Ökonom Thomas Straubhaar will bedingungsloses Grundeinkommen
«Mein Modell macht Mutterschaft attraktiv»

Die Corona-Krise bringt viele in Nöte. Das bedingungslose Grundeinkommen könne dies künftig verhindern, sagt der Ökonom Thomas Straubhaar (64). Doch wie soll man das finanzieren? Antworten gibt der Wahldeutsche im Interview.
Publiziert: 28.08.2021 um 09:59 Uhr
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Aktualisiert: 28.08.2021 um 11:04 Uhr
Der Ökonom Thomas Straubhaar fordert in seinem neuen Buch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Er sagt: «Die Corona-Krise hat gezeigt, dass das alte System nicht mehr verlässlich ist.»
Foto: Lars Berg/laiflaif
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Interview: Rebecca Wyss

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass der Staat allein nicht allen Sicherheit garantieren kann, viele schüttelt es trotz dessen Milliardenhilfen finanziell durch. Das hinterlässt Spuren. Im Juni ist in Zürich die städtische Initiative «Wissenschaftlicher Pilotversuch Grundeinkommen» zustande gekommen. 500 Leute sollen während drei Jahren ein Grundeinkommen erhalten. Der Ökonom Thomas Straubhaar fordert in seinem aktuellen Buch «Grundeinkommen jetzt!» einen Systemwechsel für die ganze Gesellschaft.

Herr Straubhaar, warum kommen Sie gerade jetzt mit einem Buch zum bedingungslosen Grundeinkommen?
Thomas Straubhaar: Wegen Corona. Kulturschaffende, mittelständische Unternehmen und Selbständige standen über Nacht vor dem wirtschaftlichen Aus. Und das, obschon sie nach dem Lehrbuch der Marktwirtschaft alles richtig gemacht hatten.

Die Wirtschaft erholt sich derzeit aber gut. Malen Sie nicht zu schwarz?
Gottlob ist die Schweiz wohlhabend genug, um kurzfristig mit grosszügigen Staatshilfen reagieren zu können. Künftig werden weitere Krisen wie Hitzewellen, Überschwemmungen, Cyberkriminalität oder Chinas Provokationen unser Wirtschaftssystem erneut herausfordern. Dann aber sollte man nicht jedes Mal unvorbereitet und ad hoc reagieren.

Wie lautet nun also Ihr Vorschlag?
Es braucht eine grosse Steuerreform, die auf einer negativen Einkommenssteuer basiert.

Der Ökonom Thomas Straubhaar (64)

Thomas Straubhaar (64) ist Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Hamburg. Aufgewachsen ist er in Unterseen im Berner Oberland. 2017 publizierte er das Buch «Radikal gerecht». Heute erscheint im Verlag NZZ Libro sein neuestes Werk, «Grundeinkommen jetzt!», erhältlich für 25 Franken. Straubhaar ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt seit mehr als 30 Jahren in einem Hamburger Vorort.

Christian Kerber/laif

Thomas Straubhaar (64) ist Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Hamburg. Aufgewachsen ist er in Unterseen im Berner Oberland. 2017 publizierte er das Buch «Radikal gerecht». Heute erscheint im Verlag NZZ Libro sein neuestes Werk, «Grundeinkommen jetzt!», erhältlich für 25 Franken. Straubhaar ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt seit mehr als 30 Jahren in einem Hamburger Vorort.

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Was heisst das?
Der Staat überweist allen Bürgerinnen und Bürgern ein Grundeinkommen, und zwar allen in gleicher Höhe. Um das zu finanzieren, muss jeder Einzelne auf allen eigenen Einkünften wie Arbeitseinkommen, Kapitaleinkommen, Miete, Pachten und Dividenden Steuern zahlen. Aus Sicht des Staates bleibt die Nettobelastung für einige Leute negativ: Manche erhalten ein Grundeinkommen, haben aber zu wenig eigene Einkünfte, um das Grundeinkommen aus den darauf erhobenen Steuern vollends gegenzufinanzieren.

Wie sieht das im Alltag aus?
Nehmen wir einen Steuersatz von 50 Prozent. Jemand verdient monatlich 4000 Franken, zahlt also 2000 Franken Steuern. Vom Staat erhält er gleichzeitig ein Grundeinkommen von 2000 Franken, dann hat er wieder 4000 Franken monatlich zur Verfügung. Bei einem Monatseinkommen von 10'000 Franken hat jemand nach Abzug der Steuern und durch das Grundeinkommen 7000 Franken zur Verfügung. Der Erste zahlt netto keine Steuern, der Zweite 30 Prozent. Wer mehr verdient, zahlt mehr Steuern. Das ist gerecht.

Ein hoher Steuersatz! Warum sollten jene, die viel in ihre Bildung investiert haben und jetzt gut verdienen, das gerecht finden?
Man muss sich das «Big Picture» anschauen. Künftig werden durch den technologischen Fortschritt massenhaft Jobs verloren gehen. Und zwar jene der Kassiererinnen, der Ticketkontrolleure, der Fabrikarbeiter. Mir zahlt der Staat alle fünf Jahre ein Sabbatical, um mich weiterzubilden – ihnen nicht. Sie aber haben am meisten Weiterbildungsbedarf, können es sich jedoch am wenigsten leisten, weil sie ihre Familie ernähren müssen; sie können nicht Teilzeit oder gar nicht arbeiten. Das Grundeinkommen ermöglicht es ihnen.

Was sagen Sie jenen, die sich sorgen, dass Gutverdienende abwandern?
Die Forschung zeigt: Menschen sind bereit, höhere Steuern zu zahlen, wenn das Schulsystem und die Gesundheitsversorgung gut sind, die Luft sauber, das Land politisch sicher, die Kriminalität tief ist. Wohin sollen sie denn abwandern? In welchem anderen Land findet man sonst so gute Verhältnisse wie hierzulande?

Das jetzige System benachteilige Frauen gegenüber Männern, schreiben Sie. Inwiefern ändert Ihr Modell daran etwas?
Für eine Frau ist ein Kind das grösste ökonomische Risiko, weil sie dadurch so grosse Einkommenseinbussen hat. Mein Modell macht Mutterschaft attraktiv. Anders als bei der Grundeinkommens-Initiative von 2016 bekommen in meinem Modell Kinder und Erwachsene das gleich hohe Grundeinkommen. Mit dem Geld für das Kind können die Eltern einen Betreuungsplatz finanzieren.

Kommen wir zu den Unternehmenssteuern. Sie fordern Radikales.
Warum? Unternehmenssteuern sind kontraproduktiv, wir sollten sie abschaffen. Die Firmen wälzen die Steuern ab: Sie erhöhen die Absatzpreise und machen Druck auf die Zulieferer, um für Vorleistungen weniger bezahlen zu müssen. Unternehmenssteuern werden am Ende auf jene Glieder der Wirtschaftskette abgewälzt, die sie an keinen mehr weitergeben können.

Auf wen?
Zum Beispiel auf die Leute der Mittelschicht, die ihre Häuser haben und nicht einfach so in eine steuergünstigere Gemeinde ziehen können.

Wie holt der Staat dann genug Mittel rein?
Mit einer Quellensteuer auf die gesamte Wertschöpfung. Jeglicher Wert, den zum Beispiel Nestlé schafft – also alles Geld, das an eine Person ausgeschüttet wird – sollte in dem Moment, in dem er den Betrieb verlässt, besteuert werden. Unabhängig davon, ob es sich um den Lohn des Pförtners, des Managers oder die Dividenden saudischer Aktionäre handelt.

Was halten Sie von der geplanten OECD-Mindeststeuer für Grossunternehmen, die auch für die Schweiz verbindlich sein wird?
Ich bin dagegen. Es gibt keinen ökonomisch sinnvollen Grund dafür, Unternehmen zu besteuern.

Und wie stehen Sie zur 99-Prozent-Initiative der Juso, die das Kapital stärker besteuern will?
Alle Einkünfte, egal ob Arbeitseinkommen oder Kapitaleinkommen, sollten mit einem gleich hohen Satz an der Quelle besteuert werden.

Warum das Kapital nicht höher besteuern?
Jede Ungleichbehandlung fördert Umgehungsgeschäfte. Die Leute würden das Geld nicht als Kapitaleinkommen angeben, sondern es anders deklariert am Fiskus vorbeischmuggeln.

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