.

Schweizer Promis bewerben trotz allem verschiedene Netzwerkmarketing-Firmen. Box-Ikone Stefan Angehrn (57) ist mit seinen Gesundheitsmitteln der Marke «Swiss Shape» vom US-Anbieter «Unicity» ein Veteran der Branche. Und träumt mit seinen Fans in den Werbevideos auch vom «Traumleben», wenn sie nur bei ihm einsteigen.

Die meisten Teilnehmer gehen leer aus

Das grosse Geld ist aber nicht mit den Produkten, sondern mit der Rekrutierung zu verdienen, sagt der Ex-Boxer im Werbevideo offen: «Wenn du ernsthaft arbeiten willst, als Beruf, brauchst du jeden Monat drei Menschen, die ihr Leben verändern wollen.» Konkret: Drei Menschen, die ein Produkte-Starterpack für 1500 Franken kaufen und ebenfalls Verkäufer und Rekrutierer werden. Als erstes solle man sich «seine Lieben» ins Boot holen.

Dass die Rechnung nicht so einfach ist, gibt Angehrn im Gespräch mit Blick zu: «90 Prozent der Teilnehmer verdienen nichts», sagt er. «Weil es eine Knochenarbeit ist.» Realistischer als das grosse Geld sei ein Nebeneinkommen. 800 Menschen handeln seine Produkte regelmässig.

Aus 1000 USD werden 30'000!

Eine, die laut ihrem Instagram-Profil zu den MLM-Gewinnerinnen gehört, ist Fabienne (24), bekannt durch die TV-Sendung «Der Bachelor». Die Ostschweizerin hat ihre Ausbildung als Fachfrau Gesundheit abgebrochen und erklärt ihren Instagram-Followern nun, wie man mit Aktien-, Devisen- und Kryptohandel reich wird: «Aus USD 1000 hat sie 30'000 gemacht!», glitzert es von ihrem Instragram-Profil. Oder: «Meine Teampartnerin macht jeden Tag bis zu USD 1500!» Aber: Auch hier geht es um ein «MLM». Die Firma Igenius hat es sogar auf eine schwarze Liste der Kapo Zürich auf cybercrimepolice.ch geschafft. Fabienne schreibt gegenüber Blick, das Marketing kann «natürlich manchmal etwas provokant sein». In Einzelgesprächen spreche man aber jeweils über die «richtige Erwartungshaltung».

Steve Schennach, der Geschäftsführer der Stiftung Schweizer Sporthilfe, wirbt mit der ganzen Stiftung für «Fitline» und das MLM-Unternehmen «PM-International». Auch Rennfahrerin Christina Surer (48) lacht von der Fitline-Homepage zusammen mit einem guten Dutzend weiterer aktueller und ehemaliger Schweizer Sportler und Funktionäre.

«Fitline» vertreibt Nahrungsergänzungsmittel – und ist laut einem «Spiegel»-Artikel mit grenzwertigen Gesundheitsversprechen aufgefallen. Aussteiger erzählen von Verlusten und dem schlechten Gewissen, Freunde und Verwandte mit ins System gezogen zu haben. Christina Surer sagt zu Blick, sie sei von den Produkten überzeugt: «Mit dem Geschäftsmodell hatte ich nie etwas zu tun und höre die Kritik daran zum ersten Mal.» Die Schweizer Sporthilfe liess Fragen unbeantwortet.

Seco warnt vor Multilevel-Firmen

Beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) warnt man vor allen MLMs, wie es auf Anfrage von Blick heisst. Von aussen sei es nicht leicht, zu erkennen, was legal und was illegal ist. Und: «Selbst legale Formen enden oft im finanziellen Desaster. Meist stehen einem gesättigten Markt nämlich viele Verkäufer gegenüber, die ihre bereits bezahlten Waren nicht mehr losbringen.» Zudem könne man sich als Teilnehmer unter Umständen selber strafbar machen, sollte sich das Geschäftsmodell als illegal erweisen. In den USA kommt eine Studie des «Consumer Awareness Institute» zu ähnlichem Schluss: 99 Prozent der «Vertriebspartner» würden unter dem Strich Geld verlieren.

Nicht alle MLM-Firmen versprechen ihren Vertriebspartnern das Blaue vom Himmel. Tupperware hält sich beispielsweise mit den Tupperpartys seit Jahrzehnten am Markt. Die lange Geschichte ist wohl mit ein Grund, dass die MLM-Systeme in der Schweiz so verbreitet sind. Es gibt einen Branchenverband mit laut eigenen Angaben 420 Mitgliedern. Erster Präsident war der verstorbene SVP-Nationalrat Bruno Zuppiger. Und der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes, Hans-Ulrich Bigler (64), schwärmt auf der Verbands-Homepage von den Teilzeit-Möglichkeiten des Netzwerk-Marketings. Ob man mit diesen Teilzeit-Möglichkeiten Geld auch verdienen kann, steht auf einem anderen Blatt.

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