Das erleben Putzkräfte bei der Arbeit
«Ich wasche hier gerade den letzten Rest eines Menschen weg»

Ob Dildos unter dem Bett, Unterwäsche hinter der Heizung oder tote Ratten im Schrank: Wer Wohnungen und Büros anderer Menschen putzt, erlebt dabei allerlei Skurriles. Zwei Reinigungs-Profis packen im Blick aus.
Publiziert: 19.04.2023 um 00:42 Uhr
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Aktualisiert: 19.04.2023 um 11:25 Uhr
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Sandro ZulianReporter News

Soll ich den Dildo unter dem Bett hervornehmen und aufs Duvet legen? Mit Fragen wie diesen sind Santina Bollhalder (31) von der Bollhalder Reinigung GmbH in St. Gallen und ihr Team öfter konfrontiert, als man meinen würde. Zusammen mit ihrem Mann Mario (34) betreibt sie das Familienunternehmen seit sieben Jahren. Für das Dildo-Dilemma haben sie noch keine Lösung gefunden.

Denn: Nimmt sie das Gerät weg, wissen die Kunden, dass die Reinigungskräfte es gesehen haben. Lässt sie den Vibrator liegen, denken die Kunden, dass unter dem Bett nicht gereinigt wurde. Eine verzwickte Situation. Einmal fand Santina Bollhalder in einem Büro, das sie reinigen musste, eine Unterhose hinter der Heizung. «Ich weiss nicht, was die nach der Arbeit da treiben», sagt sie mit einem Grinsen im Gesicht.

Dass es aber noch viel schlimmer kommen kann, erzählt Mario Bollhalder: «Messie-Wohnungen, in denen man den Boden nicht mehr sieht, sind das Schlimmste.» Da lasse man erst eine «Patrone» platzen, deren Rauch sämtliches Ungeziefer abtötet. «Dann muss man aus der Gefahrenzone raus. Am Schluss ist der Boden voll mit Kakerlaken, die man dann mitsamt dem Abfall raustragen muss.» Eine tote Ratte im Kleiderschrank sei bis jetzt der Tiefpunkt einer Messie-Wohnung gewesen.

Santina Bollhalder (31) und ihr Mann Mario haben bei der Arbeit schon so einiges erlebt.
Foto: Siggi Bucher
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Diese Finnin kennt keine Ekelgrenze
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Sie putzt Messie-Wohnungen:Diese Finnin kennt keine Ekelgrenze

«Der letzte Rest eines Menschen, den ich ausradiere»

Emotional belastend dagegen sind Tatortreinigungen. Dafür gibt es zwar Spezialisten, doch auch die Bollhalders machen die Arbeit auch ab und an. «Du putzt das Blut und die Haare weg und denkst: ‹Das ist jetzt der letzte Rest eines Menschen, den ich wegputze›». Ihr Mann Mario ergänzt: «Man fragt sich, warum diese Menschen teils so lange liegen und sich niemand um sie sorgt.» Manchmal habe es erst der Nachbar gemerkt, weil das Blut aus der Decke tropfte oder sich der Gestank im Treppenhaus ausbreitete.

«Nach dem Putzen habe ich mich übergeben», sagt Santina Bollhalder. Sie sei danach viermal duschen gegangen, «aber ich habe immer noch nach Tod gerochen.» Ihr Mann Mario musste einmal ein Sofa, auf dem jemand gestorben ist, entsorgen. «Wir hatten damals Sommer, 33 Grad und hatten alle Autofenster unten. Aber der Gestank, der bleibt auch noch Tage später.»

Nackte Menschen und Schwarzarbeit

Lustiger sind Fassaden- und Fensterreinigungen. Mit einer Hebebühne «schweben» die Mitarbeiter dann hoch und putzen in luftiger Höhe. Nur: «Viele Neubauten haben keine Vorhänge», sagt Mario Bollhalder und grinst. «Seit zwei Wochen war der Reinigungstermin im Treppenhaus angekündigt!», ergänzt seine Frau. «Dann kommen die Bewohner trotzdem nackt aus der Dusche und stehen vor dir», sagt Mario Bollhalder. Seine Reaktion: winken. Einige der Nackedeis hätten überraschend cool gewirkt und zurückgewinkt. Andere reagierten mit Geschrei.

Nicht immer geht es in der Reinigungsbranche so transparent zu. Schwarzarbeit ist in der Niedriglohnbranche verbreitet. Santina Bollhalder arbeitete vorher bei einer anderen Firma, deren Chef es mit der Bezahlung nicht allzu genau nahm. Er liess seine Belegschaft ohne Gesamtarbeitsvertrag putzen und sah auch die Lohnzahlungen nicht als eiserne Verpflichtung an. Einmal habe ein Mitarbeiter der Firma den Chef gefragt, ob er sein Auto ausleihen könne, um seine Schwester im Rheintal besuchen könne. Am nächsten Tag sei der Chef mit rotem Kopf ins Büro gestürmt und habe den Mitarbeiter am Telefon gefragt, wo sein Auto sei. Die Antwort: «Zahl mir meinen Lohn und ich sage dir, wo dein Auto steht.»

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