NS-Raubkunst-Debatte
Bern gibt Gurlitt-Werke zurück – und setzt Zürich unter Druck

Das Kunstmuseum Bern will Werke aus der Gurlitt-Sammlung zurückgeben – obwohl nicht eindeutig nachgewiesen ist, dass es Raubkunst ist. Das dürfte die anderen Museen unter Druck setzen, sagt ein Experte. Auch in Zürich.
Publiziert: 10.12.2021 um 21:13 Uhr
Rebecca Wyss

Die Nachricht aus dem Kunstmuseum Bern schlägt ein: Gestern Morgen gab es bekannt, wie es mit dem Gurlitt-Erbe weiter verfahren will, nachdem Experten die Herkunft von rund 1600 Werken überprüft hatten. So viel steht fest: Die Berner ändern ihre Politik grundlegend.

Das hat unmittelbare Folgen: Die beiden Aquarelle «Dompteuse» und «Dame in der Loge» von Otto Dix sollen zurückgegeben werden – obwohl ihre Herkunft nicht restlos geklärt ist.

Sie gehörten sehr wahrscheinlich einst dem jüdischen Rechtsanwalt und Kunstsammler Ismar Littmann (1878–1934). Hundertprozentig bewiesen ist das nicht. Damit auch nicht, ob es sich um Raubkunst handelt. Fakt ist: Littmann erhielt vom NS-Regime Berufsverbot, verlor seine Existenzgrundlage, musste Teile der Sammlung veräussern. Und beging Selbstmord.

Das Kunstmuseum Bern gibt Bilder aus der Sammlung Gurlitt zurück. Auch wenn die Herkunft als Raubkunst nicht eindeutig geklärt ist. Das Kunsthaus Zürich – im Bild die Bührle-Sammlung – kommt damit unter Druck.
Foto: Keystone
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Rechtsanwalt Marcel Brülhart, der das Gurlitt-Dossier beim Kunstmuseum Bern mitverantwortet, sagt zum Entscheid: «Wir können in Fällen von lückenhaften Provenienzen nicht noch jahrzehntelang weiterforschen, sondern müssen und wollen entscheiden.» Auch weil es nach so langer Zeit schwierig ist, eindeutige Beweise zu finden.

Der Ansatz, Kunstwerke zurückzugeben, bei denen es Zweifel zur Herkunft gibt, gilt nicht nur für die Gurlitt-Sammlung. Die Direktorin Nina Zimmer sagte zu SRF: «Wir werden mit derselben Haltung an die Fälle herangehen, die sich aus der Forschung zu unserer Sammlung ergeben.»

Hat der Entscheid Folgen für Zürich?

Das sind ganz neue Töne. Hiesige Museen sträuben sich, solche Werke zurückzugeben. Für den Raubkunstexperten Thomas Buomberger steht fest: «Der Berner Entscheid ist ein Paradigmenwechsel.»

Das könnte auch Folgen für Zürich haben – und die Bilder der Bührle-Sammlung, die neu im Kunsthaus hängen. Diese ist schon lange umstritten. Vor allem die Herkunft der Werke – und ob der Waffenhändler Emil Bührle (1890–1956) von der Notlage von Menschen profitierte, die vom Hitler-Regime verfolgt wurden. Bereits erhoben Erben Ansprüche auf Werke. Die Bührle-Sammlung weigerte sich bisher, von sich aus welche herauszugeben.

Das hat mit dem Schweizer Raubkunst-Verständnis zu tun. Man unterscheidet zwischen Raubkunst, die vom NS-Regime verfolgten Menschen gestohlen wurde. Und Fluchtgut, das jüdische Besitzer in ihrer Not verkaufen mussten. Fluchtgut gilt bei vielen Museen nicht als Raubkunst – wird nicht restituiert. Im Ausland gilt beides als «NS-verfolgungsbedingter Verlust». Die Werke werden restituiert.

Und nun der Berner Entscheid. Thomas Buomberger sagt: «Dieser dürfte Konsequenzen für andere Museen haben.» Nun würden diese wohl eher restituieren und Lösungen mit Erben von ehemals NS-Verfolgten suchen. Zudem sei die Unterscheidung zwischen Raubkunst und Fluchtgut nicht mehr zu rechtfertigen. «Man wird fortan von ‹NS-verfolgungsbedingten Verlusten› sprechen müssen.»

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